Hard2drive: Wer sagt das?
Tulsadoom: Nun, vielleicht der wahre Besitzer dieses Gegenstandes.
Das Lächeln war aus dem Gesicht des Druiden verschwunden. Seine Miene wirkte jetzt eher heimtückisch. Dennoch war das dem Paladin lieber als die verlogene Komödie von vorhin. Der Kerl spielte nun mit offenen Karten.
Hard2drive spürte, dass er sich vor dem Druiden in Acht nehmen musste.
Hard2drive: Von wem redest du?
Tulsadoom: Vom schwarzen Schattenmagier. Er nennt sich auch W8_4_N8.
Hard2drive: Wie?
Tulsadoom: Wait for Night. Man sagt, er sei nur nachts und da nach Mitternacht online.
Der Druide beobachtete aufmerksam die Reaktion des Paladins, wie ein Forscher das Verhalten eines interessanten Insekts.
Hard2drive: Wenn diesem Schattenmagier der Armreif so wichtig ist, warum kommt er dann nicht zu mir und holt sich das Ding?
Spielerisch drehte er das edelsteinbesetzte Schmuckstück einmal um sein Handgelenk.
Tulsadooms Augen weiteten sich überrascht. Fasziniert und gierig starrte er auf den Arm des Paladins.
Hard2drive erkannte, dass er einen Fehler begangen und dem Druiden zu viel verraten hatte.
Tulsadoom: Nun, vielleicht wäre es nicht gut, wenn der Schattenmagier selbst zu Euch käme, edler Paladin. Nicht gut für Euch, sozusagen.
Das aufreizende Lächeln war zu einem verächtlichen Grinsen geworden. Dabei warf der Druide immer wieder neugierige Blicke auf den schwarzen Armreif. Langsam und lauernd sprach er weiter.
Tulsadoom: Vielleicht wäre es klüger, wenn ein loyaler und neutraler Bote das, was Euch nicht gehört, seinem rechtmäßigen Besitzer zurückbrächte.
Hard2drive: Und dieser neutrale Bote bist natürlich du, oder?
Der Druide hielt beide Hände mit gespieltem Entsetzen abwehrend vor seine Brust und schüttelte den Kopf.
Tulsadoom: Oh nein, edler Paladin. Wo denkt Ihr hin? Nur mächtige Gameplayer wie Ihr können dem Schattenmagier gegenübertreten. Aber meinem gütigen Herrn, Lord Dragon, dem Fürsten der Gilde der ehrwürdigen Schlangenmutter, wäre es eine Ehre, diesen Freundschaftsdienst für Euch zu erledigen.
Tulsadoom verfiel erneut in sein unterwürfiges Gehabe wie zu Beginn ihres Gespräches, doch Hard2drive beachtete die Show seines Gegenübers nicht weiter. Wichtigere Gedanken beschäftigten ihn im Augenblick. Wer war dieser schwarze Schattenmagier und was wollte der von ihm? Und welche Rolle spielten diese Kakerlake Tulsadoom und deren Boss Lord Dragon?
Hard2drive: Pass mal auf, du Spinner. Sag deinem Boss Lord Schießmichtot oder so ähnlich, dass er sich seine Freundschaft sonst wohin stecken kann. Und dieser Schattenmagier kann mich gern besuchen, wenn nicht am Abend, dann von mir aus auch nachts, falls er nur um diese Zeit unter seinem Stein hervorkriecht. Er sollte sich aber warm anziehen, weil er ansonsten sein blaues Wunder erleben wird. Und wenn du noch eine Zeit lang deine hübschen Zähne behalten willst, dann stehst du jetzt auf und beleidigst meinen Sinn für Ästhetik nicht weiter mit deiner Anwesenheit.
Aus Tulsadooms Gesicht entwich die Farbe. Sein Blick war nun hasserfüllt. Er ballte die Hände zu Fäusten. Doch schnell hatte er seine Beherrschung wiedergewonnen. Ohne ein weiteres Wort stand er auf und schritt zum Ausgang. Bevor er den Raum verließ, drehte er sich noch einmal um.
Tulsadoom: Wir sehen uns wieder, Pala. Und zwar schneller als du glaubst. Vielleicht nimmst du dein Maul dann nicht mehr so voll wie jetzt.
Dann war er verschwunden.
Bald darauf verließ auch Hard2drive den Gasthof und ritt weiter durch den Elbenwald. Doch die Lust am Spiel war ihm vergangen. Schon nach kurzer Zeit loggte er sich aus.
Henrik Wanker hatte schlechte Laune. Zuerst der Reinfall mit dieser Ratte von Pfandleiher und dann im Game die Begegnung mit Tulsadoom, die ihn im Nachhinein mehr beunruhigte, als er sich eingestehen wollte. Es war offensichtlich kein Zufall gewesen, dass er den Druiden getroffen hatte. Vielmehr schien der auf ihn gewartet zu haben. Was sollte das bedeuten?
Als er sich gedankenverloren am Hinterkopf kratzte, fiel etwas aus seinen ungekämmten, fettigen Haaren auf den Flokati. Er bückte sich und hielt ratlos ein gelbbraunes, vertrocknetes Buchenblatt in der Hand.
3 | Franks Bar
Henrik hatte sich mit Tobi für abends um acht zum Kino verabredet. Eigentlich wollte er den vierten Teil von Rambo sehen, doch da der Film erst ab sechzehn Jahren freigegeben war und man Tobi nicht reinlassen wollte, gingen sie stattdessen in eine Komödie mit Til Schweiger in der Hauptrolle.
Wie Henrik erwartet hatte, war der Film zum Gähnen langweilig und seine Laune daher entsprechend schlecht, als sie gegen halb elf das Kino verließen. Zu allem Übel kamen sie draußen in einen Nieselregen. Henrik hatte einen Fußmarsch von etwa einer halben Stunde vor sich. Mit dem Bus fahren wollte er nicht, da ihm das Geld dafür zu schade war. Im letzten Monat hatte man ihn bereits zweimal beim Schwarzfahren erwischt.
»Was machen wir jetzt, Keule? Der Abend ist noch lang und morgen ist Sonntag.« Tobi war bester Laune wie immer. Er hatte den Til-Schweiger-Film zum Brüllen komisch gefunden und war unternehmungslustig bis unter die Halskrause.
»Was soll’n wir schon machen?«, raunzte Henrik missmutig, den Kopf mit den nassen Haaren in den hochgeschlagenen Kragen seiner Cordjacke eingezogen. Die Hände hatte er in den Taschen seiner Jeans vergraben. »Wir machen, dass wir bei dem Mistwetter auf schnellstem Wege nach Hause kommen. Ich habe keine Lust, morgen früh mit Grippe im Bett zu liegen.« Während er sprach, beschleunigte er seinen Schritt, den Blick stur auf den Bürgersteig gerichtet.
»Ach, sei kein Spielverderber!« Tobi knuffte Henrik gegen den Arm und lachte. Er war mit seinen hundertsiebzig Zentimetern Körpergröße nicht viel kleiner als der Freund, wog aber nur fünfzig Kilo. Henrik zog ihn oft auf, indem er ihn mit Livingdeads Skelettkriegern verglich.
Tobi nahm es mit Humor. Nichts konnte ihm die Laune verderben. Mit der rostrot gefärbten Igelfrisur, dem Piercing im rechten Nasenflügel und der Lücke im Frontzahnbereich wirkte er auf seine Umgebung nicht sehr vertrauenerweckend. Insbesondere, wenn er – wie heute – das T-Shirt trug, auf dem der Schriftzug Schluck, du Luder! stand.
In Wahrheit war der Junge gutmütig und völlig harmlos. Allerdings fand Henrik, dass er für sein Alter die Klappe viel zu weit aufriss. Er hatte Tobi vor zwei Jahren kennengelernt, natürlich im KoF. Dort hatte er ihm bei einer schwierigen Quest geholfen. Seitdem verabredeten sie sich regelmäßig im Game. Eines Tages war Tobi auf die Idee gekommen, sich im Real Life zu treffen. Henrik wusste bis heute nicht, warum er darauf eingegangen war. Auf jeden Fall verabredeten sie sich zum Kinobesuch.
Obwohl Tobi ständig redete, nur Unsinn quatschte und Henrik darauf meist genervt und unfreundlich reagierte, gewöhnten sie sich schnell aneinander. Tobi lieferte immer Ideen zu irgendwelchen Unternehmungen. Egal, ob Kino, Freibad, Pizzaessen oder einfach nur in der Stadt rumhängen – Henrik ging mit. Das hielt ihn nicht davon ab, ständig an allem herumzunörgeln, doch Tobi blieb immer bester Laune und machte unermüdlich Witze.
»Komm, wir gehen ins Molocco.« Tobi zwinkerte Henrik aufmunternd zu und zog ihm am Ärmel. »Es ist gleich um die nächste Ecke. Da können wir abwarten, bis der Regen vorbei ist und uns eine Kola genehmigen.«
Henrik zögerte kurz, dann seufzte er ergeben. »Na gut. Aber nur, wenn es die Kola gratis gibt.«
Die Chancen dafür standen gut. Im Molocco arbeitete nämlich Tobis Bruder Frank als Barkeeper, weshalb auch die Türsteher Tobi gut kannten und ihn – wenn es keiner mitbekam – heimlich einließen.
So lief es auch diesmal. Das Innere des Schuppens war einer Gruft nachempfunden und daher ziemlich dunkel. Die Fackelattrappen warfen