Einmal noch schlafen, dann ist morgen. Manuel Rubey. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manuel Rubey
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783990405840
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Grätzeln niederlassen, unterstellt man ihnen gerne, Zugpferde der Gentrifizierung zu sein. Die Wiener Künstlerin Andrea Maria Dusl verwendet hierfür die sehr treffenden Begriffe: Boboville und Bobostan. Und da ist sie wieder, die Ambivalenz der Dinge, die sich natürlich auch in Bobostan findet. BMW fahren und grün wählen, Refugees Welcome-T-Shirts tragen, während sie die Kinder in die katholische Privatschule bringen. Der deutsche Kabarettist Andreas Rebers singt dazu:

       ANDREAS REBERS – AUF KAMELEN DURCH BERLIN

      Kinder machen Kinderyoga

      und sie ernähren sich gesund

      und der Braten ist aus Soja

      und die Salate sind so bunt

      Die Mama kauft gern auf dem Markt ein

      Das ist so kommunikativ

      Der Papa darf hier nicht mehr stark sein

      Der Papa der ist kreativ

      Klischees von heut’ waren früher Utopien

      Wir reiten auf Kamelen durch Berlin.

      Stimmt alles! Man trifft sich, um sich gegenseitig mit seinen Kochkünsten zu beeindrucken und spielt um zwei Uhr früh dann betrunken Luftgitarre auf der Pfeffermühle. Revolution 2.0. Bobos halten sich für nonkonformistisch, mögen ihre innerhalb des Gürtels gelegene Dachterrassenwohnung, werfen regelmäßig voll Freude ihren Smoothiemaker an und geben ihrem Sauerteig Rufnamen. Sie genießen das Leben und haben ein eigenes Verhältnis zum Konsum, sie kaufen in Bioläden, frequentieren Radwege und trinken Hugo sowie Aperol-Spritz statt Bier und G’spritzten. Sie lesen den Standard und den Falter, wählen vorzugsweise Grün, heißen Asylwerber willkommen, obwohl sie nur überschaubare Kontakte mit ihnen pflegen, sie sind aufseiten von Klimaschützern, nennen aber einen VW Touran oder ein anderes praktisches Auto mit viel Stauraum ihr Eigen, mit dem sie am Wochenende regelmäßig ins Waldviertel fahren. Ja, da sind Widersprüche. Trotzdem sind die meisten Bewohner von Bobostan, die ich kenne, eigentlich sehr freundlich, und Menschen, die offen sind für andere, egal welchen Geschlechts und welcher Herkunft. Sie sind mir nun einmal von Grund auf näher als die Allesverweigerer.

      Eines verstehe ich nur nicht. Bobos werden oftmals auch Gutmenschen geheißen. Ich frage mich nur, wie muss eine Gesellschaft drauf sein, dass ein solches Wort zum Schimpfwort verkommen kann? Die Gebrüder Moped geben in ihrem Buch Heute gehört uns Österreich und morgen die ganze Scheibe eine Antwort:

       GEBRÜDER MOPED

      Insbesondere die jüngste Edition des Modells Gutmensch kennt in ihrer Umsetzung der pädagogischen Gehirnwäsche kein Erbarmen. Der Hipster. Zweimal Muttermilch macchiato bitte! Hipster-Eltern sind die mit Abstand schlimmste Form der Spezies Gutmensch. Sie kutschieren ihren Sprössling (Geburtsgewicht 4000 Instagram) im Kinderwagen aus Olivenholz zur Sojamilchtaufe. Dem Kleinen werden die Milchzähne gezogen. Wir sind schließlich vegan. Hipster erziehen ihre Kinder hartnäckig zu Toleranz und Multikulturalität. Sie reisen liebend gerne in entlegene Regionen, um dort fremde ihnen nicht vertraute Kulturen kennenzulernen. Der alljährliche Ausflug in den Wiener Gemeindebau.

      Wieder denke ich an mein 16-jähriges Ich. Nimm das alles nicht so ernst, will ich ihm gerne zurufen. Das was wir sind, wird nie zu wenig sein haben wir damals mit Mondscheiner gesungen. Es war mehr eine Hoffnungsformel für uns selbst, und die Behauptung, diesen Beruf machen zu können, als eine Parole. Und einen Wimpernschlag später findet man sich plötzlich wieder mit Kindern und Hund, und die Leute sagen nicht mehr verächtlich »schau, ein Punk«, sondern »schau, ein Bobo«.

      Mein 16-jähriges Ich hat seine T-Shirts abgenommen. Ich mache mir einen Espresso mit meiner super Maschine und lege wieder einmal Nevermind auf. Natürlich auf Vinyl. Kurt Cobain konnte nicht mehr zum Bobo werden. Er hat sich mit 27 Jahren erschossen. Die Musik hat nichts von ihrer Dringlichkeit verloren. Ich drehe den Volumenregler auf Maximum. Plötzlich läutet es an der Tür. Sie stellt sich höflich vor. Ihr Name ist Polly. Ich gratuliere zu ihren T-Shirts.

       POLLY

      Die gehörten meinem Vater. Ich verwende sie als Schlafleiberl.

      Sie bittet mich, leiser zu drehen, weil sie lernen muss. I promise you. I have been true singt Kurt gerade. Verwirrt notiere ich die Liste für den heutigen Tag.

      AKTIVITÄTEN FÜR MENSCHEN, DIE EINMAL IDEALE HATTEN UND SICH MITTLERWEILE ABER NICHT MEHR ALLZU VIEL VOM LEBEN ERWARTEN

      1)Minigolf spielen

      2)Tretboot fahren

      3)»Schnürlsamthose« googeln

      4)Mit Jogginghose in die Kirche gehen

      5)Nach Baden bei Wien ziehen

      6)Den Saugroboter wöchentlich auf die neueste Software updaten

      7)Die kalte Progression verstehen

      8)Den Bahnhof von Laa an der Thaya für die Modelleisenbahn maßstabgetreu nachbauen

      9)Während der Coronakrise sagen: »Es ist nur ein Raucherhusten.«

      10)Während der Coronakrise »Dritte Kassa bitte!« rufen

      11)Alkoholfreies Bier trinken

      12)Den Brief von der Sozialversicherung für Selbständige öffnen3

      13)Ratgeber lesen

      14)Ratgeber schreiben und dann sagen: »Es ist eh kein Ratgeber.«

      2

      IRGENDWAS KANN EIN JEDER

      –

      Von der Pflicht zur Schrulligkeit

       CHRISTINE NÖSTLINGER

      Freunde darf man nicht enttäuschen, und gute Freunde tauscht man auch nicht aus.

      Ich wurde von einem sehr guten Freund einmal so sehr enttäuscht, dass es mich ziemlich aus der Kurve gehoben hat und ich dort lange liegen geblieben bin, unsicher, ob ich wieder aufstehen wollen würde. Zum Glück konnte ich es eines Tages, und plötzlich sah ich ganz genau, was Freunde für mich erfüllen müssen, um diesen Titel zu erwerben. Umgekehrt gilt das natürlich auch. Loyalität ist so ein Wort. Aber wenn diese voll erfüllt ist, ist das schon mehr als die halbe Miete.

      Ich habe ein paar wenige sehr enge Freunde. Sie sind launisch, trinkfest, faul und ganz wunderbar. Ich möchte die Geschichten von dreien von ihnen erzählen. Der erste Freund ist Finne. Er hört auf den schönen Namen Juhani. Also genau genommen kommt nur seine Mutter aus Finnland, er ist in Wien geboren. Er spricht auch leider nur wenig finnisch. Aber ein bisschen was kann er. Kalsarikänt ist finnisch und heißt, sich alleine zu Hause in Unterhosen betrinken. Ich beneide die Finnen um dieses Vokabel. In Finnland gibt es auch keine Kilometer, sondern poronkusema. Das ist die Länge, die ein Rentier zurücklegt, ohne pinkeln zu müssen, und zu einem Arzt sagen sie Läakari. Klingt ein bisschen wie Yakari, die Serie vom kleinen Indianer, der mit den Tieren sprechen kann, und sehr entfernt wie Daktari, der Buschdoktor mit Clarence, dem schielenden Löwen – aber das ist eine andere Geschichte. Wenn Juhani sehr betrunken ist, kann er auch mit Tieren sprechen. Aber das streitet er am nächsten Tag dann gerne ab. Wir kennen einander schon seit dem Kindergarten. Wollen Sie wissen, wie man auf finnisch zählt? Yksi, kaksi, kolme heißt 1, 2, 3. Im Kindergarten fanden wir das urlustig. Heute, wenn wir ziemlich betrunken sind, übrigens auch noch.

      Wenn von Finnland die Rede ist, darf natürlich Aki Kaurismäki nicht fehlen. Ich glaube, er hat die Entschleunigung erfunden und stellt uns mit seinen Filmen auf die Probe. Trotzdem sind die Filme keine Sekunde langweilig, sondern poetisch und hochkomisch. Juhani hat auch eine göttliche Langsamkeit. Er widmet sich den Dingen in einer Ruhe, die mir jedes Mal imponiert. Multitasking ist ihm fremd und ich glaube auch zuwider.

      Jedenfalls heißt mein Freund mit Nachnamen Zebra, also so hieß er nicht immer. Sein Großvater hatte so geheißen, ließ