Jedem Schreiber geläufig sei die »Tatsache, daß sich gegen das untere Ende einer Seite der Zeilenabstand sowie die Schrift selbst verkleinern«, und dies werfe ein »Licht auf den Zusammenhang zwischen gedanklicher Einheit des zu Schreibenden und materieller sowie visueller Einheit des SchreibraumsSchreibraum«; der »Griff zu einem neuen BlattBlatt« unterbreche »nicht nur den Schreibfluß, sondern auch den visuellen Überblick über das Geschriebene.«126 Auf diesen visuellen Aspekt des SchreibensDer visuelle Aspekt des Schreibens bzw. genauer: des Auf-Schreibens, der für die verbale Kommunikation der GestaltungGestaltung eminent bedeutend ist, wird an späterer Stelle nochmals – schreibpraktisch – zurückzukommen sein.127Handschrift
Ad 3.) Damit nahe verwandt ist die Betrachtung der geschriebenen ›Zeichen‹, die nicht unmittelbar zum Text-Produkt gehören,128BlattHandschriftPapierSchreibprozessGrésillon, Almuth sowie diejenige der benutzten Schreibwerkzeuge, was [45]FlussersFlusser, Vilém Schrift- und MedientheorieMedientheorie schon erwiesen hat; es macht einen enormen Unterschied, ob man mit Federkiel, Schreibkugel/SchreibmaschineSchreibmaschine, Bleistift/Filzstift, Kugelschreiber/Füller, mit Windows-ComputerComputer oder iMac schreibt.129Stingelin, Martin
Ad 4.) Eine weitere Möglichkeit, dem (literarischen) SchreibprozessSchreibprozess auf die SpurSpur zu kommen, besteht nach Grésillion darin, »natürliche Daten«130Grésillon, Almuth»[N]atürliche« Daten des Schreibens zu erheben – in dem Verständnis, den Schreiber als SchriftstellerSchriftsteller direkt (über Werkstattgespräche/Interviews)131 oder indirekt (über Poetikvorlesungen o.ä.)132 zu befragen, nicht ohne das Risiko dieses Vorgehens zu berücksichtigen, d.h. die Ergebnisse mit Vorsicht auszuwerten.133Grésillon, Almuth
Ad 5.) Nicht unterschätzt werden darf, dass für eine solche Textgenetik Sprache weniger als »Informationsträger« denn als »Kunst in statu nascendi« gilt: Schreiben wird dynamisch »in actu«, d.h. in seiner Entstehung rekapituliert – als »Produktionsschritte«Produktionsschritte des Schreibens bzw. »Teilprozesse«, nicht als, wie Grésillion sagt, »›Laborprodukt‹«:
Es geht also darum, diesen Schreibspuren so bis ins letzte Detail nachzugehen, daß die Statik der überlieferten BlätterBlatt als dynamischer Schreibprozeß interpretierbar wird. Konkret gesprochen, bedeutet dies, daß materielle Indizien, insbesondere solche des zweidimensionalen Raumes und des Schriftbildes, zu verwandeln sind in temporale Indikatoren, die ihrerseits etwas auszusagen vermögen über Prozesse und so der Zweidimensionalität der Schrift die dritte Dimension hinzufügen: die Zeit des Schreibens.134
Ad 6.) Wie Sylvie Molitor-LübbertMolitor-Lübbert, Sylvie fasst Grésillion das Schreiben als ein ›Schreiben im Schreiben‹ auf; empfohlen wird, nicht von einem »schemageleiteten ›top-down‹-Modell«, sondern von einem »textgeleiteten ›bottom-up‹-Verfahren«bottom-up-Verfahren statt top-down-Modell auszugehen.135Molitor-Lübbert, Sylvie Hierbei weiß der Schreiber nicht, wohin ihn das Schreiben gleichsam [46]treibt, was mit »Strategien und ziel- wie adressatenorientierten Schemata, die dem Schreiber helfen sollten, sein SchreibproblemSchreibproblem zu lösen«,136Grésillon, Almuth nicht mehr viel zu tun hat.
Damit ist das Element der KreativitätKreativität im Kreativen Schreiben direkt angesprochen; basierend auf den Ausführungen Grésillions muss für dessen Gesamtbestimmung veranschlagt werden, dass sein Prozess zwar deutlich zu initiieren, keineswegs aber eindeutig planbar ist. Mit Gerhard NeumannNeumann, Gerhard gesagt: »[D]ie Festschreibung erst bringt die Wucherung, die Normierung den Exzeß in Gang.«137Neumann, Gerhard Durch die Praktik, IdeenIdee buchstäblich fest zu schreiben, können sie erst wuchern; die Methode, – zunächst – der Norm zu folgen bzw. sie zumindest (auch in der Destruktion) zu bedenken, lässt exzessives Kreatives Schreiben erst entstehen.
1.3. »Wie werde ich ein verdammt guter SchriftstellerSchriftsteller?«
Jürgen LinkLink, Jürgen gibt jedem Schreibenden einen Tipp diskurstheoretischer Prägung:
Abschied vom Ideologem des prädiskursiven, schöpferischen Tiefen-Subjekts; kreativ ist nicht dieses Phantasma, kreativ ist das generative Spiel der Diskurse›How to Write a Damn Good Novel?‹, kreativ sind unsere wechselnden, widersprüchlichen, vielleicht auch gespaltenen Subjektivitäten (im Plural!) des historischen Augenblicks, wie sie auftauchen und zuweilen wieder verlöschen – in Abhängigkeit nicht zuletzt von den Diskursen, die wir leben und die wir, sie lebend, gerade dann am ehesten ändern können, wenn wir sie als unser ›historisches Apriori‹ (FoucaultFoucault, Michel) begriffen haben.138Link, Jürgen
Und Josef HaslingerHaslinger, Josef und Hans-Ulrich TreichelTreichel, Hans Ulrich stellen im Vorwort ihres Suhrkamp-Bandes, der dem vorliegenden Kapitel den Titel leiht139Haslinger, JosefTreichel, Hans UlrichSchriftsteller und seinerseits den Titel eines SchreibratgebersSchreibratgeber James N. FreysFrey, James N. zitiert,140Frey, James N. fest:
[47]Es gibt keinen Königsweg, um SchriftstellerSchriftsteller zu werden. Es gibt noch nicht einmal wirklich brauchbare Rezepte, an die sich derjenige halten kann, der das Schreiben erlernen, der Gedichte, ErzählungenErzählung, Romane oder Theaterstücke schreiben möchte. Ratschläge freilich gibt es viele, sinnvolle und weniger sinnvolle, und darunter auch einige von schlagender Simplizität, gegen die man sich einfach nicht wehren kann […].141Haslinger, JosefTreichel, Hans Ulrich
Beide Zitate geben einen Eindruck von jenen intuitiven Vorstellungen, die der Begriff des Kreativen Schreibens aufzurufen weiß, selbst dann, wird er nur beiläufig genannt. Sind es bei LinkLink, Jürgen die Diskurse, die das Subjekt des Schreibers ablösen, identifizieren HaslingerHaslinger, Josef/TreichelTreichel, Hans Ulrich »literarische Begabung« als »dynamische Größe«: »Wo keine zu sein scheint, kann sich gegebenenfalls noch eine zeigen. Und wo eine zu sein scheint, kann diese sich möglicherweise niemals so produktiv entfalten, wie sie es verdient hätte.«142 Beiden Zitaten gemeinsam ist die Negierung der genieästhetischen Vorstellung vom ›geborenen SchriftstellerSchriftsteller‹Der MythosMythos vom »geborenen Schriftsteller«,143Dichtkunst wobei eine Selbstverständlichkeit und drei Grundvoraussetzungen nicht unterschlagen sind: Selbstverständlich ist es, dass die »Wege künstlerischer und literarischer Entwicklung […] von vielen Umständen und Einflüssen« abhängen und »in der Regel nicht planvoll organisiert und organisierbar« sind; für eine schriftstellerische Entwicklung vorauszusetzen ist (a) »ein starker SchreibwunschSchreibwunschSchreibwunsch, Begabung und BiographieBiographie, wenn nicht gar ein Schreibzwang«, der allerdings »keine Garantie« für gelingendes/erfolgreiches Schreiben darstellt; (b) [48]dasjenige, was »gemeinhin literarische Begabung genannt wird, auch wenn dies schwer zu fassen und zu definieren ist«; und (c) die (wiederum unplanbare, schicksalhafte) »Biographie« als »entscheidende[] Ressourcen literarischer Imagination und Produktivität« (»[s]elbst und natürlich auch dann, wenn nichts davon in einem Werk auftauchen oder jemals thematisch werden sollte«): »Wenn Begabung, Biographie und Schreib-Wunsch auf günstige Weise miteinander kommunizieren, dann hat der Schreibende eine Chance, Schriftsteller zu werden, wenn er es denn unbedingt möchte.«144Haslinger, JosefTreichel, Hans Ulrich
Es gibt, um ein Wort von HaslingerHaslinger, Josef/TreichelTreichel, Hans Ulrich nochmals aufzugreifen, keinen ›Königsweg‹ des Kreativen Schreibens – auch jenseits literarischer Ambitionen. Es gibt stattdessen, wie Fritz GesingGesing, Fritz stellvertretend für viele Schreib-Lehrer sagt, »FormenForm erlebender Darstellung und nacherlebender Rezeption«, »Techniken der Darstellung«: »das Handwerk des Schreibens«Das »Handwerk des Schreibens«.145Gesing, Fritz In Form einer programmatischen Ankündigung des Folgenden lassen sich zwei Implikationen sowohl dieser Behauptung wie