Mann und Frau und Reisehunger. Karsten Meyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karsten Meyer
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783946769118
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Schließlich war ich erfolgreich und bekam ein ums andere Mal klimpernde Medaillen um meinen Hals gehängt. Spartakiade-Siegerin.

      Da war er wieder, dieser Teil der Wortfamilie. Hervorgegangen aus dem Ortsnamen Sparta. Von hier, dem beschaulichen Griechenland, nahm die Bewegung ihren Lauf und machte vor meinem Leben nicht Halt. Heute stehe ich am Ortseingang mit dem in meinen Ohren so verheißungsvollen Namen Olympia. Ein kleines verschlafenes Nest. Mit niedlichen Pensionen für den einen oder anderen Wanderer oder anderweitig aktiv Reisenden. Denn ganz ehrlich. Hier braucht man heute ohne atmungsaktive Kleidung und einem Gelsohlen-Leichtlaufschuh gar nicht erst aufzuschlagen. Hm, haben wir gar nicht bei uns und sind trotzdem da. Halt inkognito. Es sieht uns ja keiner, weil einfach niemand da ist.

      In diesen Tagen, kurz vor dem Jahreswechsel, hat man offensichtlich auch hier anderes zu tun, als durch die altehrwürdigen Säulenreste zu joggen. Wäre das Wort verschlafen noch nicht erfunden, so wäre jetzt und hier sein Geburtsmoment. Stille herrscht, wolkenverhangener Himmel gibt der Szene einen Hauch von Düsternis und Geheimniskrämerei zu gleichen Anteilen. Hier schlendert ein Hund umher, hebt sein Bein an einer der vielen umgestürzten Säulen. Nicht minder verträumt der Ort, der alle vier Jahre für Aufsehen sorgt. Dort, wo das Olympische Feuer entfacht wird, um von hier aus in die Welt getragen zu werden. Von einem Fackelträgerarm zum nächsten. Doch auch der Platz, an dem der Parabolspiegel aufgestellt wird, um mit Hilfe der Sonnenstrahlen das Olympische Feuer zu entfachen, hält Winterschlaf und widmet sich ganz seiner inneren Einkehr.

      Fackelläufe waren sehr beliebt in der Zeit der Antike. Für Olympia wurden sie damals nicht herangezogen. Eher war es ein beliebter Sport im nächtlichen Athen. Zu allen Zeiten stand Olympia für Friedfertigkeit. In den Wochen der sportlichen Wettstreite sollten alle Kämpfe und Waffen ruhen, um das faire Kräftemessen in der körperlichen Ertüchtigung nicht zu gefährden. Ölzweig gekrönte Läufer trugen die Kunde von den nahenden Wettkämpfen von Stadt zu Stadt und riefen auf diese Weise den Olympischen Frieden aus.

      Gäbe es das Mittel der Zeitreise, hier würde ich es gern mit einem Zauberstab aktivieren, um zu sehen, wie sich die Tempel von selbst aufrichten, die vor mir in Bruchstücken im Gras verstreut liegen. Ich möchte die in Gewänder gehüllten Frauen und Männer sehen, wie sie gestikulierend davon schreiten. Vielleicht eine Öllampe tragend, um sich den Weg an diesem so diesigen Tag zu erhellen. Ich mittendrin. In meiner dicken Winterjacke, würde auf einer der Säulen stehen. Einen Fuß vorn, den Oberschenkel leicht eingedreht, das Gesicht würdevoll zurechtgemimt. Ganz im Stile der Zeit. Doch ach was. Ich brauche keine Zeitreise. Ich befinde mich mittendrin in meinem Traum des Vergangenen. Ich schmecke förmlich den pramnischen Wein, der mir ganz nach Art der griechischen Antike zum Deipnon, dem Hauptmahl des Tages, zu Sonnenuntergang gereicht wird. An der Blutsuppe, aus kräftig gewürztem Schaffleisch bin ich nicht ganz so interessiert. Ich hoffe, dass sich irgendwo noch ein üppiger Obstteller auftun wird, der mich allein durch seine Farbenpracht erfreut. Weiter geht es, in meinem Kältewahn, als Gäste des Hauses von weit her, mit einem Gelage beim sich anschließenden Symposion. Nicht minder viel wird hier dem Wein gefrönt. Doch obendrein werden wir in seelenerwärmende Gespräche verwickelt über den Sinn des Lebens und die Frage, in wie weit man den Göttern trauen kann. Ich bin fasziniert von so viel Offenheit den größten Themen des Lebens gegenüber. Noch scheint es keine Festschreibungen zu geben, die meinen, die Welt im Ganzen erklären zu können. Ich genieße diesen Zustand des Möglichen.

      Mit einem Mal vernehme ich einen Ruf, der so gar nicht in die Szene passt. Es ist Sten, der mürrisch meint, ich möge doch nun langsam mal von meinem Säulenstummel herunterkommen. Er würde frieren und habe im Übrigen genug bemooste Steine gesehen aus einer Zeit des vielen Schwafelns, muss er hinzufügen, seiner Emotion Platz machend, bevor er platzt. Ist offensichtlich nicht sein Ding, mich auf einem Sockel stehend mit sich zu schleifen. Gut. Olympiasiegerin bin ich nicht, doch meine eigene Heldin des Tages.

      

       360° Film

       TÜRKEI

      Istanbul im Januar. Regen am Montag, Dienstag, Mittwoch und immer so fort. Abwechslung schafft der Schnee am Freitag. Wir ziehen durch Gassen vollgestopft mit Marktständen. Beleuchtung schafft eine Glühlampe in rostiger Fassung. Gehalten einzig von einem dünnen Draht an einem Stock. Es tropft von der Lampe, es tropft von den provisorisch angebrachten Planen, denen sicher nicht bewusst ist, dass sie ein Provisorium sind. Tag um Tag wackeln sie so vor sich hin. Mal vor Sonne schützend, mal vor Regen. Es ist kalt in Istanbul und trotzdem tauen wir auf. Wir sind es also, die das ganze Wasser hier verursachen. Zumindest tragen wir eine gehörige Schippe voll dazu bei. Alles ganz egal. Wir fühlen uns pudelwohl in der Obhut von Özlem und Veli. Wie haben wir uns danach gesehnt, nun erst einmal eine Verschnaufpause einzulegen. Den Nebel Venedigs ließen wir hinter uns. Den Sturm des Mittelmeers auch. In Griechenland haben wir unser Bestes gegeben. Doch mit Weltoffenheit und Kommunikationsfreudigkeit, da war es einfach nicht so weit her bei uns. Klar, es ist Januar. Die Zeit des Rückzugs und der Besinnung. Nicht die volle Blüte und Üppigkeit. Fragt mal einen Igel. Der wird es ganz genau so sehen. Doch wir haben unser Stachelgewand abgelegt und uns stattdessen eingekuschelt in die friedliche Welt bei unseren Freunden.

      Veli kennen wir aus Deutschland. Vor Jahren arbeitete er ein halbes Jahr lang in unserer Firma als Designer. Lange nach Hause zurück gekehrt ist er es nun, der uns willkommen heißt. Eine Art Schnitzeljagd haben wir miteinander betrieben. Wir, in unserem Elf-Tonnen-LKW, standen irgendwo in der knapp fünfzehn Millionen Einwohner zählenden Stadt. Fahrzeuge unserer Größe dürfen eigentlich nicht so weit rein, ins Zentrum des Molochs. Doch was bitte blieb uns übrig, als weiterzufahren trotz der Schilder, auf denen “Für LKW verboten“ stand? Meinen Blick hielt ich starr nach oben gerichtet, immer gewahr “Stopp“ zu schreien, falls sich Schildermaler und Tunnelhöhe mal nicht einig sein sollten. 3,73 Meter Höhe.

      Das gibt richtig Späne, wenn es klemmt. Einen Straßennamen fest vor Augen, halten wir darauf zu, wovon das Navi meint, es sei richtig. Um dann mit einem Mal am Ziel zu sein. Ach nee, dass ich nicht lache, am Ziel in Istanbul… Wie eine Wohngegend sieht es hier nicht aus und Gebäude, die uns Veli am anderen Ende der Verbindung durchs Telefon ruft, können wir auch nicht sehen. Wir haben keine Ahnung, wo wir sind. Dumm nur, Veli geht es ganz ähnlich.

      Später sind wir in solchen Situationen geschickter. Wir geben Einheimischen an diesen Orten unser Telefon in die Hand. Die können dann jeweils erklären, wo wir gerade sind. Doch soweit waren wir in dem Moment noch nicht. Und trotzdem geschah das Wunder und Veli stand irgendwann vor uns. Einer der seltsamen Augenblicke, die einem bewusst nur auf Reisen zu begegnen scheinen. Die Fügungen, die den wundersamen Reiz dessen ausmachen, dass es immer weitergeht.

      Jahrelang nicht gesehen und doch gleich in die Arme geschlossen finden wir uns später in der Wohnung von Özlem und Veli wieder. Unseren Leo im bewachten Gelände des Hauses zu parken, ist uns tatsächlich gelungen. Obwohl so manche Ecke des Gebäudes zu weit vorstand und einige Balkone gefährlich nah an Leos Haut zu schrammen drohten. Millimeterarbeit mit Schrecksekunden, in denen wir uns anschickten, unseren elefantengleichen Leo durch einen Edelporzellanladen zu rangieren. Doch irgendwann war es gut.

      Schließlich stand das Essen auf dem Tisch und wir hatten zu kommen. Ehrlich, ich fühlte mich wie im Paradies. Warme Wohnung, schön gedeckter Tisch, wohlige Atmosphäre, weiches Bett. Keine klammen Klamotten, feuchtkalten Betten und eiskalten Füße, die sich nach Wärme sehnen. Alles da, alles gut. Ich bin selig und augenblicklich hundemüde. Trotzdem retten wir mit unseren Gesprächen in dieser Nacht noch schnell mal die