Eine Beobachtung stärkt in diesem Zusammenhang das formulierte Anliegen: Denn je mehr Einfluss Absolventen eines Studiengangs Kreatives Schreiben beispielsweise auf den literarischen Markt (z.B. durch ihre Teilnahme an literarischen Wettbewerben) zweifelsohne üben, umso mehr wird der LiteraturbetriebLiteraturbetrieb (vertreten durch Lektoren, LiteraturkritikerLiteraturkritiker oder andere Literaturvermittler) eine engere Anbindung an die dazu gehörigen universitären Institutionen suchen. In jedem Fall ist der Stellenwert einer Einführung ins Kreative Schreiben im Kontext nicht allein eines Studiums angewandter Literatur- und KulturwissenschaftenKulturwissenschaft oder spezieller etwa auch eines kulturjournalistischen Studiums zu sehen, sondern grundsätzlich in der Auffassung des Schreibens als essentielle kulturelle HandlungHandlungSchreiben als essentielle kulturelle Handlung:14Abraham, UlfMaiwald, Klaus
Wer schreibt, bedient sich einer Technik, die kulturell geprägt ist: Das Zeichensystem ist weitestgehend vorgegeben, die Bewegungen der HandHand erfordern Übung, die Schreibgeräte, zumal heute, sind Produkte eines eigenen Industriezweigs. Und doch erschöpfen sich die SchreibakteSchreibakt nicht in der Reproduktion kulturspezifischer Vorgaben. Schreiben ist eine Technik, durch die Kultur ihrerseits geprägt wird: Ein kulturelles Gedächtnis, ja Kultur überhaupt kann sich ohne Praktiken der Aufzeichnung nicht längerfristig etablieren. Schreibakte sind jedoch nicht nur Aufzeichnungsakte. Es sind auch Akte, in denen Erinnerungen, Erfahrungen und Wissensbestände produziert, artikuliert und organisiert werden.15
Ausrichtung und Gliederung des Bandes leiten sich aus den skizzierten Überlegungen her. Die geplante Forcierung resultiert nicht zuletzt aus eigenen, langjährigen Erfahrungen im Verfassen von Texten unterschiedlicher Schreibgenres wie in der Leitung von Schreibwerkstätten und SchreibworkshopsSchreibworkshop bzw. in der akademischen Lehre im Bereich von TextgestaltungTextgestaltung, MedienästhetikMedienästhetik und LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft. Die konkrete Arbeit mit Studierenden in [16]Lehrveranstaltungen – sei es zu Methoden des Kreativen Schreibens oder ganz generell in der Diskussion selbst geschriebener Texte – als auch der Austausch mit angehenden und etablierten Schriftstellerinnen und Schriftstellern bzw. generell professionell Schreibenden hat die IdeeIdee zum vorliegenden BuchBuch initiiert.16 Aus diesen Erfahrungen heraus ist es auch zu erklären, dass an vielen Stellen das Augenmerk auf Phänomene der digitalen Medien und des Kreativen Schreibens gerichtet wird: Sie sind der Kontext, in dem die zu Grunde liegende Schreib-Lehre stattfindet. Da der Band sich in diesem Zusammenhang auf ein noch wissenschaftlich kaum bearbeitetes Gebiet wagt, konzentriert er sich auf den Versuch einer zwar allgemeinen, doch zugleich auch exemplarischen Systematisierung mit persönlichen Schwerpunktsetzungen. Eine Analyse des forschungsgeschichtlichen StellenwertsForschungsgeschichtliche Analyse des Kreativen Schreibens soll auch daher eine zukünftige wissenschaftliche Verhandlung des Begriffs profilieren (Kapitel 7).
Der Band bietet also insgesamt eine historisch und poetologisch vielschichtige Einführung, da es ja gerade symptomatisch für das Kreative Schreiben ist, dass dessen Gestalt und Potential unter den hier akzentuierten Aspekten noch nie derart untersucht worden ist. Um die Beschäftigung mit dem Kreativen Schreiben – sei es aus historischen, theoretischen und/oder praktischen Gründen – zu erleichtern, wird eine Bibliographie, die relevante Quellentexte sowie die vorliegende Forschungsliteratur nennt, sowie ein Personen- und Sachregister das BuchBuch beschließen. Die im Folgenden versammelten Annäherungen an das Kreative Schreiben erfüllen zuvorderst die Aufgabe, die Leserinnen und Leser mit seinen (maßgeblichen) Theorien und Praktiken, Methoden und Kontexten, Implikationen und Explikationen zu versorgen, mit denen dessen Diskussion, Erforschung und Anwendbarkeit nachvollzogen, erkannt und nicht zuletzt auch vorangebracht werden kann, um Kreatives Schreiben sowohl erfolgreich lernen als auch lehrenKreatives Schreiben lernen und lehren zu können. Der Band will also – im Spannungsfeld zwischen [17]Kunst, GestaltungGestaltung und Handwerk17Ästhetik – in differenzierter Hinsicht Arbeits- und Werkstatt- wie MaterialMaterial- und anleitende Reflexionsgrundlage sein.
[19]1. Was ist Kreatives Schreiben?
Das LichtenbergLichtenberg, Georg Christoph-Wort, demzufolge das ›Schreiben‹ zur »Auferweckung des in jedem Menschen schlafenden Systems« vortrefflich sei, zumal »jeder der je geschrieben hat« feststellen könne, dass »Schreiben immer etwas erweckt was man vorher nicht deutlich erkannte, ob es gleich in uns lag«,18Lichtenberg, Georg ChristophBrief lässt sich in gleicher Weise auf das ›Kreative Schreiben‹ anwenden. Jeder Mensch, so heißt es des Öfteren, besitze ein nicht nur kreatives, sondern auch ein kreativ-sprachliches PotenzialKreativ-sprachliches Potential.19Böttcher, Ingrid Die darin zum Ausdruck kommende Vertrautheit und Alltäglichkeit in der Rede von ›KreativitätKreativität‹ und ›Schreiben‹, die somit davon ausgeht, dass beides jedem Menschen (bei)gegeben ist, sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Versuche, beide Begriffe näher zu fassen sowie das ›Kreative Schreiben‹ eingehend zu reflektieren, keine Selbstverständlichkeit sein kann: Schreibtheorien wie Schreibpraktiken müssen zuvorderst mit begrifflichen Entscheidungen zu Rande kommen, die zwischen Alltagswelt und Wissenschaft changieren und die einen ersten Eindruck davon geben, was sich hinter der Wortschöpfung ›Kreatives Schreiben‹ überhaupt verbirgt.
Allgemeine Begriffsbestimmungen dieses Feldes sind keine Seltenheit; sie betonen in der Regel ein Denken und Handeln im und durch das Schreiben; hervorgehoben wird dabei vor allem dessen Neuigkeitswert –Neuigkeitswert des Schreibens zum Beispiel die entstehenden Produkte, die neuartig und wertvoll sind, wobei auch der Weg, der zum Produkt führt, ebenso neuartig sein kann wie die Weise, in der Schreibender und Schreiben wahrgenommen, gefühlt, erkannt oder gedacht werden.20Kreativität In der begrifflichen Auseinandersetzung mit dem ›Kreativen Schreiben‹ zeigt sich häufig eine »klassisch-hermeneutische [20]Metapher«, nämlich diejenige des »Sich-aus-drückens« bzw. des »Etwas-aus-sich-herausdrückens«.21Link, JürgenFoucault, Michel
Im ›Kreativen Schreiben‹ versucht man, so die hier zugrunde liegende Hypothese, sich selbst zu entfaltenSelbstentfaltung bzw. sich selbst zu verwirklichen,22 um zu versuchen, ein ›Modell menschlichen Wohlbefindens‹23 zu erreichen. Das Prädikat eines Neuigkeitswerts der angewandten SchreibverfahrenSchreibverfahren und FormenForm bleibt für solche, ihre psycho-therapeutische Seite unterstreichenden Schreibweisen,24Barthes, Roland die mit dem Begriff des Kreativen Schreibens belegt werden, bestehen, nicht ohne allerdings eine grundlegende ästhetische Innovation im Kontext von Literaturlandschaft und LiteraturgeschichteLiteraturgeschichte in Frage zu stellen.25
1.1. Begriffliche Annäherungen
Die Frage nach einer Beschreibung von dem, was ›Kreatives Schreiben‹ begrifflich bedeutet, führt bei genauerem Blick auf eine Entwicklung innerhalb zeit- und wissenschaftskritischer Strömungen und Tendenzen; die Frage, was ›Kreatives Schreiben‹ ist, führt zwangsläufig zu etablierten Diskursen der Geisteswissenschaften bzw. der New HumanitiesNew Humanities26Kulturwissenschaft und den mit ihnen hier verbundenen Fragen wiederum begrifflicher Natur: Was ist Literatur?Was ist Literatur?27 Was ist das Wesentliche am Prozess der KreativitätKreativität? Und was dasjenige an dem künstlerisch-gestalterischen Schaffens? Für das ›Kreative [21]Schreiben‹ hinzu kommt ein pädagogischer Aspekt, denn gefragt wird in diesem Zusammenhang immer auch, wie sich ›Literatur‹, ›Kreativität‹ bzw. ›Kunst‹ und ›GestaltungGestaltung‹ erlernen lassen.28New Humanities Dazu hat die Begriffsgeschichte des ›Kreativen Schreibens‹ eine bedeutende historische Hinweisfunktion, denn seine Theoretisierung setzt etwa zur selben Zeit ein, in der sich auch die Literatur- und SprachwissenschaftenSprachwissenschaft im anglo-amerikanischen Raum in einer für sie zentralen Krise befanden und sich die Verwendung des Ausdrucks ›Kreatives Schreiben‹ in seiner ursprünglich englischen FormForm als Creative WritingCreative Writing im genannten Sprachraum in der heutigen Bedeutung zu etablieren beginnt.29BuchBereiter, Carl Dazu parallel verlief das Bestreben, das Studium der ›Literatur‹, das in den Vereinigten Staaten