Einmal noch schlafen, dann ist morgen. Manuel Rubey. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manuel Rubey
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783990405840
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waren wir spazieren. Wir spielen Geburt und Spitalsaufenthalte nach. Manchmal reisen wir zum Nordpol. Du hast dein Notizbuch aufgeschlagen. Und schaust immer wieder nach, was wir als Nächstes tun müssen.

      In der Zwischenzeit ist deine Schwester geboren.

       8. OKTOBER 2013

      Luise, du bist eine unglaubliche Person. Hast alle Menschen um dich herum im Griff. Wenn du gut drauf bist, lässt du deinen Charme spielen, und alles liegt dir zu Füßen. Wenn du nicht so gut drauf bist, kann es für alle Beteiligten ganz schön anstrengend sein. Was mich immer und immer wieder beeindruckt, ist die unbedingte Loyalität zu deiner Schwester (und umgekehrt). Vor ein paar Nächten konntest du sehr schlecht schlafen, und Stefanie musste immer und immer wieder antreten. Irgendwann hatte sie dich so weit, und ihr habt den Deal gemacht, dass ihr euch beim Frühstück wiederseht. Stefanie sagt im Gehen:

       STEFANIE

      Ich freu mich auf das Frühstück mit dir!

      Du brüllst ihr nach:

       LUISE

      Und was ist mit der Ronja? Auf die freust du dich nicht?

       DEZEMBER 2013

       LUISE

      Ich habe eine gute Idee gefunden.

      Jetzt will ich raus, die frische Luft schnappen.

       LUISE

      Ich habe Lulu ausgeschüttet.

       LUISE

      Wir könnten im Bett herumspazieren, bis der Sommer kommt.

      Während deine Schwester immer alles mit uns besprechen wollte und will, entscheidest du praktisch autonom. Im Fasching warst du heuer als Klavier.

       LUISE

      Es gibt Kinder, die haben keinen Parmesan.

       LUISE

      Einmal noch schlafen, dann ist morgen.

       OKTOBER 2014

       LUISE

      Ich liebe Superstars.

       LUISE

      Lorenz ist mein bester Freund.

       STEFANIE

      Und wer ist deine beste Freundin?

       LUISE

      Das bin ich selber.

       FEBRUAR 2015

      Tobsucht ist ein großes Thema. Jedes Anziehen ist ein Nervenzusammenbruch.

       LUISE

      Ich will, dass du mir nie wieder hilfst, bis ich sterbe.

      Stefanie ist viel geduldiger als ich. Sie kann über Stunden alles vergessen und nur in die Kinderwelt eintauchen. Momentan ist sie aber wirklich mit ihrem Latein am Ende, so habe ich sie noch nie erlebt.

      Aber sie versucht alles. Zum Beispiel zeichnet und schreibt sie mit dir zusammen Märchen:

       LUISE

      Es war einmal ein Blumenkind, das lebte mit seinem Opa und seiner Oma zusammen. Es hatte ein Pony, wo es älter wurde, konnte das Kind schon alleine hinfuhren. Dann wurde der Opa alt und stirbte. Die Prinzessin springt ins Bällebad, und die Oma und der Opa wachen beide wieder auf, sie haben nur so gespielt, dass sie gestorben sind. Und jetzt ist die Geschichte aus.

      LISTE MIT MEINEN LUISE-LIEBLINGSZITATEN

      1)Man kann sich die Mama, wenn sie gestorben ist ja aufheben.

      2)Papa, du kriegst das Bild, wo ich mich am wenigsten bemüht habe.

      3)Ich werde Künstlerin, aber pronto.

      4)Ich interessiere mich überhaupt nicht für Fußball, aber ich schaue es, weil ich gerne fernschau’.

      5)Essen Frösche Blumen?

      6)Dass ich zaubern und fliegen kann, wünsche ich mir schon seit ich geboren bin.

      7)Bitte lies’ noch eine Folge!

      8)Ich bin froh, dass ich geboren bin.

      Und mit diesem Vorlauf an Zitaten, an Subversion, an Anarchie will ich einen Sprung machen ins Jetzt. Die Aufzeichnungen sind rar geworden. Der Schulalltag hat euch im Griff, und das mag ein Grund sein, warum immer weniger Zitate von euch rausgeschleudert werden.

       FREITAG, DER 13. MAI 2020

      Ich sitze vor der Schule und warte auf dich. Ein Mädchen stürmt weinend aus dem Schulgebäude auf seine Mutter zu.

       MÄDCHEN

      Ich habe eine Drei in Mathe!

      Ich mische mich ein:

       MANUEL

      Ich hatte nie eine Drei in Mathe.

      Die Mutter des Mädchens erklärt mir, dass ihre Tochter tolle Geschichten schreibt, aber mit der Rechtschreibung Probleme hat.

      Ich beobachte, dass Buben eine Drei meistens abfeiern und Mädchen eine solche oft als beschämend empfinden, und sehe das als nur ein Beispiel dafür, dass wir beim Thema Gleichstellung noch einiges zu tun haben. Lesen Sie dazu unbedingt Feministin sagt man nicht von Hanna Herbst. Wieder werde ich bei Peter Bichsel fündig, konkret in seinen Frankfurter Poetikvorlesungen.

       PETER BICHSEL

      Rechtschreibung ist nichts anderes als ein Selektionsmittel, das auf Umwegen die notwendigen Analphabeten schafft. Das Ziel der Schule ist nicht Bildung, sondern Selektion.

      Und dann haut er in seinem Werk Schulmeistereien den Satz schlechthin raus:

       PETER BICHSEL

      Der Maßstab jedenfalls ist die Schule, nicht der Schüler. Deshalb kann der Schüler an der Schule scheitern, die Schule aber nicht am Schüler.

       EGON FRIEDELL

      Das schlimmste Vorurteil, das wir aus unserer Jugendzeit mitnehmen, ist die Idee vom Ernst des Lebens. Daran ist die Schule schuld. Die Kinder haben nämlich den ganz richtigen Instinkt: Sie wissen, dass das Leben nicht ernst ist und behandeln es als Spiel und einen lustigen Zeitvertreib.

       HERMANN HESSE

      Und so wiederholt sich von Schule zu Schule das Schauspiel des Kampfes zwischen Gesetz und Geist, und immer wieder sehen wir Staat und Schule atemlos bemüht, die alljährlich auftauchenden paar tieferen und wertvolleren Geister an der Wurzel zu knicken. Und immer wieder sind es vor allem die von den Schulmeistern Gehassten, die Oftbestraften, Entlaufenen, Davongejagten, die nachher den Schatz unseres Volkes bereichern. Manche aber – und wer weiß wie viele? – verzehren sich in stillem Trotz und gehen unter.

      Ich richte mich nicht gegen LehrerInnen, ganz im Gegenteil. Sie machen, soweit ich das beurteilen kann, zum größten Teil einen hervorragenden, unterbezahlten Job. Ich klage das System an, das in einem ideologischen Stillstand gefangen ist. Es wurde irgendwann für gefügige Preußen erfunden und hat sich in der Grundstruktur kaum verändert, wenngleich das Antlitz etwas freundlicher geworden ist.

       ICH HATTE DAS GLÜCK, DASS MICH ALS KIND WORTE SÜCHTIG MACHTEN.

      (Alles, wirklich alles von Astrid Lindgren muss man lesen. Die Brüder Löwenherz und Madita und natürlich Pippi Langstrumpf, das Rolemodell aller mutigen Mädchen und Buben. Aber auch Geschichten wie Jim Knopf