YOLO. Paul Sanker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Sanker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783957658548
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      Hard2drive: Blaue Gilde, hört ihr mich?

      Donnergott: Hi, Pala. Was gibt's?

      Hard2drive: Hab das Vieh erledigt und die Pranke eingesackt. Quest erledigt.

      Donnergott: Hast du magische Gegenstände gefunden?

      Hard2drive: Nur ein gelbes Amulett, das die Lebenskraft verdoppelt.

      Donnergott: O stark! Brauchst du das Teil?

      Hard2drive: Nö, hab ein besseres. Kann ich dir schicken.

      Donnergott: Danke, Pala. Bist ein toller Kumpel. Aber ich muss Schluss machen. Essen steht auf dem Tisch.

      Hard2drive: Okay. Bis später dann.

      Donnergott: Bis später. Wir sehen uns mit den anderen in der Teufelsschlucht zur Lösung der nächsten Quest.

      Seufzend erhob sich Henrik von seinem Platz. Es war jetzt halb acht und er saß seit fast drei Stunden vor seinem PC. Auch er hatte einen Riesenhunger.

      In seinen braunen Filzpantoffeln schlurfte er Richtung Küche; dabei stolperte er fast über einen Haufen schmutziger Wäsche, der auf dem fleckigen Flokatiteppich lag.

      Er fluchte unterdrückt. Am Wochenende musste er unbedingt zu seiner Mutter und ihr die Wäsche bringen. Dabei würde er sie auch gleich fragen, wann sie ihm noch mal ihre Putzfrau schicken konnte. Die Alte würde ihn zwar wieder mit ihrem Gemecker nerven, aber es fing in seiner fünfundvierzig Quadratmeter großen Bude allmählich aus mehreren Ecken an, unangenehm zu riechen.

      Henrik gähnte laut und strich sich mit der Hand über das unrasierte Doppelkinn. Er war dreiundzwanzig Jahre alt, von Beruf Einzelhandelskaufmann und arbeitete in einer Discounterkette. Seine Tätigkeit bestand vor allem im Einräumen von Lebensmittelregalen. Ab und zu saß er auch an der Kasse. Aber nur selten, weil er mit dem Stress und der Hektik nicht fertig wurde, verursacht durch ungeduldige Kunden, sodass am Ende seine Kassenabrechnung oft nicht stimmte. Dafür hatte er von seinem Chef schon einmal eine Abmahnung bekommen. Dieser dumme Drecksack!

      Henrik schob die düsteren Gedanken beiseite und legte sich eine Pizza Diavolo in den Backofen. Sein Magen knurrte heftig. Gedankenverloren tätschelte er seinen fetten Bauch, den das knittrige, verschwitzte T-Shirt nur bis knapp zum Nabel bedeckte. Mit seinen hundertzweiundsiebzig Zentimetern Körpergröße und einem Gewicht von vierundneunzig Kilogramm hatte er sicher keine Modelmaße – aber wahre Schönheit kam ja von innen. Er grinste bei diesem Gedanken und ging ins Bad. Nachdem er genüsslich im Stehen mit geschlossenen Augen Wasser gelassen hatte, betrachtete er sich im Spiegel. Struppiges, dunkelblondes Haar fiel über die fettig glänzende Haut seiner Stirn.

      Hinter der schwarzen Hornbrille starrte ihm ein wässriges, graublaues Augenpaar entgegen. Er bleckte seine gelblich belegten Zähne und dachte, dass der Gebrauch einer Zahnbürste in naher Zukunft zu erwägen sei.

      Achselzuckend schlurfte Henrik in die Küche zurück und holte die Pizza aus dem Ofen. Gierig stopfte er die vor Fett triefenden Pizzastücke in den Mund.

      Er dachte schon wieder an den Computer. Heute Abend würde er mit den Mitgliedern seiner Gilde eine wichtige Quest beginnen: die Teufelsschlucht-Quest. Dabei mussten sie eine Horde Trolle in deren Lager aufspüren und vernichten. Dies würde nicht einfach sein, denn der Gegner war stark und gut bewaffnet. Aber als Belohnung winkte eine Schatztruhe voll einzigartiger magischer Gegenstände, die sie unter sich aufteilen würden.

      Er war derzeit im vierundneunzigsten Level – von neunundneunzig. Damit gehörte er zu den wenigen Champions im Onlinerollenspiel Kingdom of Fantasy, kurz KoF genannt. Er spielte im Hardcoremodus. Das hieß, dass es keine Wiederauferstehung gab, wenn er getötet wurde.

      Doch nur wenige hatten eine Chance, gegen ihn zu bestehen. Als Paladin war er nahezu unangreifbar. An seiner Rüstung hatten sich schon viele Gegner die Zähne ausgebissen. Seine Waffen waren mächtig und absolut tödlich. Außerdem beherrschte er eine Anzahl von wirkungsvollen Angriffs- und Verteidigungszaubern, mit denen er schon manch einen erfahrenen KoF-Spieler überrascht und ausgeschaltet hatte.

      Bereits seit drei Jahren hatte er im Hardcoremodus überleben können. Dies war nur sehr wenigen Spielern gelungen. Unter den Playern genoss er einen legendären Ruf. Er war gern gesehener Mitstreiter in schwierigen Quests und Schlachten, doch meistens kämpfte er allein oder mit seiner Gilde, die er vor einem Jahr gegründet hatte.

      Sie waren zu sechst. Er kannte seine Gildenbrüder lediglich als Spielcharaktere. Nur Donnergott – einen Barbaren im dreiundsiebzigsten Level – hatte er im Real Life kennengelernt.

      Er hieß Tobi Krüger und war ein fünfzehnjähriger Realschüler, der in derselben Stadt wohnte. Sie hatten sich einmal verabredet, waren zusammen ins Kino gegangen und seitdem befreundet.

      Tobi war der einzige Freund, den er hatte, auch wenn er ein bisschen durchgeknallt zu sein schien. Meistens schwänzte er die Schule und saß wie er vorm PC. Seinen Eltern war es egal. Der Vater war Alkoholiker und arbeitslos, die Mutter schluckte Antidepressiva und glotzte Fernsehen. Tobi hatte noch einen älteren Bruder. Frank gehörte zur Gothicszene und trug immer schwarze Klamotten. Abends trieb er sich in dubiosen Clubs rum und bekiffte sich.

      Eigentlich waren Henrik Tobis Lebensumstände mehr oder weniger egal. Hauptsache, er machte seine Sache in der Gilde gut und in dieser Hinsicht war er tatsächlich recht brauchbar, auch wenn er noch in einem vergleichsweise niedrigen Level steckte.

      Nachdem Henrik die Pizza vertilgt hatte, leckte er sich die Finger ab, rülpste verhalten und stand auf. Die Pizzaschachtel ließ er unbeachtet auf dem Tisch liegen. Die Putzfrau würde den Dreck sowieso wegräumen, wenn sie kam.

      Ihm fiel ein, dass er seine Mutter anrufen musste, um ihr mitzuteilen, dass er die Wäsche vorbeibringen wollte. Widerwillig nahm er sein Handy und wählte ihre Nummer.

      »Wanker?«, meldete sich eine Frauenstimme.

      »Hallo, Mom. Ich bin’s, dein Lieblingssohn.« Henrik grinste spöttisch. »Ich wollte deine Stimme hören und fragen, wie’s dir so geht.«

      »Ach, frag nicht! Wie soll’s mir schon gehen? Schlecht natürlich. Aber das interessiert dich doch gar nicht. Ich könnte in meiner Wohnung liegen und sterben. Keiner würde es bemerken. Erst wenn ich anfange zu verwesen und zu stinken.«

      Henrik hielt den Hörer von seinem Ohr ab, um die grelle, keifende Stimme nicht in voller Intensität hören zu müssen.

      »Ach, Mamutschka, du tust deinem Augenstern unrecht«, verteidigte er sich gelangweilt. »Jedes Wochenende komme ich dich besuchen. Ich liebe dich doch so sehr und habe solche Sehnsucht nach dir.« Er gähnte und rollte ungeduldig die Augen. Immer dieselbe Leier.

      »Du bist ein unverschämter Lügner. Deine arme Mutter ist so allein in ihrem Haus und das eigene Kind kümmert das nicht im Geringsten. Andere Söhne sind fürsorglich und behandeln ihre Mutter mit Respekt. Aber du? Meldest dich nur, wenn du Geld brauchst. Aber was wundert es mich? Dein nichtsnutziger Vater war ja genau so, bevor er einfach gestorben ist und mich mit dir hat alleine sitzen lassen.«

      Wie immer an dieser Stelle, an der sie seinen Vater erwähnte, fing die Mutter an zu heulen. Henrik kannte die Litanei auswendig und wollte sie nicht mehr hören, doch die Mutter redete immer weiter. Leise legte er das Handy auf den Tisch und schaltete den Fernseher ein.

      Es lief gerade Günter Jauchs Wer wird Millionär – sie waren bei der Zweiunddreißigtausend-Euro-Frage. Die Kandidatin hatte soeben ihren letzten Joker verbraucht und sagte zögernd: »Ich nehme Lösung C.«

      Das war leider falsch. Sie fiel auf tausend Euro zurück. Henrik grinste hämisch. »Geschieht dir recht, du blöde Schlampe.« Schicksalsergeben griff er wieder nach dem Telefon.

      Die Mutter erging sich noch immer in ihrem endlosen Redeschwall, vermischt mit Heulattacken. »… und was tust du? Lässt deine arme Mutter alleine!« Sie stockte kurz, um Luft zu holen.

      Diese Gelegenheit musste er nutzen. »Ich komme am Wochenende zu dir. Dann können wir zusammen essen und uns unterhalten.