„Ich habe Handschuhe genäht und mich mit Gina unterhalten. Sie hat mir coole Geschichten erzählt, willst du sie hören?“
„Echt?“
„Natürlich, du kleines Dummchen!“
„Man munkelt, du wärst eine Mörderin, Jana. Ist das wahr?“
„Wer hat das gesagt?“
„Die dicke Brasilianerin. Ihr Fenster ist da gegenüber, siehst du?“
„Ach, die. Na ja, ich muss sie mir doch alle irgendwie vom Leib halten. Die sind ja wie wilde Affen. Wie du siehst, kann man durch Abschreckung die eigenen Überlebenschancen erhöhen, nicht wahr?“
„Das hast du also nur erzählt, damit sie Angst vor dir kriegen? Hahaha! Du bist erfinderisch! Und wofür bist du wirklich hier?“
„Für illegale Autorennen. Hier sind meine Unterlagen, lies sie.“
„Tja, wie ich sehe, hast du da gute fünf Jahre Freiheitsentzug vor dir.“
„Ich hoffe, ich werde freigesprochen. Ich bin ja unschuldig.“
„Die Unschuld ist ein Knastparadoxon. Was schreibst du?“, fragte Roxana mit einem Blick zum Papierstapel auf dem Tisch.
„Ein Buch.“
„Ach ja, genau, du hast so was erwähnt. Schreib über mich, über mein vielseitiges, lehrreiches Leben, deklariere das Buch als ‚ab 18‘ und sag dazu, dass es ein lehrreiches Buch sei, dessen Sinn in einem kurzen Satz besteht, und zwar: ‚So was darf man nicht tun.‘“
„Du hast gesagt, dass du wegen der Liebe brummen musst?“
„Ja, und überhaupt bin ich zu dem Schluss gekommen, dass der Penis eine Massenvernichtungswaffe ist!“
„Wohl wahr, aber diese Waffe hat öfter mal Ladehemmungen.“
Wir lachten. Die Antipathie zwischen uns zerfiel zu Staub und wir lächelten einander aufrichtig zu.
„Da hast du meine Akte, lies sie dir durch.“
„Okay, gib her, ich lese sie. Aber schreiben über dich kann ich erst dann, wenn ich mein erstes Buch fertig habe.“
„Wie lange musst du noch daran schreiben?“
„In ein paar Tagen bin ich fertig. Später, zu Hause, tippe ich den Text auf dem Computer ab.“
„Zu Hause? In fünf Jahren? Ich lese da über deine Abenteuer und kann nur eins sagen, Jana, du bist echt geil!“
„Hast du Handcreme? Meine Haut ist ganz trocken geworden.“
„Ja, du kannst sie dir aus meinem Spind holen.“
„Oho! Du hast aber viel Shampoo da! Und sogar ein Duschbad.“
„Hahaha! Mein anständiger Ehemann hat mir das gebracht. Anscheinend kann er sich kein reales Bild davon machen, wo sich seine geliebte Frau gerade aufhält. Und wie cool es ist, sich in einem Zuber waschen zu müssen, der unter dem Waschbecken steht, indem man einen Fuß gegen den Spülkasten stemmt und die französische Duschmilch mit ihrem unnachahmlichen Aroma ins Wasser gießt.“
„Witzig.“
„Ich finde das nicht besonders witzig.“
„Was macht dein Mann, Jana?“
„Er ist ein intelligenter Mann, Direktor bei einer großen Züricher Firma.“
„Praktiziert er die scheinheilige Religion des Geldes?“
„Was meinst du?“
„Ich meine, dass die einfachen Leute nicht verstehen können, wofür man manchen Leuten 20.000 Franken Monatsgehalt zahlt! Was muss man dafür tun? Einen Vertrag mit dem lieben Gott unterschreiben?“
„Du hast nicht ganz unrecht. Aber ich bin der Meinung, dass man dafür auch ein bisschen mehr wissen muss als die anderen, nicht wahr?“
„So ist eben die Schweiz.“
„Aber die Prostituierten verdienen hier auch sehr gut. Sogar mehr als manche Direktoren.“
„Ich habe bestimmt alle übertroffen! Ich bin eigentlich spitze!“, sagte Roxi mit funkelnden Augen. Das erweckte natürlich mein krankhaftes schriftstellerisches Interesse.
„Ich schreibe deine Geschichte in ein paar Tagen. Du hast mich neugierig gemacht. Ich habe so eine Sehnsucht nach zu Hause, Roxi. Wo ist mein Mann jetzt? Vielleicht spielt er Golf, raucht eine dicke Zigarre und überlegt sich gelangweilt, womit er sein Frauchen im Knast noch verwöhnen könnte. Ich glaube, das nächstes Mal schleppt er eine Weinkaraffe an.“
„Hahaha! Klasse! Du hast Glück. Apropos, deine Klamottenkiste riecht nach Männerparfüm.“
„Ab und zu schenkt mir mein Mann Sachen, die er mit seinem Lieblingsparfüm beträufelt. Er hat mir sogar seinen Kaschmirschal gebracht und erklärt, dass wir nun in unserer Familie einen eigenen Feiertag haben, den fünften Januar, an dem wir ein Fest der Zärtlichkeit feiern. Alle Familienmitglieder sollen einander Schals schenken, die jeweils mit dem persönlichen Parfüm eingesprüht sind. Sie sollen nicht nur die Hälse, sondern auch die Herzen der einander liebenden Menschen erwärmen. Ich habe ihm also einen Schal zu präsentieren, nachdem ich freigelassen bin. So hat er mich mit Schulden beladen.“
„Was für ein Prachtkerl! Ein Romantiker!“
„Ja, ich habe echt Glück mit meiner Familie.“
„Du bist also aus dem fürstlichen Palast direkt mitten in der Welt der gemeinen Leute gelandet.“
„Zum Unglück oder Glück musste ich die Welt der obdachlosen Huren, der Heroinabhängigen und Kinderschänder kennenlernen. Das ist nicht mein Leben, das ist die wahre Hölle für mich. Vielleicht bin ich naiv, aber was ich gesehen habe, hat mich tief beeindruckt und eindeutig unvergessliche Spuren in meiner Seele hinterlassen.“
„Die Hölle ist es, wenn dein Liebster dir nicht einmal eine Schachtel Zigaretten bringt.“
„Männer, die ihre Frauen lieben, bringen ihnen keine Zigaretten, sondern achten auf ihre Gesundheit. Das liegt an dem Gewerbe, in dem du tätig bist, Liebes! Er hat keinen Respekt vor dir.“
„Ach, laber keinen Unsinn! Es gibt jede Menge Männer, die Prostituierte heiraten!“
„Das streite ich ja gar nicht ab. Es bedeutet bloß, dass dein Lieblingsmann ein Arschloch ist.“
„Ich bin Prostituierte, aber während des letzten Jahres habe ich mit keinem Mann Sex gehabt. Kannst du das glauben?“
„Warum das denn? Hast du denn nicht gearbeitet?“
„Ein Jahr lang nicht. Ein paar Monate vor der Verhaftung habe ich noch gearbeitet, aber ich bin schlau genug gewesen, mich nicht mit ihm zu treffen. Davor war ich zu Hause bei meiner Mutter. Habe Beruhigungsmittel eingenommen. Ich liebe ihn so, dass es mich bis jetzt mit anderen Männern ankotzt. Weißt du, es ist mir sogar egal, dass ich im Gefängnis bin. Kannst du dir das vorstellen? Die letzte Zeit habe ich so gut wie nicht gelebt, konnte nicht einmal durchatmen.“
„Es ist eine Sünde, sich seines Lebens nicht zu freuen! Bist du aus Rumänien zu ihm gekommen?“
„Nein. Oder vielleicht doch. Ich kann diese Frage nicht beantworten, weil ich mich manchmal selbst betrüge.“
„Aber mach dir lieber keine vorschnellen Hoffnungen auf mich. Ich sage dir Bescheid, wenn ich so weit bin. Ich will zuerst alles von Anfang bis Ende ausführlich von dir hören.“
„Wie du willst. Ich muss mich übrigens auch in meiner neuen Rolle als Strafgefangene zurechtfinden und den Gehorsam und das andere Denken einüben …“
Der nächste Tag war ein wahrer Albtraum! Als ich zum Spaziergang die Treppe hinunterstieg, traf ich zum ersten Mal in meinem Leben eine