Einmal noch schlafen, dann ist morgen. Manuel Rubey. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manuel Rubey
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783990405840
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meines Freundes in der Schule hänseln würden. Juhani ging vor Gericht und wurde in erster Instanz abgelehnt mit der Begründung: »Zebra ist ein in der Steppe lebendes Pferd und kein Name.« Der Richter hieß übrigens Fuchs. Juhani machte weiter. Fragen Sie jetzt nicht, warum er nichts anderes zu tun hat. Jedenfalls gab ihm das Höchstgericht recht. Das ist alles wahr. Kann man googeln. Zeitungen haben darüber berichtet und sogar in der TV-Sendung Willkommen Österreich machte sich Grissemann über meinen Freund lustig. Die Geschichte geht weiter, teilt sich jetzt aber in zwei Handlungsstränge. Juhani darf jetzt also Zebra heißen. Seine große Schwester ist logischerweise auch halbe Finnin, vor nicht allzu langer Zeit gebar sie eine Tochter und nannte sie Tiina. In Finnland schreibt man Tiina mit zwei ii. Der Vater des Kindes, auch an diesem Strang der Handlung ist alles wahr, geht zum Standesamt, um den Namen seiner Tochter eintragen zu lassen. Der Beamte reicht ihm die Geburtsurkunde und sagt:

       BEAMTER

      Den Rechtschreibfehler hob I eana aus’bessert.

       VATER

      Nein, das ist schon richtig, unsere Tochter hat einen finnischen Namen, da schreibt man das so.

       BEAMTER

      Na guat. Heutzutage kann man auch schon Zebra heißen.

      Der Vater, lässig im Gehen:

       VATER

      Ja, das ist mein Schwager.

      Ich frage mich manchmal, was ich an meinen Freunden so mag. Was sie für mich besonders macht, neben ihrer Loyalität und Hilfsbereitschaft. Wahrscheinlich, dass sie Schrullen sind. Sie sind so aus der Zeit gefallen, auch wenn sie versuchen, es nicht zu sein.

      Wolfgang, der Wirt und älteste im Bunde (wir nennen ihn zärtlich »Opa«), feierte einen runden Geburtstag. Er hatte eine kleine Anzahl von Menschen um sich versammelt. Zu späterer Stunde nahmen wir gemeinsam noch eine weiße Korrektur an der Bar zu uns. (Die weiße Korrektur ist das Pendant zum Reparaturseidel. Man trinkt sie allerdings noch vor dem Schlafengehen. Nachdem die meisten Gäste gegangen sind, alle ihr »Menü« hatten – einschließlich Espresso und Averna, möglichst in einem tiefgekühlten Glas serviert – eine sizilianische Tradition, die wir übernommen haben –, und die Küche tipptopp wiederhergestellt ist, dann ist es Zeit für die weiße Korrektur. Ein allerletztes Glas Weißwein im kleinsten Kreis.) Wir waren also im Begriff, uns über die weiße Korrektur herzumachen. Wolfgang blickte in die Runde und stellte zufrieden fest:

       WOLFGANG, DER WIRT

      Kein einziger Normaler dabei.

      Das Wort Schrulle ist längst nicht mehr wirklich gebräuchlich, und dennoch ist es präzise. Heute würde man wahrscheinlich Nerd oder Freak sagen. Da gibt es Ähnlichkeiten. Aber die Schrulle ist immer eine Schrulle, auch wenn sie nicht beobachtet wird. Das ist ein entscheidender Unterschied. Wolfgang, der Wirt, ist ein phänomenaler Koch. Wenn Jamie Oliver ihn kennen würde, würde er ständig Wolfgangs Rezepte in seinen Büchern verbraten. Wolfgang ist aber als Schrulle auch seiner Schrulligkeit verpflichtet und so finde ich in einem seiner Lieblingsrezepte, Polpette di Sarde, eine handgeschriebene Notiz hinzugefügt: »Pro Bällchen, zwei Rosinen und zwei Pinienkerne.« Auf seine Kochkunst angesprochen pflegt Wolfgang übrigens zu sagen:

       WOLFGANG, DER WIRT

      Irgendwas kann ein jeder.

      Wolfgang ist Kaffee ein Anliegen, nein mehr: eine Lebenseinstellung. Er ist schließlich im Herzen Neapolitaner. Er hat eine italienische Tradition mit nach Wien genommen:

       CAFFÈ SOSPESO

      Im Lokal einen Kaffee bestellen, einen zweiten zahlen und an Bedürftige spenden, weil das heiße, schwarze Getränk nicht nur ein Genussmittel, sondern auch ein Grundrecht im Leben eines Neapolitaners/einer Neapolitanierin darstellt. Die Idee hat sich von Italien aus über die Welt verbreitet, aber eben, wie ich finde, nicht genug. Sie ist wie die meisten großen Ideen im Grunde einfach (nur draufkommen muss man halt.) Oder wie Alfred Dorfer in einem Programm sagt:

       ALFRED DORFER

      Ich habe auch oft gute Ideen, aber leider nie als Erster.

      Man bestellt einen Espresso an der Bar und bezahlt zwei. Der Kellner oder die Kellnerin malt einen Strich auf die Kreidetafel und reicht den Kaffee. Obdachlose oder Menschen mit zu wenig Geld können von draußen erkennen, ob und wie viele Striche sich auf der Tafel befinden. So kann man die Bar betreten und mittels einer stummen Geste Richtung Tafel einen Espresso bestellen. Das Ganze ist unaufwendig und absolut würdevoll. Der Kreidestrich wird dann weggewischt und der Kaffee serviert. Ich bin der tiefen Überzeugung, dass solche Errungenschaften eine Gesellschaft zusammenhalten. Die Decke der Zivilisation ist bekanntlich dünn und hat in den letzten Jahren auch in Europa und leider auch in meinem geliebten Italien durch stumpfsinnige Nationalisten Risse bekommen, aber Ideen wie der Caffè sospeso sind Möglichkeiten, um dagegenzuhalten.

      Einmal bin ich mit Wolfgang in seinem Auto mitgefahren. Er wechselte die Spur, ohne zu blinken oder ließ sich eine ähnlich lässliche Sünde zu Schulden kommen. Man kennt das, Grund genug, um den Hintermann vollkommen auf die Palme zu bringen. (Licht-) hupend, gestikulierend fuhr dieser schimpfend hinter uns her. An der übernächsten Kreuzung stieg Wolfgang aus und ging zum immer noch vor Wut schnaubenden Fahrer des Autos hinter uns. Er redete ruhig auf ihn ein, und das Verhalten schlug plötzlich um. Sie gaben einander die Hand und wir fuhren weiter. Ich fragte ihn, wie das möglich gewesen sei. Wolfgang antwortete grinsend, während er sich eine Gitanes ansteckte:

       WOLFGANG, DER WIRT

      Wenn du jemandem, der dir gerade die Nase brechen will, sagst, dass du die ganze Schuld auf dich nimmst, und dass er mit seiner Wut natürlich vollkommen recht hat und du nicht wissen würdest, wie du das jemals wieder gutmachen könntest, bringst du ihn garantiert aus dem Konzept.

      Der dritte Freund heißt Peter. Er ist Doktor der Mathematik und Doktor der Philosophie, arbeitet allerdings in einem Kindergarten. Er raucht nicht und trinkt nicht, isst keinen Zucker, hat kein Handy und keinen Kühlschrank. Einmal am Tag geht er für fünf Minuten ins Internet, um E-Mails zu lesen. Wenn ich mir mit ihm etwas ausmache, dann gilt das und dann lässt sich die Vereinbarung in Ermangelung der Möglichkeit auch nicht kurzfristig verschieben oder absagen. Es ist ein schönes, beruhigendes Gefühl, ein Fixstern im Kalender. Peter hat eine sehr großartige Eigenschaft. Er wertet nicht. Er hört sich alles an und nimmt dann eine Gegenposition ein, aber nur, um das Gespräch voranzutreiben. Wenn wir Längeres zu besprechen haben, laufen wir gemeinsam durch die Stadt oder schreiben uns Briefe. Es ist herrlich, einen Brief zu bekommen. Irgendwo habe ich gelesen, und ja, es ist vielleicht ein wenig abgedroschen, aber deswegen nicht weniger wahr: Schreiben Sie den Menschen, die Ihnen etwas bedeuten, Briefe. Ihre Whatsapp-Nachrichten werden sich nämlich nicht in 50 Jahren auf dem Dachboden wiederfinden lassen.

       ANTON TSCHECHOW

      Kunst kann bald jemand. Was uns zu schaffen macht, ist der Alltag.

      Auf der Suche nach den Zitatnachweisen sind wir darauf gestoßen, dass er das angeblich nie gesagt hat. Was wiederum eine mutige Aussage ist, weil wer will das wissen? Es war ja niemand sein ganzes Leben lang durchgehend bei ihm, um selbiges mit Sicherheit feststellen zu können. Wenn er es also tatsächlich nicht gesagt haben sollte, ist es, wie ich finde, trotzdem nicht weniger wesentlich.

      Auf Ö1 höre ich eine Sendung über die Anfänge des Fernsehens. Die Menschen putzten sich heraus und machten sich fein und setzten sich dann im Abendkleid und mit Anzug und Krawatte vor den Fernseher. Wenn ich so etwas höre, springt mein Herz höher. Den kleinen Dingen Raum zu geben kann so schön sein. Heute machen so etwas leider nur mehr die Schrullen. Ich glaube, die Welt wäre viel ärmer ohne sie. Mit meinen Freunden verbringe ich Zeit, in der nichts passieren muss. Zeit, die auf nichts abzielt. Es wird gekocht, gegessen und getrunken und manchmal einfach nur gewartet auf die Themen, die dann unsere Neugierde wecken.

      Ich habe eine Liste unserer »Erkenntnisse«,