Die Singularität jeder einzelnen ›SchreibszeneSchreibszene‹ entspringt der Prozessualität des Schreibens; die Singularität jeder einzelnen ›Schreib-SzeneSchreib-Szene‹ der Problematisierung des Schreibens, die (es) zur (Auto-)Reflexion anhält (ohne daß es sich gerade in seiner Heterogenität und Nicht-Stabilität gänzlich transparent werden könnte). Hier wie dort versuchen die Begriffe der ›Schreibszene‹ wie der ›Schreib-Szene‹ jeweils ein (literatur-, medientechnik- und kulturell)historisches und ein systematisches Moment in einem integrativen Modell des SchreibensEin integratives Modell des Schreibens zusammenzufassen.62
Theoretische Grundlage dieses Modells sind u.a. wiederum die phänomenologischen Ausführungen Vilém FlussersFlusser, Vilém. Aus ihnen lässt sich mit Hilfe des Schreib(-S)zenen-Konzepts eine Einsicht in das Verständnis der Erscheinung des Kreativen Schreibens ableiten: »Um Schreiben zu können«, erläutert Flusser, werden u.a. »eine Oberfläche (BlattBlatt, PapierPapier)«, »ein Werkzeug (FüllfederFüllfeder)«, »Zeichen (BuchstabenBuchstaben)«, »eine Konvention (Bedeutung der Buchstaben)«, »Regeln (OrthographieOrthographie)«, »ein System (GrammatikGrammatik)«, »ein durch das System der Sprache bezeichnetes System (semantische Kenntnis der Sprache)«, »eine zu schreibende BotschaftBotschaft (IdeenIdee)« und »das Schreiben« selbst benötigt.63Flusser, VilémGeste Für diese verschiedenen Elemente des Schreibakts nimmt der von Flusser herausgestellte Punkt der ›zu schreibenden Botschaft‹ oder ›Idee‹Die zu schreibende Botschaft, die Idee eine Sonderstellung ein, denn wer sich von dieser, so erneut StingelinStingelin, Martin,
erfüllt sieht, mag sich bei seiner ›Be-Geisterung‹, diese mitzuteilen, nicht lange beim Automatismus semantischer, grammatischer oder orthographischer Regeln aufhalten, geschweige denn bei der Mechanik, sich eines Werkzeugs im Zusammenspiel mit seiner Oberfläche bedienen zu müssen, um überhaupt ein Zeichen zum Ausdruck bringen zu können, zeichnet sich die ›IdeeIdee‹ in ihrem emphatischen Wortsinn doch gerade dadurch aus, daß sie [31]durch den Umstand unangefochten bleibt, ob sie tatsächlich zu PapierPapier gebracht worden ist oder nicht.64Stingelin, Martin
Eine ›IdeeIdee‹ sei eine ›Idee‹, »selbst wenn es keinem Schreibwerkzeug gelingt, den Schädel aufzumeißeln, in dem sie geboren ist«,65Idee und diese ist für die hier begrifflich zu versuchende Zuschreibung des Kreativen Schreibens deshalb so wichtig, weil erstens das zum Schreiben notwendige, »erhebliche Übung voraussetzende Zusammenspiel von Oberfläche, Werkzeug und Zeichen«, beispielsweise von »PapierPapier, Füllfederhalter und BuchstabenBuchstaben«, aus pädagogisch-didaktischer Sicht durch die gängigen Methoden des SchriftspracherwerbsSchriftspracherwerbMethoden des SchriftspracherwerbsSchriftspracherwerb prinzipiell erlern- wie vermittelbar ist;66Schriftspracherwerb hinzu kommt, dass zweitens der Begriff der ›Idee‹ naturgemäß mit dem der ›KreativitätKreativität‹ korreliert, der wiederum mit demjenigen der ›ÄsthetikÄsthetik‹ aufs Engste verbunden ist.67ÄsthetikKreativität Kreativität bedingt auf ästhetischem und künstlerisch-gestalterischem bzw. genuin literarischem Gebiet jede Schreib-SzeneSchreib-Szene, auch wenn es nicht explizit um ein zu schaffendes Produkt, sondern um Wahrnehmungsprozesse oder neue Problemlösungsstrategien geht.68Kreativität
Im, beim und durch Kreatives Schreiben entsteht eine ›Kreative Schreib-SzeneSchreib-Szene‹,69Poetik die diesen Aspekt des Ästhetischen betont, bei dem auch der »Modus des Verhaltens zur Welt«70 im Vordergrund steht, und lässt sich so im Rahmen Ästhetischer Bildung auf die Entdeckung, Wertschätzung und Erweiterung der eigenen ästhetischen Fähigkeiten des Schreibens im Zuge eines emotional-sinnlichen Zugriffs auf die Wirklichkeit hin beschreiben: In der [32]Kreativen Schreib-Szene erschließt, versteht und eignet sich das schreibende Subjekt literarisch-poetische bzw. generell textgestalterisch-narrative Ausdrucksformen in deren Vielschichtigkeit, in ihrer kulturtragenden Funktion und ihrer Symbolkraft ästhetisch erfahrend an.71Spinner, Kaspar H.Ästhetische Bildung KreativitätKreativität wird hier nicht allein entfaltet; Kreativität ist der notwendige KatalysatorKreativität als Katalysator, um eine solche Schreib-Szene überhaupt zu initiieren.
Die Frage, die den Begriff des ›Kreativen Schreibens‹ leitet, lautet somit: Wie kann KreativitätKreativität – didaktisch, pädagogisch, anleitend – für den Schreibenden durch den »Erwerb von Wissen, Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten« gefördert werden, damit dieser »neue und ungewöhnliche Leistungen entwickeln« kann?72ÄsthetikKreativität Für diese Grundfrage der Kreativen Schreib-SzeneSchreib-Szene gewinnen die »zu Gebote stehenden SchreibwerkzeugeSchreibwerkzeuge, Schreibgewohnheiten Schreibblockaden (in der Regel PapierPapier, Feder und Tinte, Bleistift, Kugelschreiber, SchreibmaschineSchreibmaschine oder ComputerComputer)« und die »Schreibgewohnheiten (Anlaß, Ort, Zeitpunkt, Dauer)« an Gewicht; in ihr werden die »Stimulantien und Surrogate der InspirationInspiration zur Überwindung der oft beklagten Schreibblockaden« sowie auch die »soziale Situation«, die »biographische Lebenslage« und das (womöglich bereits ausgebildete oder auszubildende) ästhetische »Selbstverständnis« hervorgehoben.73Stingelin, Martin
Der Begriff der ›Kreativen Schreib-SzeneSchreib-Szene‹ verdeutlicht so denjenigen des ›Kreativen Schreibens‹, indem beide auf Dasselbe abzielen: Durch die, wie Kaspar H. SpinnerSpinner, Kaspar H. es formuliert, »Aktivierung der Imaginationskraft« ist es möglich, etwas »Neues« respektive »zumindest eine neue Sicht auf Bekanntes« entstehen zu lassen,74Spinner, Kaspar H. indem gewohnte, im Alltag eingeschliffene Vorstellungsmuster schreibend durchbrochen werden können.75 Bei der Kreativen Schreib-Szene und damit auch beim Kreativen Schreiben spielen intensive Wahrnehmungsmöglichkeiten ästhetischer RezeptionserfahrungenÄsthetische Rezeptionserfahrungen eine große Rolle, wie sie wiederum die [33]Ästhetische BildungÄsthetische Bildung stark zu machen vermag, und zwar hier durch die Möglichkeit des schreibenden Subjekts, sich probeweise die Art der Welterschließung zu eigen zu machen, die die Literatur als ästhetisches Objekt präsentiert.76Spinner, Kaspar H.Ästhetische BildungÄsthetikSemiotik
Ausgangspunkt dieser Erfahrung ist die spezifische Gestalt des literarischen Objekts, von dem aus kreativ schreibend Gestaltungs- und Ausdrucksformen für die Wahrnehmungen und Eindrücke gesucht und gefunden werden, die zugleich »Hilfe zur Verarbeitung, zur Klärung und zum Verstehen« der jeweiligen Lebenswirklichkeit bieten; im Produktionscharakter der Kreativen Schreib-SzeneSchreib-SzeneProduktionscharakter der Kreativen Schreib-SzeneSchreib-Szene wird Erlebtes bzw. Rezipiertes in ästhetischer FormForm zum Ausdruck gebracht; es gelangt »vom nicht kommunikablen Inneren nach außen und wird damit für den intersubjektiven Austausch verfügbar«: »Das Hervorgebrachte wird auf diese Weise zu einem Gegenüber, das mit Distanz betrachtet und reflektiert, geteilt und miteinander besprochen werden kann.«77Spinner, Kaspar H.Ästhetische Bildung In der Kreativen Schreib-Szene fallen die wahrnehmend-rezeptive (Aisthesis), die gestaltend-produktive (Poiesis) und die urteilend-kommunikative Dimension (Katharsis) der Ästhetischen BildungÄsthetische Bildung im Sinne von Hans Robert Jauß zusammen.78Ästhetische Erfahrung In ihr ist die Literatur von Anfang an präsent; diese bietet die IdeeIdee, die InspirationInspiration, den Katalysator der KreativitätKreativität, der durch die noch näher vorzustellenden Methoden des Kreativen Schreibens,79Böttcher, Ingrid insbesondere durch Verfahren des antizipierenden, Text erweiternden wie verändernden, analogen und zu Textvorlagen freien Schreibens80Spinner, Kaspar H. zu etablieren ist.
Modell der Kreativen Schreib-SzeneSchreib-Szene (GestaltungGestaltung: Verf.)
Im Vordergrund stehen damit sowohl explizit literarische Schreibübungen wie SchreibverfahrenSchreibverfahren, d.h. schriftlich fixierte, fiktionale Erzählformate, ohne zu übersehen, dass das Kreative [34]Schreiben auch im Bereich des wissenschaftlichen oder professionell-konzeptionellen bzw. journalistischen Schreibens kreative Anwendung findet.81 Das Schreiben in der Kreativen Schreib-SzeneSchreib-Szene fungiert, mit Joachim Fritzsche gesagt, als Lerngegenstand und Lernmedium gleichermaßen:82 Die Textproduktionskompetenz ist für sie und in ihr ebenso zentral wie