Abiturzeugnis von Karl Marx aus dem Jahre 1835
Heinrich Marx gehörte zu den wenigen, die über die heimliche Verlobung der beiden Bescheid wusste, und er hatte sich überreden lassen, Mittelsmann zu sein. Es blieb nicht bei dieser Rolle, sondern der Vater versuchte, seinen Sohn bereits im Dezember auf Jennys schwierige Lage hinzuweisen: „Wäre ich mächtig genug, um dieses edle Wesen durch kräftiges Eingreifen in mancher Beziehung zu schützen und zu beruhigen, mir wäre kein Opfer zu groß. – Aber ich bin leider in jeder Hinsicht schwach. Sie Bringt Dir ein unschätzbares Opfer – sie beweist eine Selbstverleugnung, die nur von der kalten Vernunft ganz gewürdigt werden kann. Wehe Dir, wenn Du je in Deinem ganzen Leben, dies vergessen könntest! Doch jetzt kannst Du nur selbst wirkend eingreifen … und für Deine Anstrengungen lächelt Dir in der Zukunft ein Glück, welches zu verdienen jede Mühseligkeit ebenet.“ 6
Auch Schwester Sophie Marx war in die Liebesgeschichte involviert. „Dein letzter Brief, lieber Karl, hat mir bitt’re Thränen erpresst, wie konntest Du denken, dass ich versäumen würde, Dir Nachricht von Deiner Jenny zu geben? Ich träume und denke nur an Euch. Jenny liebt Dich; wenn der Unterschied der Jahre ihr Kummer macht, so geschieht’s Ihrer Eltern wegen. Sie wird dieselben jetzt nach und nach vorzubereiten suchen; alsdann schreibe Ihnen selber, Du giltst ja viel bei Ihnen. Jenny besucht uns häufig. Gestern war sie noch bei uns, und weinte bei Empfang Deiner Gedichte Thränen der Wonne und des Schmerzes. Unsere Eltern und Geschwister lieben sie sehr, letztere über alle Maßen; vor 10 Uhr darf sie uns nie verlassen, wie gefällt Dir das?“ 7, schrieb sie dem Bruder am 28. Dezember 1836. Vergeblich hatte Jenny zum Weihnachtsfest auf ein Geschenk des Verlobten gewartet. Erst nach den Festtagen trafen seine drei Gedichthefte „Das Buch der Liebe“ (Band 1 und 2) und „Das Buch der Lieder“ für die „teure, ewiggeliebte J. v. W.“ in Trier ein. Es waren Gedichte und Lieder über Sehnsucht, Verzweiflung, Kampf, Tod und Verderben – und natürlich über Karls Liebe zu Jenny. Eine Kostprobe:
„Menschenstolz“
„Jenny, Darf ich kühne es sagen,
Daß die Seelen liebend wir getauscht,
Daß in eines sie glühend schlagen,
Daß ein Strom durch ihre Wellen rauscht.
Dann werf’ ich den Handschuh höhnend
Einer Welt ins breite Angesicht,
Und die Riesenzwergin stürze stöhnend,
Meine Glut erdrückt ihr Trümmer nicht.
Götterähnlich darf ich wandeln,
Siegreich ziehn durch ihr Ruinenreich,
Jedes Wort ist Glut und Handeln,
Meine Brust dem Schöpferbusen gleich.“ 8
Besonders wird Jenny das Sonett aus dem „Buch der Lieder“ gefallen haben:
„Sieh, ich könnte tausend Bücher füllen,
Und nur „Jenny“ schrieb ich stets hinein,
Und doch würden sie Gedanken hüllen,
Ew’ge That, unwandelbaren Willen,
Süße Dichtung, zartes Sehnsuchtstillen,
Alle Gluth und Allen Aetherschein,
Alle Götterlust und Wehmuthspein,
All mein Wissen und mein eigen Sein.
In den Sternen kann ich ihn nur lesen,
Aus dem Zephyr tönt er mir zurück,
Aus der Welle Rauscherfülltem Wesen,
Und ich denk’ ihn einst in solchen Bann zu schreiben,
Daß Jahrhunderte erschaut sein Blick,
Jenny soll der Liebe Name bleiben.“ 9
Handschriftliches Gedicht von Karl Marx
Karls Gedichte waren keine dichterischen Glanzstücke, aber für Jenny Kleinode, die sie ein Leben lang aufbewahrte.
Vater Heinrich Marx sah die Zukunft des Paares nicht so rosig und schrieb das seinem Sohn im März 1837 auch: „Ich will und kann meine Schwäche gegen Dich nicht verbergen. Mein Herz schwelgt zuweilen in Gedanken an Dich und Deine Zukunft. Und dennoch zuweilen kann ich mich trauriger, ahnender Furcht erregender Ideen nicht entschlagen; wenn sich wie ein Blitz der Gedanke einschleicht: Ob Dein Herz Deinem Kopfe, Deinen Anlagen entspricht? – Ob es Raum hat für die irdischen aber sanftern Gefühle, die in diesem Jammerthale dem fühlenden Menschen so wesentlich trostreich sind? … Ob Du je, – und das ist meinem Herz nicht der wenigst peinigende Zweifel – je für wahrhaft menschliches – häusliches Glück – empfäng(lich) sein wirst? Ob Du je – und dieser Zweifel ist seit kurzer Zeit mir nicht weniger marternd, – seit ich eine gewisse Person wie mein eigenes Kind liebe – das Glück auf (die) nächste Umgebung zu verbreiten im Stande seyn wirst?“ 10 „Ob Dein Herz Deinem Kopfe entspricht?“, fragte der Vater dunkel ahnend und forderte: „Einen festen Entschluß mußt Du fassen – wenn auch nicht in dem Augenblicke, doch in diesem Jahre, und wenn er gefaßt ist, ihn fest ins Auge fassen und unerschütterlich verfolgen. … Drückend ist es für sie, // daß ihre Eltern nichts wissen, oder wie ich glaube, nichts wissen wollen. Sie kann sich selbst nicht erklären, wie sie, die ganz Verstandmensch zu seyn glaubte, sich so hinreißen ließ. Etwas Menschenscheu mag mit unterlaufen.“ 11 Die Verlobte war so unglücklich, fühlte sich so verlassen in Trier, dass Karl vom Vater den dringenden Rat erhielt: „Ein Brief von Dir, … den aber nicht der phantastische Poet diktiren darf, kann Trost bringen. Er muß zwar, wie ich daran übrigens nichts zweifle, voll zarten hingebenden Gefühls und reiner Liebe seyn, aber er muß hell und klar das Verhältniß auffassen, die Aussichten erörtern und beleuchten.“ 12 „Meine Ruh’ ist hin, mein Herz ist schwer“, mit Gretchens Worten aus Goethes „Faust I“ ließe sich die Gemütslage der heimlichen Braut beschreiben und nur Karl, der Mann, konnte Heilung bringen. Heinrich Marx forderte: „Die Gute verdient jede Rücksicht, und ich wiederhole es, ein ganzes Leben voll zarter Liebe vermag nur sie für das was sie schon gelitten, zu entschädigen, und selbst was sie noch leiden wird …“ 13 Nur eine offizielle Erklärung Karls konnte aus seiner Sicht Jennys Seelenfrieden retten, denn „ich sehe eine auffallende Erscheinung in Jy. Sie, die sich so ganz mit ihrem kindlichen Gemüthe Dir hingiebt, zeigt zuweilen unwillkührlich und gegen ihren eigenen Willen, eine Art von Furcht, von ahnungsschwangerer Furcht, die mir nicht entgeht, und die ich nicht zu erklären weis, und wovon sie jede Spur in meinem Herzen zu vertilgen suchte, sobald ich sie darauf aufmerksam machte – …unglücklicherweise erlaubt meine Erfahrung es nicht, daß ich mich leicht irre führen lasse.“ 14 Heinrich Marx bezog sich vermutlich auf die Ankündigung seines Sohnes, bei seinem nächsten Besuch bei Ludwig von Westphalen um Jennys Hand anzuhalten. Nach seiner Beobachtung schien sich Jenny vor diesem Treffen zu fürchten; denn sie war sich nicht sicher, ob ihr Vater seine Einwilligung geben würde und ein Nein hätte vermutlich die Trennung des Paares bedeutet. Dieses Mal würde sie sehr viel mehr leiden als sechs Jahre zuvor als junge, naive 17-Jährige; jetzt war sie eine erwachsene Frau mit 23 Jahren, schon mehr als reif für die Ehe. Sie hätte sich bei einem Ende der Beziehung vielleicht so sehr in ihren Kummer hineingesteigert, dass Schlimmstes zu befürchten