Kreatives Schreiben. Oliver Ruf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oliver Ruf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783846336649
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des Konzepts ›Kreatives Schreiben‹ muss sich – so betrachtet – mit Zweckvorgaben und Einschränkungen befassen, die ein Wissen103Hoffmann, E.T.A.Spur generieren können, das für den kreativ Schreibenden verfügbar ist, um, wie es BereiterBereiter, Carl ausdrückt, »auf eine bestimmte Art zu schreiben.«104Bereiter, Carl Ein Beispiel gibt Bereiter selbst, indem er auf das Konzept, einen Kriminalroman zu schreibenWas tut man, um z.B. einen Kriminalroman zu schreiben?, hinweist – eine SchreibpraxisSchreibpraxis, die in abstrahierter Hinsicht exemplarisch für jedes Vorhaben des Kreativen Schreibens ist. »Selbst eine Person, die noch nie einen Kriminalroman geschrieben hat«, so Bereiter, werde ein »Kriminalroman-Konzept bereit haben«, das »auch einen Anfänger« dazu bringe,

      an ein Verbrechen zu denken, an einen Ermittler, an eine Möglichkeit, den Ermittler in Kontakt zum Verbrechen zu bringen, an ein rätselhaftes Element etc., das einfordert, die Identität des Täters bis zum Schluß geheimzuhalten [40]und vielleicht sogar auf bestimmte stereotype Ereignisse, FigurenFigur, Ausdrücke zu rekurrieren.105

      Und der erfahrene AutorAutor von Kriminalromanen werde »ein ausgefeilteres Konzept mit komplexeren Anforderungen ans Schreiben zur Verfügung haben, das kompliziertere Suchbewegungen und Entwicklungen« ermögliche.106 Wird diese Vorstellung eines integrativen SchreibmodellsSchreibmodell an Vorstellungen des Kreativen Schreibens angebunden, ergibt sich eine Bestimmung dessen, was linguistisch oft Textsortenmusterwissen107Fix, Martin und medienpädagogische Genrekompetenz108HandlungFigurLesekompetenzTextsortenwissen und Genrekompetenz genannt wird. BereiterBereiter, Carl führt fünf Elemente an, die seiner Meinung nach in einem solchen SchreibprozessSchreibprozess enthalten sind:

      1 Ein beschränktes Ensemble an ziemlich spezifischen Intentionen […].

      2 Ein Ensemble an Strategien, die es ermöglichen, diese Absichten umzusetzen. Eine Strategie wird schließlich folgendes einschließen:

      3 Inhaltskategorien, die nötig sind, damit das Ziel erfüllt, der Plan ausgeführt werden kann. […]

      4 Suchverfahren, deren es bedarf, um den nötigen Inhalt zu finden. Diese Verfahren können explizit sein, etwa wenn bestimmte Dokumente eingesehen oder Informanten angerufen werden. Oder es handelt sich um implizite, gedächtnisgestützte Strategien.

      5 Anforderungen zur Feinabstimmung des sprachlichen Outputs.109Bereiter, Carl

      Zu diesen ›Intentionen‹, ›Strategien‹, ›Inhaltskategorien‹, ›Suchverfahren‹ und ›Anforderungen zur sprachlichen Feinabstimmung‹ kommt, so BereiterBereiter, Carl, ein weiteres Element hinzu: »Unterhalb des Textsortenkonzepts« finde »die Verarbeitung von Inhalten [41]statt«, bei der »semantisches MaterialMaterial aus dem Gedächtnis hervorgeholt und den Anforderungen des Textsortenkonzepts gemäß organisiert« werde.110 In der Ausdeutung dieses Befundes für das Kreative Schreiben lässt sich eine einfache These formulieren, die weitreichende Konsequenzen birgt und an das bereits im vorherigen Kapitel Ausgeführte anknüpft: Ohne das ›Gedächtnismaterial‹ –Ohne »Gedächtnismaterial« kein Kreatives Schreiben ohne Gelesenes/Rezipiertes oder Erlebtes, ohne Tradition oder Geschichte, mithin ohne ästhetische Erfahrung – entwickelt sich auch kein Kreatives Schreiben, das gleichzeitig an Schreib-Fähigkeiten gebunden bleibt, an »Flüssigkeit im geschriebenen Ausdruck« wie an »Leichtigkeit in der Entwicklung von IdeenIdee«, an »Beherrschung von Schreibkonventionen« wie an »soziale Kompetenz (verstanden als Fähigkeit, Leseerwartungen zu berücksichtigen)«, an »literarisches Unterscheidungsvermögen« wie an die »Fähigkeit zur Reflexion«.111Bereiter, Carl

      Bereits deutlich wurde allerdings bereits, dass die Prozesse des Kreativen Schreibens nicht derart eindeutig schematisch abbildbar sind, da der kreative Schreiber nicht zwangsläufig vollkommen zielgerichtet, zweckentsprechend, strategisch und adressatengerecht gedanklich plant, sprachlich formuliert oder seinen ›Text‹ in allen Schreibphasen jeweils progressiv überarbeitet; vielmehr verfertigt er diesen allmählich beim Schreiben, um einen Satz Kleists112 mit Almuth GrésillonGrésillon, Almuth abzuwandeln,113Grésillon, Almuth die die bereits erwähnte ›Schule‹ der Critique GénétiqueCritique GénétiqueCritique GénétiqueCritique Génétique maßgeblich anhand von Forschungen an literarischen HandschriftenHandschrift (als Fallstudien) vorgestellt hat.

      1.2.2. Vom freien Gedanken zum geschriebenen Wort

      GrésillonsGrésillon, Almuth Aufsatz Über die allmähliche Verfertigung von Texten beim Schreiben distanziert sich ausdrücklich von den Schreibprozessmodellen der Kommunikations-, Kognitions- und auch der SprachwissenschaftSprachwissenschaft, wie sie BereiterBereiter, Carl vertritt und die darin ausführlich [42]kritisiert sind.114Grésillon, AlmuthLudwig, OttoTextproduktion Plädiert wird für ein »Zusammenspiel der betroffenen Disziplinen«, um die »Viefalt von Schreibsituationen tatsächlich ins Auge« zu fassen;115Grésillon, Almuth Grésillon stört sich an jenen »Feld- und Laborexperimenten, die mit Schreiberinterviews und Eigenkommentaren, mit VideoVideo-Aufnahmen, Fehler- und Pausenanalysen arbeiten.«116 Der Zugang, den die Critique GénétiqueCritique Génétique im Gegensatz dazu anbietet, thematisiert weniger »Gedanken und EinfälleEinfall ›im Rohzustand‹« als »geschriebene EntwürfeEntwurf, Pläne, MaterialsammlungenEntwürfe, Pläne, Materialsammlungen des Schreibens sowie weitere Phasen des Entstehens und der Überarbeitung«.117 Von Grésillon unterschieden werden sechs Untersuchungsstandpunkte »schwarzer SpurenSpur auf weißem Grund«:118Spur (1.) Zeitverhältnisse, (2.) Raumverhältnisse, (3.) Schrift und Schreibwerkzeug, (4.) SchriftstellerSchriftsteller als Subjekt des SchreibprozessesSchreibprozess, (5.) Teilprozesse literarischen Schreibens, (6.) Ecriture à processus bzw. literarische bottom up-Schreibprozesse.119Grésillon, Almuth

      Ad 1.) Die Betrachtung des aus Biographien, Korrespondenzen, PapierPapier- oder Wasserzeichenforschungen zu rekonstruierenden Entstehungsdatums eines literarischen Werkes birgt das Problem, dass der genaue zeitliche Ablauf wie auch die Dauer einzelner Schreibphasen kaum konkret festzustellen sind – GrésillonGrésillon, Almuth nennt dies die »gefrorene Zeit« einer HandschriftHandschriftDie »gefrorene Zeit« einer Handschrift.120 In der Konsequenz dieser Perspektive wird deren enorme Bedeutung für die Erforschung des SchreibprozessesSchreibprozess klarer:

      Im Sinne objektiver, historischer Zeit können literarische HandschriftenHandschrift Epochen zugehören, für welche Informationen über die konkrete SchreibsituationSchreibsituation nicht spontan zur Verfügung stehen: Man denke nur an Beschaffung und Preis des PapiersPapier, an die Umständlichkeit abgeschliffener Gänsefedern [43]und die Unbeständigkeit der Tinte selbst sowie auch der Tintenfässer; all dies gehörte im 19. Jahrhundert noch zum Schreiberalltag. Im Sinne kulturhistorischer Gesetzlichkeiten ist weiterhin klar, daß literarische Handschriften nicht systematisch aufbewahrt wurden. So existieren in Deutschland und Frankreich relativ wenige Arbeitshandschriften, die über das 18. Jahrhundert zurückreichen, während dies in Italien […] schon viel früher bezeugt ist. Zum zweiten ist das Prestige, das ein AutorAutor im literarischen KanonKanon einer Nation erwirbt, ausschlaggebend dafür, daß seine Handschriften nicht nur privat, sondern auch staatlich überliefert werden. Wenn dies der Fall ist, so verfügt man tatsächlich über ein MaterialMaterial von faszinierendem Reichtum.121

      Heute stellt sich vor diesem Hintergrund dieselbe Frage umso dringlicher, wie nämlich im ›Zeitalter‹ elektronischer MedienHandschriftenHandschrift im digitalen Zeitalter die Zeitverhältnisse der ComputerComputer-Handschrift die temporalen Phänomene des Schreibens zu bestimmen sind? Auch deshalb hat das ›Deutsche Literaturarchiv Marbach‹ mit seinem ›Literaturmuseum der ModerneLiteraturmuseum der Moderne‹ als wichtigste Institution in Deutschland längst damit begonnen, nicht nur wie eh und je ManuskripteManuskript und Typoskripte auf PapierPapier, sondern auch DiskettenDiskette, CDs, CD-RomsCD-Rom, FestplattenFestplatte bzw. digitale/digitalisierte DatenträgerDatenträger u.ä. zu archivieren, auszuwerten und kuratorisch auszustellen.122HandDerrida, Jacques

      Ad 2.) Problematisch ist es in gleicher Weise, zu untersuchen, in welcher Schreibersituation – mit welcher Körpersprache (Gestik, Mimik) und mit welchen metasprachlichen Kommentaren (simultan oder retrospektiv) – jemand einen Text verfasst hat. Und »[u]m so mehr« sei man,