Einmal noch schlafen, dann ist morgen. Manuel Rubey. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manuel Rubey
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783990405840
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ins Fitnessstudio, sonst werde ich unrund. Dann sage ich: Ich muss unbedingt noch die Küche putzen und das Wohnzimmer aufräumen, sonst werde ich unrund.

      In den letzten Jahren ist es mir, glaube ich, ganz gut gelungen, an den Dingen des Alltags, an den Notwendigkeiten, die eben gemacht werden müssen, Freude zu empfinden und sie als Teil des Spiels zu sehen. Ich schätze am Aufräumen wirklich sehr, dass die Tätigkeiten allesamt nach kurzer Zeit ein Ergebnis zeitigen. Abgewaschenes Geschirr. Gebügelte Wäsche. Gewichste Schuhe. Die Ergebnisse können sich sehen lassen, und sie sind schöner, klarer, und ja eben aufgeräumter als vorher. Vielleicht hat es mit meinem Beruf zu tun. Ich will jetzt nicht vom inneren Chaos sprechen, das im Außen kompensiert werden muss, aber die Tatsache, dass sich meine Arbeit oft so flüchtig und ungreifbar anfühlt, hat wahrscheinlich damit zu tun, dass ich es im Alltag gerne ordentlich habe. Schreib- und Probenprozesse führen oftmals dazu, dass auch nach Stunden des Grübelns nachher mehr Chaos herrscht als vorher. Das kann mir beim Wäscheaufhängen nicht passieren. Ich habe hier mit meinem Kollegen und Bühnenpartner Thomas Stipsits eine große Einigkeit erlebt.

      Wir haben sehr schnell festgestellt, dass wir beide ziemliche »Monks«2 sind. Wenn man seinen Geschirrspüler »ohne System« einräumt, räumt er diesen wieder aus und neu ein. Ein mildes Lächeln des Besserwissenden auf den Lippen.

       FRANK BERZBACH

      Gehirne von Kreativen haben eine erhöhte Anfälligkeit für Verzweiflung, da sie pausenlos Probleme höchster Komplexität lösen. Während die meisten Berufsgruppen damit beschäftigt sind, klar umrissene und vorgegebene Aufgaben zu lösen, stehen Kreative oft vor Herausforderungen, bei denen nicht einmal klar ist, wo genau das Problem liegt.

      Ich empfehle, alle Bücher von Frank Berzbach zu lesen. Es wird Ihnen danach besser gehen.

       GUSTAVE FLAUBERT

      Seien Sie in Ihrem Leben genau und geordnet, damit Sie in Ihrer Arbeit gewalttätig und originell sein können.

      Es ist eine Lebenseinstellung geworden, und sie lässt sich gut begründen: Ich will es unaufwendig haben.

       DIE REDUKTION IST FÜR MICH DER SCHLÜSSEL ZUM GLÜCK.

      Vereinfachung im Alltag. Zum Beispiel habe ich das Fitnessstudio durch hundert Liegestütze pro Tag ersetzt. Und auf Tour habe ich fast nichts mit außer einer guten Flasche Wein, falls jene beim Catering nicht entsprechen sollte, 26 Buchstaben in unterschiedlicher Reihenfolge gebunden oder als Taschenbuch, sowie meine Laufschuhe. Die Laufschuhe immer dabei zu haben und von überall einfach starten zu können, ist eine Definition von Freiheit und Selbstbestimmung. Laufen und Lesen. Die beiden großen L’s sind ein Mitgrund, warum ich gerne auf Tournee bin. Ich muss dort keine Hausarbeit verrichten, also kann ich mich zwischen den Auftritten darauf fokussieren. Laufen und Lesen geht immer. 26 Buchstaben und ein paar Schuhe, und die Gedanken können fliegen und ganze Kontinente erschaffen. Wenn es nur gelänge, diese 26 Buchstaben in der perfekten Reihenfolge auf Papier zu bringen, hätte ich die vollendete Geschichte. Es wird mir nicht gelingen. Aber der Versuch lohnt sich allemal und immer wieder.

      Das Corona-Virus hat uns vielleicht das Gefühl des Mangels spüren lassen, aber in den meisten Leben hat sich trotzdem zu viel angesammelt. Der Alltag hat uns im Griff, die To-Do- und Selbstoptimierungslisten wuchern aus, und wir fühlen uns schlecht und schuldig. Die allergrößte Schwierigkeit an meinem Beruf ist, das Dazwischen zu gestalten. Auf die Bühne zu gehen oder vor eine Kamera zu treten, ist dagegen vergleichsweise gar nichts. Das ist klar, da fühle ich mich meistens sicher. Das Spiel ist ein freier Raum, die Bühne ist ein Sicherheitsort. Viel komplexer ist der Alltag. Wie gestalte ich den? Wie schaffen wir es, uns nicht ablenken zu lassen, uns nicht treiben zu lassen? Wobei natürlich das bewusste Treibenlassen, der Flow (mehr dazu siehe Kapitel 14 und 15) etwas ganz anderes ist. Verzettelung macht den Menschen unglücklich, aggressiv, und zerfahren, wohingegen der Zustand des Flows, also die tiefe Konzentration auf eine Sache (sei es Briefschreiben oder Autoreparieren) ihn glücklich und zufrieden aus den Tiefen des Ichs auftauchen lässt – so etwa könnte man, wenn ich es richtig verstanden habe, eine Haupterkenntnis der Hirnforschung zusammenfassen. Nach einem 20-minütigen Waldspaziergang fühlt man sich zweifellos besser als nach einer Stunde in der Shoppingmall.

      Gehen Sie zu Fuß! So oft und so weit wie möglich. Es ist immer besser, als es nicht zu tun. Gehen Sie spazieren, damit Sie nicht vergessen, dass es Vögel gibt!

      Und trotzdem werden wir scheitern. Weil wir müssen. Wir, die versuchen Ordnung in das Chaos zu bringen, müssen scheitern. Aber vielleicht schaffen wir das in Würde und mit Eleganz. Das wäre doch das Ziel. Ich spiele gerne so Gedanken durch. Wie ging es den Menschen in den Verlagen, die Harry Potter abgelehnt hatten? Oder um es bildlicher zu machen: Im Juli 1954 begab es sich in den Sun Studios zu Memphis Tennessee, dass ein 19-jähriger Lastwagenfahrer namens Elvis Aaron Presley die ganze Weltgeschichte veränderte, indem er den Rock’n’Roll erfand. Der schüchterne junge Mann war ein Jahr zuvor in einem Aufnahmestudio in Sam Philipps gewesen, um ein Ständchen für seine Mutter aufzunehmen. Man nahm ihn in die Kartei auf, falls man in Zukunft mal einen Schnulzensänger brauche. Ist er immer noch in dieser Kartei vermerkt? Und konnte der Mann, der das entschied, danach einfach so weiterarbeiten?

      LISTE DES SCHEITERNS

      1)Man scheitert ja als Kind schon ständig. Ich habe lange geglaubt, mein Onkel ist Steuerberater. Stimmt aber nicht. Er ist Fahrlehrer.

      2)Mein Freund Zebra erzählte mir, dass Slash von Guns’n’Roses so cool ist, dass er sogar in der Dusche raucht. Ich hab’s probiert …

      3)Als ich mich das letzte Mal entspannt zurückgelehnt habe, saß ich auf einem Hocker.

      4)Wer sich im Leben alle Türen offen hält, wird sein Leben auf dem Flur verbringen.

       TOCOTRONIC – KAPITULATION

      Und wenn du kurz davor bist

      kurz vor dem Fall

      und wenn du denkst

      Fuck it all

      wenn du nicht weißt

      wie soll es weitergehen

      Kapitulation

      ohohoh Kapitulation.

      Ich sitze mit einem Freund im Kaffeehaus und er sagt:

       PETER

      Schau der Angst doch einfach ins Gesicht.

      Es geht letztlich um nichts.

      Ich denke: Das würde ich gerne meinem jüngeren Ich sagen, das sich so viel aus der Meinung anderer gemacht hat, das sich leiten und lenken und verbiegen ließ aus Angst, nicht dazuzugehören. Soll ich es zumindest meinem 16-jährigen Ich 2.0 erklären, das zwei Türen weiter wohnt?

      Alles tun, um es den anderen recht zu machen und aber trotzdem nicht dazugehören. So fühlte sich meine Jugend an. Ein Dilemma, eine Spirale.

      Ist der ängstliche junge Mann plötzlich ein 40-jähriger Spießer geworden? Ich finde nicht, aber ich bin ständig mit diesem Bobo-Vorwurf konfrontiert. Lasset uns das also kurz abhandeln.

      BOBO ist ein Neologismus, Oxymoron und Akronym, das sich abgekürzt aus den Wörtern bourgeois und bohémien zusammensetzt. In Deutschland firmiert er unter Hipster. Der Begriff »Bobo« wurde durch das im Jahr 2000 erschienene populärwissenschaftliche Buch Bobos in Paradise von dem Kolumnisten der New York Times David Brooks geprägt, der sich selbst als Bobo bezeichnet. Er bezeichnet dementsprechend ursprünglich die US-amerikanische Oberschicht am Ende der 1990er-Jahre, die »Konservativen in Jeans« und »Kapitalisten der Gegenkultur«. Der Lebensstil der Bobos führte zusammen, was bis dahin als unvereinbar galt: Reichtum und Rebellion. Also die Ideale der Hippies kombiniert mit der Bequemlichkeit der Yuppies. Oder so ähnlich. Da Bobos oftmals über mehr Geld verfügen, weil sie in ihrem Irgendwas-mit-Medien-Beruf erfolgreich sind,