»Und diese schrecklichen Ringe auf den Oberarmen?« Jakob deutete auf Narben, so breit und tief, daß man sie als, wenn auch verkalkte Abflußrinne hätte benutzen können.
»Das war mir auch neu. Ich habe mich an Photos von Bräuchen der Körpertätowierung durch Schnittwunden erinnert. Sakrifizierung nennt sich das. Ein sehr interessantes Feld für die Bildung von Narbengewebe. In unserem Fall dürften es Schlingen gewesen sein, die langsam zusammegezogen wurden. Vorzugsweise Metall, aber auch Nylon wäre denkbar. Mir scheint, unser Freund hat experimentiert, bevor er zufrieden war.«
»Womit zufrieden, um Himmels willen?«
»Narbenbildung, Wundränder, Blutungsintensität. Beschäftigen sie sich mal mit Sadisten, Kommissar, auch hier regiert zuweilen der handwerkliche Anspruch. Was gegen meine Unterweltthese spricht, zugegeben. Reine Warengesellschaft, keine Handwerkstradition.«
»Dann könnte auch der jahrelang Quälende sie getötet haben?«
»Warum nicht? Aber das ist spekulativ. Kommen wir zum Ende der äußeren Situation. Ich denke, für den inneren Befund ziehen wir uns in mein Büro zurück.« Er hob an einer Schulter und Hüfte die Leiche an und deutete auf den Rücken. »Eine Peitsche hat er auch benutzt, unser Landschaftsgärtner. Ebenfalls über einen langen Zeitraum, das Narbengewebe überlagert sich. Leder würde ich annehmen, vier bis sechs Zentimeter breit, auch wenn ich das nicht mit Sicherheit sagen kann, da die Oberhaut so großflächig vernarbt ist, daß sich kaum die Richtung der Peitschenhiebe feststellen läßt. Falls sie sein Werkzeug finden, wird Gewebe im Leder zurückgeblieben sein. Beweistechnisch haben Naturprodukte ihre Vorzüge.«
»Leider haben wir nichts gefunden.«
»Suchen Sie die Folterkammer. Privat, dezent, schallisoliert. Mit Peitsche und Kippen allein geben sich diese Ehrenmitglieder unseres Geschlechts nicht zufrieden, es braucht Raum, um eine Frau so zuzurichten«, sagte der Rechtsmediziner. »Und wo immer das hier geschehen ist, gibt es Blut, das sich nicht verbergen läßt. Und sei es unter Wandfarbe oder Putz. Viele kleine Lavaspritzer warten erkaltet darauf, daß Sie sie finden.«
Dr. Cumloosen ließ die Leiche vorsichtig wieder auf den Rücken absinken und deutete auf ihren Brustkorb. »Bei den Hautverletzungen ist es nicht geblieben. Acht Rippen waren gebrochen, zwei davon scheinen mir die ältesten Verletzungen an diesem armen Körper zu sein. Zusammen mit einer sehr unangenehmen Splitterfraktur des Brustbeins und der rechten Clavicula circa fünfzehn Jahre alt, entstanden, als das Längenwachstum des Knochenapparates noch nicht ganz abgeschlossen war.«
»Könnte Sie einen Unfall als Jugendliche gehabt haben?«
»Naheliegend, aber unwahrscheinlich. Keine der Frakturen ist medizinisch versorgt worden. Ich gebe einen aus, wenn Sie in ihren Krankenunterlagen etwas über einen Treppensturz oder wie man das in solchen Fällen nennt, gefunden haben.« Er sah Jakob fragend an.
»Das muß ich noch ermitteln. Ihre Papiere waren gefälscht.«
»Sie ist seit über einem Jahr unser Gast.«
»Der Kollege hat es mit der Bandscheibe.«
»Wie auch immer. Kommen wir zu den frischen Arbeiten, die der Mörder vorgenommen hat. Zunächst einmal müßte Ihnen aufgefallen sein, daß die rechte Schulter unseres Gastes etwas Unvollständiges hat.« Cumloosen deutete auf die freiliegenden Schultergelenkknochen. »Er hat den Deltamuskel von Schulter und Oberarm gelöst und, als sei das noch nicht genug, schließlich die linken Adduktoren herausgeschält.« Er deutete sich in den Schritt, hob ein Bein und zeigte auf seine Leiste. »Post mortem glücklicherweise. Übrigens sind das die Muskeln, mit denen man auf dem Pferderücken die Knie und ohne Pferd einiges andere zusammenklemmt.«
»Auch ästhetisch ansprechend?«
»Durchaus, zumal unser Opfer sehr muskulös im Schulterbereich war. Vermutlich hat sie Sport getrieben oder hatte mal einen körperlichen Beruf.«
»Ist es nicht schwierig, die Adduktoren zu entfernen?«
»Für mich nicht.«
»Also ein medizinisch vorgebildeter Täter?«
»Das ginge mir dann doch zu weit. Sowas lernt man spät, nicht mal als Chirurg, eigentlich nur in meinem Metier. Das ist die einzige Facharztausbildung, die etwas vom Schlachtergewerbe hat.«
»Die linke Hand fehlt.«
»Auch sie wurde fachgerecht abgetrennt. Ich vermute ausgezeichnetes Werkzeug, das verdeckt eine Menge mangelndes Geschick. Vielleicht kümmern Sie sich eher darum als um einen irren Rechtsmediziner ...«
»..., den Narbengewebe fasziniert«, ergänzte Jakob.
»... und der seine künstlerische Ader an Menschenfleisch auslebt.«
»Was ist mit der Tätowierung?« Jakob deutete auf den Oberbauch.
»Gute Frage, sieht ein bißchen aus wie bei den Cowboys, finden Sie nicht? Bonanza an der Havel. Da ich nicht weiter wußte, habe ich damals schon ein paar gute Photos gemacht. Außer, daß es sich nicht um ein Brandzeichen, sondern um die Aufbringung von Farbe handelt und sie ebenfalls postmortal zugefügt wurde, zwei, drei Stunden nach dem Exitus und nicht in tiefere Schichten der Epidermis eingedrungen ist, fällt meiner Profession nichts dazu ein. Vielleicht fragen Sie im Milieu, das hatten wir ja schon.«
Die inneren Verletzungen Sarah Schuberts, denen Sie sich bei einem Kaffee, den Jakob nicht anrührte, im Büro des Rechtsmediziners widmeten, waren weniger ästhetisch. Teils lange zurückliegende Verletzungen von Schamlippen und Vagina hatten zu so weitreichenden Vernarbungen geführt, daß Cumloosen tröstend hinzufügte, sie habe wenigstens auch nichts Schlimmes mehr spüren können.
Gebärmutter und Eierstöcke zeigten Narben einer alten, schweren Entzündung. Vermutlich, wenn auch zu spät, um spurlos abzuheilen, antibiotisch behandelt. Sie mußte hohes Fieber gehabt haben, vielleicht fände sich wenigstens darüber ein Beleg in irgendeiner Krankenakte. An sich sei das ein Fall für stationäre Behandlung, aber wer weiß, das Milieu und so weiter. Abgetrieben oder ein Kind geboren hatte sie nicht. Wenn die Metritis früh aufgetreten sei, wofür einiges spreche, sei sie dazu auch gar nicht in der Lage gewesen.
»Dieser Schoß war nicht fähig, ein Nest für ein Menschenküken zu bilden, akute Einsturzgefahr,« faßte der Rechtsmediziner zusammen. Was immer dieser Tod noch gewesen war, Erlösung sicherlich auch. Wenn Sarah Schubert ein schönes Leben gehabt hatte, dann mußte es lange zurückliegen oder gerade erst begonnen haben.
V
In den letzten Jahren hatte Hanna den Zug verloren. Die Rabattmarkenhefte füllten sich widerborstig langsam und zwischen Pieper und Bereitschaftsliege verabschiedete sich der Schlaf.
Wie müde kann ein Mensch sein? Sickernd und knirschend füllt Sand jede Ritze, zwängt sich zwischen die Zehen, gerade dann, wenn sie Halt suchen, die verlorenen Glieder. Nicht jeder muß fallen, aus dem Pleistozän säuselnde Vergeblichkeit tut es auch.
Vor einem Jahr schob man Hanna, die sich die Sandkörner schon aus den Ohren schüttelte, auf die Innere II, nachdem ein Kollege sich unfreiwillig in die Geschlossene hatte verlegen lassen. Dort zogen die Zwölftoner in ihren Arbeitsalltag ein.
Es hatte sich gut leben lassen mit ihrer zwitschernden Haubenmeise, den nur von der großen Frau vernommenen Tönen. Bis zur Inneren II. Es war zu dissonant dort und darunter bodenlos still. Nicht wie auf der Kinderonkologie, wo der nahende Tod halbfertiger Menschlein allen den Atem raubt. Oder der Neurochirurgie, wo Hirne aus Zusammenhängen fallen. Die Innere II war