Ich habe große Skepsis meinen Gedanken gegenüber. Kann ich den Dingen trauen, die ich denke? Ein gutes Mittel, mich zu vergewissern, ist das Schreiben. Es gibt Situationen, die mich nachhaltig verwirren, zum Beispiel jede Form von Rechthaberei. Mich irritieren Menschen, die immer das letzte Wort haben müssen. Mich irritieren auch Achtlosigkeit und Gleichgültigkeit, ich bin zutiefst verwirrt über Egoismus, der über alles und jeden drüberfährt, und mich verwirrt. Dummheit, ja ganz besonders verwirrt mich Dummheit. Sie merken schon, ich bin relativ oft verwirrt, und wenn das der Fall ist, setze ich mich hin und schreibe, bis eine vertrauenserweckende, kluge, klare Person auf dem Papier auftaucht. Irgendwie werde ich dann manchmal zu ihr und kann mich selbst klären und widerlegen. Es verhilft mir zur Klärung und oftmals zu dem laut ausgerufenen Satz: Was interessiert mich mein blödes Geschwätz von gestern!
Ich glaube an die Wirkkraft von Erzählungen – sei es in einem Buch, auf einer Bühne, bei einer Serie, in einem Film: Ich bin davon überzeugt, dass wir von guten Geschichten abhängig sind. Wir sind gierig danach und können gar nicht genug bekommen. Das steckt in uns drinnen, ebenso wie der unbändige Drang, die Erfahrung unsere guten Geschichte mit Menschen teilen zu wollen, die wir lieben. Man nennt es Mundpropaganda, und ich bin demütig und dankbar, dass es viele gibt, die sich für mich und meine Arbeit interessieren. Ich kann sogar sagen, das macht einen tiefen Eindruck auf mich. Nicht nur finanziell
.Ich möchte gerne ein paar meiner Eindrücke und Gedanken mit Ihnen teilen. Vieles, das in diesem Buch abgedruckt ist, hat mir weitergeholfen. Vielleicht geht es Ihnen ähnlich. Dies soll aber keinesfalls ein esoterischer Ratgeber werden. Esoterik ist mir genauso nah wie Astrologie und Homöopathie. Also ich finde, Homöopathie ist die zweitbeste Form der Medizin, so wie die Scheibe die zweitbeste Form der Erde und Kaffeesudlesen die zweitbeste Form der Wissensvermittlung ist.
Ich liebe das Spiel mit der Wahrheit. Das ist die Chance, meine Privatheit, diesen allerengsten Kern zu schützen. Aber Sie, liebe kluge Lesende, interessieren sich zu meiner Freude da eh nicht so dafür. Es wäre übrigens viel einfacher, ein Tagebuch zu schreiben und das auf die Bühne zu bringen oder die Seiten eines Buches damit zu bedrucken. Wäre aber langweilig. Es muss natürlich bigger than life sein. Sonst wäre es ja auch keine Arbeit, sondern Big Brother.
PETER BICHSEL
Aber verzichten Sie bitte darauf, mich auf Autobiografisches anzusprechen. Ich werde alles abstreiten und auf meinem Recht auf Fiktion beharren.
Das schönste Kompliment, das ich beruflich jemals bekommen habe, kam von Josef Hader. Er sagte in einem Interview mit der Zeitschrift Tele.
JOSEF HADER
Manuel Rubey ist ein hochinteressanter Schauspieler, bei dem man als Zuschauer nie genau weiß, woran man ist.
Er hat immer ein Geheimnis.
Ich werde nicht alles offenlegen, wir sind schließlich nicht im Privatfernsehen. Aber ich möchte Sie, liebe Leserin, lieber Leser, an den Dingen teilhaben lassen, die mir wichtig sind. Und seien Sie versichert: Ich gebe natürlich viel preis. Immer.
Ich wollte ursprünglich ein Buch über Faulheit schreiben, dann merkte ich, dass das Weglassen, die Reduktion viel eher gemeint sind. Dass auch eine Qualität darin liegen kann, weniger zu machen und langsamer zu werden. Wir hatten auch schon einen Titel: Rubey hört auf. Ich wollte all meinen Helden huldigen, die das Aufhören zur Maxime gemacht haben. Von Bartleby aus Melvilles Kurzgeschichte, der sich mit den Worten »I prefer not to« stets aus der Affäre zu ziehen weiß. Oder von meinem Lieblingscomic Gaston, der genialische Büroangestellte von Franquin, bis hin zu Pessoa und Groucho Marx.
Wir wollten kluge Menschen befragen, und am Ende hätte rauskommen sollen, dass wir sehr wahrscheinlich schon in nicht allzu ferner Zukunft eine 20-Stunden-Woche brauchen, um bei Vollbeschäftigung zu bleiben und dies sehr wohl auch zu finanzieren sei. Also unter dem Deckmantel der Faulheit hätte sich unter anderem ein politisches Manifest verborgen, das eine friedvolle Revolution der Langsamkeit, des Weglassens und der Menschenwürde vorgeschlagen hätte. So der Plan. Man wird ja noch Visionen haben dürfen. Wenn diese zu stark werden, empfehle ich übrigens durchaus Antidepressiva (dies ist an anderer Stelle nachzulesen).
Dann kam Corona, und fast von einem Tag auf den anderen waren all die klugen Ideen, das Fest der Langsamkeit, der Spaß an der Reduktion vom Tisch. Weil wir ja alle zusammen mit allem aufhören mussten.
Die Corona-Krise trifft die Welt in einer verwundbaren Zeit. Erderhitzung, wachsender Nationalismus, bröckelnde Demokratien, Flucht. Zum Zeitpunkt, da ich diese Zeilen schreibe, ist noch nicht abzusehen, wie die Geschichte ausgehen wird. Ob wir etwas begriffen haben werden und vielleicht auch das eine oder andere an positiver Erkenntnis mitnehmen. Zum Beispiel, dass es vielleicht doch auf so altmodische Begriffe wie Würde, Gleichheit und Respekt ankommt? Auf Solidarität zwischen Menschen, Generationen und Staaten? Haben wir erkannt, dass es der Markt eben nicht regelt? Also er regelt es schon, aber dann bleiben einfach tatsächlich sehr viele auf der Strecke. Oder wird es so ausgehen, dass sich alles noch weiter zurückzieht in nationale Kleingartensiedlungen und patriotische Egoismen? Ich habe natürlich keine Ahnung. Aber ich habe für mich aus den Wochen der Isolation mitgenommen, dass es vielleicht gar nicht so sehr um Reduktion geht, sondern vielmehr um fokussierte Verlangsamung. Dann fallen ganz automatisch Dinge weg, die wir in unserem Leben vielleicht nicht mehr brauchen und haben wollen. Die 20-Stunden-Woche ist damit ganz und gar nicht vom Tisch, wir brauchen sie meiner Meinung nach dringender denn je. Und viele sehen in Zeiten der Kurzarbeit, dass es geht, und dass es Möglichkeiten gibt, weniger zu arbeiten und trotzdem gut und verantwortungsvoll zu wirtschaften. Die Krise zeigt, dass unsere Pläne und Lebensentwürfe uns jederzeit um die Ohren fliegen können, und dass schließlich und letzten Endes nur der Moment und die Gegenwart bleiben. Das ist natürlich nichts Neues, aber trotzdem die Lösung.
Der Titel dieses Buches
EINMAL NOCH SCHLAFEN, DANN IST MORGEN
stammt von meiner Tochter. Und das trifft es. Es ist das stärkste Ja zum Leben, das ich wahrscheinlich je gehört habe. Wir nehmen diesen Tag. Soll er nur kommen. Wir heißen ihn willkommen. Wir wissen nicht, was in zwei Wochen sein wird, aber wir wissen, dass wir jetzt gerade am Leben sind. Und das ist gut. Oder wie Kid Kopphausen singen:
KID KOPPHAUSEN
Jeder Tag ist ein Geschenk, er ist nur scheiße verpackt.
Kaum etwas ist absurder als das Beharren auf nationalen Grenzen. Das Virus fraß sich in kurzer Zeit durch die Welt und brachte stabile Gesellschaften an den Rand des Zusammenbruchs. Bereits ins Wanken geratene Demokratien wurden zu Autokratien oder Diktaturen. Es zeigt sich, dass wir in einer synchronen Gleichzeitigkeit leben. In einer existenziellen Abhängigkeit von weltweiten Produktionsketten, Versorgungsketten, Lieferketten, und ja, auch Verantwortungsketten. In der zusammengewachsenen Welt mutiert ein lokales Risiko über Nacht zu einem globalen Problem. Es ist an der Zeit, zu erkennen, dass es keine Provinz mehr gibt, außer in unseren Köpfen. Mein Nachbar im Waldviertel ruft über den Zaun hinweg zu mir rüber.
DER NACHBAR
Du, Schauspieler, waaßt du, was das beste Rezept jetzt gegen die Krise ist? Selbstgebrannter! Der liebe Augustin war so fett in der Pestgrube, dass alle geglaubt haben, er is scho tot, daweil hat er nur seinen Rausch ausgeschlafen.
Mehr dazu in Kapitel 11.
Wir brauchen Geschichten, und wir