Beide warteten, daß der andere den Weg zum Schuppen als erster einschlug. Pentas größere Geduld gewann und der Mann stapfte los.
»Es ist ein Zeesenboot, allerdings in schlechtem Zustand. Ich weiß nicht, ob da überhaupt noch was zu machen ist.« Vor der Schuppentür stutzte er. »Da hat uns jemand die Arbeit abgenommen. Das Schloß ist aufgebrochen. Möchte mal wissen, was es hier zu klauen gibt.«
»Vielleicht hat ein Obdachloser einen Platz für die Nacht gesucht.«
Er sah sie belustigt an. »Die Gegend ist ziemlich weitläufig, da muß man gut zu Fuß sein, und wer von denen ist das schon.«
»Vor Regen flüchten mußte wohl auch niemand.«
»Der letzte dürfte schon wieder vier Wochen her sein, aber ich war auch lange nicht hier, um nach dem Rechten zu sehen.« Der Mann öffnete die knarzende Holztür bis zum Anschlag. Im einfallenden Sonnenlicht tanzten die Staubflocken verärgert über die Ruhestörung.
Im vorderen Teil des Schuppens setzte sich die chaotische Versehrtheit des Hofes fort. Altes Werkzeug, ein einarmiger Schaukelstuhl, ein rostiger Heuwender, ein gewaltiger Berg aus Autoreifen, die auf eine zweite Chance zu einem Leben im Kreis warteten. In der Tiefe des Schuppens öffnete sich eine aufgeräumte Freifläche. Irgendjemand hatte dort sogar einmal gefegt. Und da lag es, gestrandet, hilflos, nackt, das Boot. Ein Zeesenboot, oder was davon übrig war. Es nahm die ganze Breite des Schuppens ein, seine ehemals majestätische Kraft grummelte im Untergrund. Penta hörte das Wasser an seinen Bug klatschen und den Wind im schweren Rahsegel tanzen. Sie roch die See, den Tang, sah die Fische vorbeiflitzen.
»Das ist es, ich weiß, es sieht schlimm aus. Was meinen Sie?«
Penta beachtete ihn und seine Frage nicht und umrundete das Boot. Beide Masten waren gebrochen, der Großmast lag zersplittert, geprügelt neben dem Boot im Staub. Von den braunen Segeln war nur noch ein achtlos auf dem Vorderdeck abgelegter Brei übrig. Der Schiffsrumpf war an vielen Stellen zerstört. Mangelnde Pflege, unsachgemäße Reparatur und rücksichtslose Fischer hatten dem Boot das Rückgrat gebrochen. Der Wasserfluß durch den Fischkasten hatte sein übriges getan, seit über hundert Jahren. Dieses Zeesenboot war eine Antiquität, nicht gebaut für den miefigen Sozialismus und nicht für den Irrsinn der Überflußgesellschaft. Sie kannte seine Wunden aus den Nächten, zumindest die oberste Schicht, das Herumstrolchen und Schauen war für den Mann. Das Boot und sie lehnten die Schultern aneinander und atmeten längst gemeinsam.
»Ich mache es«, sagte sie nach einer Zeit, die sie bei diesem märkischen Cowboy für angemessen hielt. »Ich brauche die Papiere des Bootes, wo Sie es gekauft haben und wann. Wie war der Transport, seit wann liegt es hier. Was wissen Sie über den Vorbesitzer, seine Geschichte.« Sie sah ihm ruhig mitten ins Gesicht hinein, in rehbraune, allzu braune Augen.
»Die Papiere können Sie haben.« Er begann ohne jedes erkennbare System, seine Hosentaschen zu durchsuchen. »Was kostet denn der Spaß, das müßte ich schon vorher wissen?«
»Sie bezahlen, was Sie können, so mache ich das immer. Sie bekommen von mir ausgezeichnetes Handwerk, das seinen Preis hat. Angemessen, wir werden uns einig.«
Skeptisch streckte er ihr die gefundenen Papiere entgegen. »Das heißt, ich muß mich einfach darauf einlassen und Ihnen vertrauen?«
»Ich brauche mehr Unterlagen und Informationen über das Boot. Sie bekommen von mir einen Vertrag und ich von Ihnen eine befristete Einzugsermächtigung ...«
»Das ist nicht Ihr Ernst, ich kenne Sie doch gar nicht!«
»Das beruht auf Gegenseitigkeit. Nur, daß Sie an mich auf Empfehlung gekommen sind. Fragen Sie dort nach, ob es Schwierigkeiten mit den Finanzen gab.«
Sie entfaltete die Papiere und stutzte. »Wer ist das? Das Boot gehört Ihnen nicht.«
»Das Boot gehört meinem Sohn. Die Papiere sind auf seinen Namen ausgestellt, er trägt den seiner Mutter. Ist das etwa ein Problem?« Er steckte die Hände in die Hosentaschen.
»Wieso haben Sie das verschwiegen? Wo ist Ihr Sohn?«
»Sie sollen das Boot reparieren. Was geht Sie mein Sohn an?«
»So wird das nichts, ich lehne Ihren Auftrag ab. Bemühen Sie sich nicht, ich finde allein raus.« Penta wendete sich zum Gehen.
Er stellte sich ihr in den Weg. Kein Rehbraun mehr. Schwarz. Tief, dunkel, zornig. »Sie können nicht einfach gehen. Was ist denn das für ein Scheiß? Was stört Sie an meinem Sohn?«
Penta drehte sich langsam zum Boot und legte die Papiere auf das Achterdeck. Ihre Hand zitterte. Ein geschlossener Raum, hinter ihr das Boot, die Schuppenwand. Vor ihr dieser Kerl. Der Ausgang weit, Eiche am Waldrand. Die Stöße begannen in der Mitte ihrer Wirbelsäule. Leise. Auf und nieder. Ruhig bleiben. Konzentrieren und reden.
Sie drehte sich um und sah ihm an den Hals. »Ihr Sohn ist mir völlig gleichgültig«, gurrte sie wie eine schläfrige Taube. »Sie waren nicht aufrichtig, das ist es. Ich mache keine Geschäfte bei unklaren Verhältnissen. Es tut mir leid um das Boot, aber ich verhandle nur mit seinem Besitzer. Und jetzt möchte ich gehen.«
Ihr Fluchtweg führte über die Autoreifen. Sie mußte im Moment des Loslaufens nach Eiche pfeifen. Sie war schnell.
Die Körperhaltung des Mannes entspannte sich, er lächelte fast. »Überhaupt kein Problem, sie können mit meinem Sohn verhandeln. Ich wollte ihn nur überraschen, ihm eine Freude machen. Aber so ist es auch gut. Ich kann ihn holen, warten Sie doch einfach«, schlug er vor und bewegte seinen massigen Körper zwei Schritte auf sie zu.
Wie ein Schaufelbagger, schoß es Penta durch den Kopf, die alle Konzentration brauchte, um nicht zurückzuweichen. Die Messerscheide glühte an ihrer Hüfte. Sie ließ den Stapel Autoreifen in ihrem Augenwinkel ruhen und zwang ihre Wangen zu einem Lächeln. »Na, wenn das so ist, rufen Sie ihn auf seinem Handy an. Lassen Sie uns rausgehen, da ist der Empfang besser.«
Nun grinste er über das ganze Gesicht. »Er hat kein Handy. Ich hole ihn, dann wird sich alles klären.« Das Reh war zurück. »Ist vielleicht gut, daß ihr Euch kennenlernt. Sie haben ihm sicher einiges zu erzählen über sein Boot.« Er beugte sich zu ihr vor, über sie.»Bitte, gehen Sie nicht weg, wir sind schnell zurück.« Eifrig stiefelte er zu seinem offenstehenden Prärieauto. Als er sich noch einmal umdrehte, hatte er tatsächlich rote Wangen. »Nicht weggehen. Sie können sich ja schon mal das Boot genauer ansehen.«
Sie folgte ihm langsam vor den Schuppen. Er knüppelte den Rückwärtsgang rein, wiederholte seinen Ankunftsbogen und schoß, erneut eine Wolke verbreitend, vom Hof. Penta atmete tief durch.
Nicht weglaufen. Warte ruhig. Sie wandte sich zum Waldrand und zeigte Eiche durch eine begütigende Handbewegung an, daß alles in Ordnung war. Die Stößewichen wie in eine überflutende Landschaft aus der Wirbelsäule in Arme und Beine aus. Sie ging zurück zum Schuppen und näherte sich dem Boot. Kaum hatte sie die Hand am Bug, ebbten die Stöße vollständig ab. Sie sprang über die Reling und hockte sich an den Rumpf, berührte das Boot mit so viel Haut wie möglich. In der Nacht würde sie wiederkommen und sich ein Mauseloch graben, für alle Fälle.
Es war kaum Zeit vergangen, als sie in der Ferne den Motor des Geländewagens wieder hörte. Wie eine aufgescheuchte Katze sprang sie auf den Boden des Schuppens und hastete zur Tür. Als der protzige Koreaner auf den Hof bog, stand sie mit überkreuzten Beinen an einen Stapel Paletten gelehnt. Wieder der Cowboyschwung des Wagens, das schwere, breitbeinige Springen, die offenbleibende Fahrertür.
Durch den wirbelnden Sand glaubte sie zunächst an eine Täuschung, als sie etwas langsam hinter der Beifahrertür auf den Boden sinken sah. Klobige Boots, in denen spindeldürre Beine steckten. Den Rest des Wesens verdeckte die Autotür. Der Auftraggeber stapfte auf sie zu. »Darf ich vorstellen, mein Sohn, Ihr Auftraggeber«, griente der rehäugige Bär und deutete zum Auto.
Ein erschreckend schmales