NERDS, DIE UNSERE WELT RETTEN KÖNNTEN
(frei nach Sybille Berg)
Lisa Simpson
André Heller
Helene Klaar
Ankathie Koi
Miranda July
Gaston
Monk
Daniel Düsentrieb
Christine Baranski
Sybille Berg
Meine Freunde
(mehr dazu gleich in Kapitel 2)
Prolog
Lesen, Verkleiden, Sitzen und Sitzungen. Wenn man genau hinsieht, liegt auch eine Ersatzlektüre parat. Des Weiteren sagen die Menschen, die mich seit damals kennen – also meine Eltern –, dass ich diese Geste auf der Bühne immer noch mache.
Ich konnte mit anderen Kindern nicht viel anfangen, und auch deren Spiele haben mich nicht interessiert. Am liebsten diskutierte ich mit Erwachsenen oder gab Theatervorstellungen zu völlig überzogenen Eintrittspreisen. Mein Vater hat ein paar Dinge mitgeschrieben, die ich so von mir gab. Zwei Zitate erscheinen mir erwähnenswert, weil sie irgendwie auch zeigen, dass ich mich kaum weiterentwickelt habe:
MANUEL ALS 3-JÄHRIGER
(am Begräbnis der Urgroßmutter)
Sterben muss schiach sein, weil da kriegt man Erde in die Augen.
MANUEL ALS 5-JÄHRIGER
Ich will Formel-1-Fahrer werden, weil das ist ein Beruf, der im Sitzen ausgeführt wird. Außerdem ist man berühmt und verdient viel Geld.
1
SCHON WIRD ES HEIKEL
–
Mein 16-jähriges Ich wohnt zwei Türen weiter oder Was das Aufräumen mit meinem Beruf und dem Scheitern zu tun hat
* Wie Sie, hochgeschätzte LeserInnen, erkennen können, bin ich schon am Finden eines knackigen, aber trotzdem nicht zu banalen Titels für dieses Kapitel gescheitert.
Sie hängt die Nirvana T-Shirts sehr akkurat auf den Kleiderständer und stellt diesen auf den Gang, vor die Bassena. Das Mietshaus, in dem ich lebe, ist zwar so alt, dass der berühmte Bassenatratsch hier bestimmt stattgefunden hat, aber das ist lange her, und deshalb traue ich mich nicht, meine Nachbarin, mein 16-jähriges Ich, das gerade wieder ihren Wäscheständer auf den Gang gestellt hat, anzusprechen. Ich würde ihr gerne sagen, dass ich es schön finde, wie liebevoll sie die Wäsche aufhängt und dass die Band Nirvana meinem Leben damals als 16-Jährigem einen neuen Sinn gegeben hat. Aber ich traue mich nicht. Ich habe Angst, sie würde es als übergriffig empfinden. Ich weiß das von meinen Töchtern. Aus ihrer Perspektive bin ich schließlich uralt. Aber ich erkenne in ihr eine Verbündete. So wie sie ihre Kräuter am Gang pflegt und stets die Fußmatte richtet, bevor sie wieder in die Wohnung geht. Warum fällt mir das auf? Weil ich in dieser Causa immer auf der Suche nach Verbündeten bin. Es ist mehr als eine Causa. Es ist eine Weltanschauung. Alles, was man nicht wirklich braucht, gehört entsorgt. Wir müssen uns von allem Ballast befreien, um uns auf die wesentlichen Dinge konzentrieren zu können.
Ich kenne mein 16-jähriges Ich nicht. Sie wohnt mit ihrer großen Schwester zwei Türen weiter. Mehr weiß ich nicht. Aber sie hat offensichtlich Nirvana-T-Shirts, und in ihren Bewegungen findet sich eine langsame Eleganz, die ich bei Menschen selten sehe. Deshalb stelle ich mir vor, sie sei meine Verbündete.
Es wird jetzt heikel. Aufräumen und Wegschmeißen sind wahrscheinlich meine Lieblingsthemen. Ich bin die Marie Kondo von Wien (mit der Ausnahme, dass ich mich bei den Dingen, die ich wegschmeiße, nicht bedanke).
Je nach Sichtweise geht es um Klarheit und Struktur (meine Sicht) oder Wahn und Zwang (jene fast aller anderen). Es geht mir nicht so sehr um Reinlichkeit, wenngleich ich es schon auch gerne sauber habe, sondern vielmehr um den Luxus der Leere. Ich liebe leere Räume, und ein freier Parkettboden ist für mich der Inbegriff von vollendeter Schönheit. Nichts ist schlimmer, als wenn zum Beispiel auf dem Küchenblock oder dem Schuhregal Dinge abgestellt sind, die da nicht hingehören. Das macht mich traurig und antriebslos. Und wissen Sie, was ich ganz schlimm finde? Wenn man sich die Schuhe ausziehen muss. Ich finde Hausschlapfen schlimmer als Gartenzwerge. Aber das nur am Rande.
Diese Sichtweise hat mich beinahe schon Freundschaften und meine Beziehung gekostet. Es ist also ernst. Ich bin sonst wirklich konsensorientiert, aber in diesem Punkt gibt es wenig Verhandlungsspielraum.
Nach dem Zivildienst zog ich mit meinen beiden engsten Freunden in eine WG in die Wiener Mollardgasse. Ich suchte vorrangig in diesem Grätzl nach einer Wohnung, weil ich wusste, dass Josef Hader gerne im nahe gelegenen Café Rüdigerhof saß und ich ihn stalken wollte. Meine beiden Freunde und ich – man kann über sie im nächsten Kapitel mehr erfahren – hatten uns die Jahre davor wunderbar verstanden, waren sogar viel zusammen gereist und hatten kaum Auseinandersetzungen gehabt.
Das Zusammenleben entpuppte sich als relatives Desaster. Ich putzte den beiden hinterher und fühlte mich rasch ausgenutzt. Was ich nicht verstand: Es war ihnen egal, wie es aussah. Schneidbretter wurden mehrere Tage benutzt, danach einfach umgedreht und weitere Tage weiterbenutzt, ehe ich sie reinigte. Sie hätten erst abgewaschen, wenn sich wirklich kein einziger sauberer Teller mehr in der Küche befunden hätte! Als ich einmal längere Zeit nicht in der Wohnung war, fand ich die beiden beim Heimkommen bekifft am Küchentisch sitzend. In den Töpfen hatte sich grüner Schimmel gebildet, den sie fasziniert beobachteten. Sie hatten dem Schimmel sogar einen Namen gegeben.
Dazu hörten sie OK Computer1, vielleicht das wichtigste Album der 90er-Jahre. Wenigstens in diesem Punkt waren wir uns einig.
Ich war fassungslos. Sie hatten nicht nur die Küche nicht aufgeräumt, sie hatten auch nicht geduscht und nicht gelüftet. Wahrscheinlich geht normales Jung-Sein so. Ich konnte nicht mit, gab bald entnervt auf, und wir zogen auseinander.
Bevor ich koche, reinige ich die Küche, bevor ich zu schreiben beginne, wird der Schreibtisch komplett geleert.
BERNARD GLASSMAN
Die Küche zu reinigen, bedeutet den Geist zu reinigen.
Ich schaue KöchInnen sehr gerne bei der Arbeit zu: Bevor die erste Zwiebel geschnitten wird, wird alles sauber gemacht. Übrigens findet sich eine ähnliche Argumentation in der buddhistischen Lehre, wenn ich das richtig verstanden habe. Jedenfalls können diese ordnenden Tätigkeiten wundervoll klärend sein.
Ich erinnere mich, dass ich mein Bücherregal einmal nach Farben sortiert habe. Es war ein klassischer Fall von Prokrastination, lange bevor das Wort modern wurde. Ich studierte und hatte mir noch nicht eingestanden, dass das Uni-Leben mich unglücklich machte. Statt für die Prüfung zu lernen, räumte ich das gesamte Regal aus und ordnete die Werke in tagelanger Arbeit nach Farben. Das Problem bemerkte ich erst zum Schluss: Ein nach Farben geordnetes Bücherregal mag zwar hübsch anzusehen sein, aber man findet darin kein einziges Buch mehr. Überdies zog ich mir die Sorge meiner Mitmenschen zu, die sich fragten, ob mich Marihuana nun endgültig zerstört hatte oder aus mir ein anthroposophischer Extremist geworden war.
Heute ist vieles leichter. Oder zumindest habe