YOLO. Paul Sanker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Sanker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783957658548
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eines Discounters in der Vorstadt. Krause stellte ihn ohne Begeisterung, aber auch ohne großes Interesse für seine Schulzeugnisse als Auszubildenden zum Einzelhandelskaufmann ein. »Sozusagen aus alter Freundschaft zu deiner Mutter«, wie er mit eigenartiger Betonung auf dem Wort Freundschaft und einem anzüglichen Grinsen abschließend sagte.

      Die zweite Entscheidung, die seine Mutter für ihn traf, war, dass Henrik bei ihr auszuziehen habe. Sie hatte ihm ein Appartement am anderen Ende der Stadt angemietet. Bis zur Beendigung seiner zweijährigen Ausbildung werde sie die Miete zahlen, hatte sie versprochen, danach sei er selbst an der Reihe. Es sei an der Zeit, dass er lerne, auf eigenen Füßen zu stehen. Außerdem sei das bescheidene Reihenhaus mittlerweile zu klein geworden für Mutter und Sohn. Sie sei eine Frau in den besten Jahren und brauche Raum für ihre persönliche Entfaltung.

      Das mit der eigenen Wohnung empfand Henrik als gute Idee, den Job im Discounter eher weniger. Er sah aber auch den Vorteil, der darin lag, bald eigenes Geld verdienen zu können. Der Gesellschaft seiner Mutter weinte er keine Träne nach.

      Wie sich bald herausstellte, war es mit dem großen Geldverdienen im eigenen Job allerdings nicht weit her. Nachdem Henrik seine Lehre beendet hatte und von Herrn Krause sogar übernommen wurde – aus alter Freundschaft zur Mutter, versteht sich – bekam er gerade mal neunhundertfünfzig Euro ausbezahlt.

      Dreihundertfünfzig Euro betrug allein die Miete, die er ja von Stund an selber bestreiten musste. Dazu kamen Strom, Wasser, Telefon und so weiter. Mit dem Rest, der ihm blieb, kam er hinten und vorn nicht zurecht. Henrik Wanker war immer knapp bei Kasse.

      Die Mutter steckte ihm zwar zwischendurch mal ein paar Euro zu, wenn er ihr genügend lange etwas vorjammerte, doch es reichte nie aus. Dies lag natürlich auch an seinem Lebensstil.

      Ab und zu ging er zum Beispiel zur Rennbahn, und wenn er einen heißen Tipp von einem der Stalljungen bekam, wurde auch mal der eine oder andere Fuffi gesetzt. Scheiß Gäule! Aber was sollte es? Man lebt nur einmal – dafür aber mit Klasse!

      Zwischendurch brauchte Henrik auch schon mal Bares, um mit seinen Freundinnen in der Kit-Kat-Bar zu feiern. Er war dort ein gern gesehener Gast und die billigste Flasche Schampus kostete in diesem Lokal hundertzwanzig Euro. Das musste man schon investieren, wenn eine der Schlampen lieb zu ihm sein sollte.

      Heute nun war wieder mal Zahltag! Gut gelaunt pfeifend eilte Henrik in die Stadt, schnurstracks zu Billie, dem Pfandleiher. Er war dort Stammkunde. Immer mal wieder brachte er ihm ein paar Löffel aus Mutters Silberbesteck, eine alte Uhr oder Manschettenknöpfe, die noch von seinem Vater stammten. Das Zeug lag in irgendwelchen Schubladen oder auf dem Dachboden rum. Die Alte würde den Trödelkram sowieso nicht vermissen. Heute hatte er etwas ganz Besonderes zu verpfänden. Das würde ihn auf einen Schlag flüssig machen.

      Henrik war vor dem Laden des Pfandleihers angekommen. Durch das mit einem Stahlgitter gesicherte Schaufenster lugte er in den Raum hinein.

      Billie saß hinter seinem Tresen und überprüfte irgendwelche Listen, die vor ihm ausgebreitet lagen.

      Beschwingt öffnete Henrik die Ladentür, die jeden Eintretenden mit einem lauten Klingelton ankündigte.

      »Ach nee! Mein bester Kunde«, murmelte Billie mit einem kurzen Blick auf den Besucher. Er kniff das linke Auge halb zu, als er Henrik über die randlose Lesebrille hinweg anschaute, die tief auf seinem Nasenrücken saß. Sein linker Mundwinkel hing dabei leicht abschätzig herab.

      Billies Alter war schwer zu schätzen, es lag irgendwo zwischen Mitte vierzig und sechzig. Sein Schädel war bis auf ein paar graue Haarstoppeln kahl. Der Körper wirkte dagegen wegen seiner muskulösen Arme und dem ausladenden Brustkorb auffallend durchtrainiert. Die etwas abgeplattete Nase ließ den Verdacht aufkommen, dass er früher mal geboxt hatte.

      Nachdem Billie Henrik offenbar genug Aufmerksamkeit geschenkt hatte, brütete er weiter über seinen Papieren.

      »Hi, Billie, ich hab’ heute was ganz Wertvolles für dich.« Henrik kramte in der Innentasche seine Cordjacke herum und legte dann vorsichtig einen in Zeitungspapier gewickelten Gegenstand auf den Tresen.

      Billie schielte gelangweilt herüber. »Na und? Pack’s aus und mach’s nicht so spannend.«

      Henrik nickte und wickelte mit fahrigen Händen das Papier ab. Zum Vorschein kam ein breiter, goldener Armreif. Erwartungsvoll hielt er dem Pfandleiher das Schmuckstück hin.

      Der nahm es entgegen, schaute es von allen Seiten an und drehte es mehrfach prüfend um. »Nicht schlecht. Wo hast du das Teil her?« Misstrauisch sah er Henrik in die Augen.

      Dem standen feine Schweißperlen auf der Oberlippe und er zwinkerte nervös. »Äh … das ist … ein Erbstück … von meiner Mutter«, sagte er stotternd.

      »So, so. Ein Erbstück.« Billie zog ein Vergrößerungsglas unter dem Tresen hervor und betrachtete den Reif noch eingehender. »Zur Hochzeit meinem geliebten Schatz Sarah …«, las er langsam vor.

      »Hä?«, meinte Henrik.

      »Na, das steht da, du Einfaltspinsel! Zur Hochzeit. Ein Geschenk deines Vaters an deine Mutter.« Billie schüttelte missbilligend den Kopf. »Und was sagt dein Vater dazu, dass du das Ding verscherbelst?«

      »Äh … der ist auch tot. Ganz tragische Geschichte. Autounfall …, äh … dunkel und nasse Straße. Mein Vater wurde geblendet von der Sonne und kam – zack! – von der Straße ab.« Dabei machte Henrik mit der linken Hand eine entsprechende Bewegung, um den dramatischen Ablauf des Unfalles zu verdeutlichen.

      »Es war dunkel und dein Vater wurde von der Sonne geblendet.« Mit offenem Mund starrte der Pfandleiher Henrik an.

      »Nein, nein, nein! Ich meinte, er wurde vom Scheinwerferlicht eines entgegenkommenden LKW geblendet. Ja, genau so war’s.« Dabei nickte Henrik hastig zur Bekräftigung. Schweißränder zeigten sich unter den Achseln seines T-Shirts.

      »So, so. In der Tat gaaanz tragisch«, meinte Billie und betrachtete erneut den Armreif.

      Henrik gestattete sich ein erleichtertes Aufatmen und faselte: »Ja, es war eine schwere Zeit für mich, als ich mit zehn Jahren ins Waisenhaus musste, ganz allein, keine Verwandten.« Er schniefte gerührt und strich sich eine imaginäre Träne aus dem Augenwinkel. »Jeden Tag bekamen wir mittags Kohlsuppe. Nur am Sonntag gab es zusätzlich Tofuwurst und als Nachtisch ungezuckerten Grießbrei.«

      Billie hörte schweigend zu. Er saß da, in der einen Hand den Armreif, mit der anderen stützte er sein Kinn ab und blickte Henrik unverwandt an. Es wurde mucksmäuschenstill. Nur das Ticken der antiken Standuhr in der Ecke war zu hören.

      Nach einer Weile stand der Pfandleiher auf. »Na schön«, seufzte er, ging zu der altmodischen Registrierkasse, entnahm ihr einen Geldschein und reichte ihn Henrik. »Hier hast du zwanzig Euro.«

      Fassungslos starrte Henrik den Pfandleiher an.

      »Na, nimm schon, Kleiner. Eine Quittung brauchst du ja wohl nicht.« Billie wedelte mit dem Geldschein vor Henriks Nase herum.

      »Hä? Das ist doch wohl nicht dein Ernst? Meine Mutter sagt, das Ding ist locker dreihundert Mäuse wert.« Henriks Gesicht war nun vor Wut puterrot angelaufen.

      »Wer hat was gesagt?«, fragte Billie lauernd.

      »Äh, ich meine natürlich meine Stiefmutter. Ja, die Stiefmutter, die mich mit neun Jahren aus dem Waisenhaus adoptiert hat.«

      »So, jetzt reicht es mir, Bürschchen.« Drohend baute sich Billie vor Henrik auf. Mit dem Zeigefinger tippte er auf dessen schwammigen Brustkorb. »Du nimmst jetzt das Geld und machst dich aus dem Staub, oder du nimmst den Armreif zurück und machst dasselbe. Ich will dich auf jeden Fall nie mehr in meinem Geschäft sehen. Und jetzt: Zieh Leine!«

      Henrik glotzte verdutzt abwechselnd auf Geldschein und Schmuckstück. Dann griff er nach dem Armreif, steckte ihn hastig wieder in seine Jacke und schrie den Pfandleiher an: »Das wird dir noch leid tun, du dummer Wichser! Wir sprechen uns.«

      Als Billie einen schnellen Schritt auf ihn zu machte, drehte