Demokratietheorien. Rieke Trimcev. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rieke Trimcev
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783734412417
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zwar beginnen wir dabei mit den richtigen Verfassungen, denn sind diese erst festgestellt, so müssen sich daraus auch ihre Abarten ergeben. Da nun Staatsverfassung (politeía) und Staatsregierung (políteuma) ein und dasselbe bedeuten, die Staatsregierung aber die oberste Gewalt (kýrion) der Staaten (pólis) ist, so muß diese Gewalt entweder von einem oder von wenigen oder von der Mehrzahl des Volkes repräsentiert werden. Wenn dieser eine oder diese wenigen oder die Mehrzahl des Volkes bei ihrer Regierung das allgemeine Wohl im Auge haben, so ergeben sich in allen drei Fällen richtige Verfassungen, wenn aber nur den eigenen Nutzen des einen oder der wenigen oder der großen Mehrzahl, dann bloße Abarten, denn entweder verdienen die Teilnehmer gar nicht den Namen von Staatsbürgern (polítes), oder aber sie müssen auch alle Anteil an den Vorteilen haben. Diejenige Art von Alleinherrschaft nun aber, welche auf das Gemeinwohl ihr Augenmerk richtet, pflegen wir Königtum (basileía) zu nennen, die Herrschaft von wenigen, aber doch immer von mehr als einem Aristokratie, sei es nun, daß dies heißen soll Herrschaft der Besten oder daß es bedeutet, ihr Zweck sei das Beste des Staates und der Gemeinschaft; wenn endlich die Mehrzahl des Volkes den Staat mit Rücksicht auf das Gemeinwohl verwaltet, so wird dies mit dem gemeinsamen Namen aller Verfassungen, nämlich Politeía benannt. Dies mit Recht: denn daß ein einzelner oder eine Minderzahl sich durch besondere Tugend (areté) auszeichnet, kann leicht vorkommen, daß aber eine größere Zahl es zu jeder Art von Tugend im strengen Sinne bringt, ist schon eine schwierige Sache, und am ehesten ist dies noch möglich in bezug auf die kriegerische Tüchtigkeit, denn das ist eine Tugend der Massen. Daher ist auf Grund dieser Verfassung die oberste Staatsgewalt bei der wehrhaften Bevölkerung, und diejenigen, welche an den Staatsrechten teilhaben, sind hier die Waffentragenden.

      (2.) Die Abarten der genannten Verfassungen sind nun aber: vom Königtum die Tyrannis, von der Aristokratie die Oligarchie und von der Politeía die Demokratie. Denn die Tyrannis ist eine solche Art von Alleinherrschaft, welche lediglich zum Vorteil des Monarchen, Oligarchie eine solche Herrschaft, welche zu dem der Reichen, und Demokratie eine solche, welche zu dem der Armen geführt wird, und auf das, was dem ganzen Gemeinwesen frommt, sieht keine von ihnen.

       Aristoteles: Politik III, 1278b6-1279b10. Nach der Übersetzung von Franz Susemihl mit Einleitung, Bibliographie und zusätzlichen Anmerkungen von Wolfgang Kullmann. © Reinbek: Rowohlt 1994, S. 139-142

      Interpretation

      Die Politik des Aristoteles ist Teil der praktischen Philosophie und Fortsetzung der Ethik. Sie fragt nach den Bedingungen und Formen, Regeln und Normen des menschlichen Handelns, um herauszufinden, was für den Menschen das Gute ist (anthrópinon agathón). Gut für den Menschen ist ein glückliches Leben, weshalb sich die praktische Philosophie auf die Frage nach dem Weg zum Glück bzw. zur Glückseligkeit (eudaimonía) konzentriert. Im Unterschied zu Platon geht Aristoteles dabei nicht von der Idee des Guten aus, sondern von der empirischen Realität. Er will kein Ideal begründen, sondern untersuchen, welche Möglichkeiten sich unter den gegebenen geschichtlichen Bedingungen eröffnen. Zu diesem Zweck zerschlägt er den Begründungszusammenhang der Philosophie Platons und legt ihn in seine Einzelbestandteile auseinander, die er dann neu sortiert und komponiert. Während nach Platon allein den ewigen und unveränderlichen Ideen wahres Sein zukommt und die empirischen Erscheinungen als bloße – mehr oder weniger gelungene oder missratene – Abbilder derselben gelten, verwirft Aristoteles die Ideenlehre. Er ist zwar ebenfalls überzeugt davon, dass die Wissenschaft nicht bei der ungeordneten Vielfalt der einzelnen und unverbundenen Erfahrungstatsachen stehen bleiben kann, sondern das ihnen Gemeinsame und Allgemeine zu erkennen hat, doch sucht er dieses nicht hinter, sondern in den Einzeldingen. Er findet es in der ewigen „Form“, die als schaffendes Prinzip (Entelechie) den Primat über die Materie besitzt und ihr Gestalt, Bewegung und Veränderung vermittelt (vgl. Metaphysik I (A), 9; II (B), 3, 4; XIII (M), 4).