Jenny Marx. Marlene Ambrosi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marlene Ambrosi
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783942429559
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konnte. Er bekam zwar noch „einige Zinsen aus der Erbschaft der Schottischen Tanten“, musste jedoch von seiner Pension seinem Bruder Heinrich jährlich 200 Taler für einen vor vielen Jahren erhaltenen Kredit zurückzahlen und Sohn Edgar würde in Kürze 500 Taler im Jahr kosten. Die finanzielle Einbuße belastete den Vater, denn er fühlte sich seinem Stand und seiner Position verpflichtet und meinte, entsprechend repräsentieren zu müssen. Sohn Carl, inzwischen Landgerichtsrat, half die finanzielle Verschlechterung zu mildern, indem er sich 1835 nach Trier versetzen ließ und wieder bei den Eltern Quartier bezog, nach Ansicht seines älteren Bruders „ein Opfer, welches, beim Zusammenleben mit der Stiefmutter und ihrer Schwester, vermöge der mehrfachen Beschränkungen und Entsagungen, die er sich in seinem blühendsten Lebensalter auferlegen musste, in seiner ganzen drückenden Schwere sich nur zu früh schon entwickelte.“ 12 Von Carls Anwesenheit profitierten auch die jüngeren Geschwister, da sie dreimal pro Woche einer Stunde Privatunterricht in Englisch beiwohnen durften. Jenny las außerdem „viel Französische Bücher aus einem … neu arrangierten Lesezirkel.“ 13 Englisch und Französisch fließend zu sprechen, erleichterten ihr später das Leben erheblich. Auch im Geschäftsleben wurde die junge Frau aktiv, wie eine Abrechnung zeigt, „die sich – wie er (der Vater, M.A.) selbst schrieb – auf eine Weinankaufsspekulation seiner Tochter bezog, die am 28. Januar 1835 10 1/3 Fuder Kaseler Wein des Jahres 1834 gekauft hatte. Davon waren 250 Taler aus ihrem und 900 Taler aus seinem Vermögen. Danach schenkte er ihr zwei Staatsschuldscheine im Gesamtwert von 1.000 Talern.“ 14 Das 100 Reichstaler-Geschenk zu ihrem 18. Geburtstag könnte in Jennys geschäftliche Unternehmung geflossen sein.

      TEIL II – SIEBEN LANGE JAHRE

      Liebe auf den tausendsten Blick

      Das Jahr 1836

      Jenny von Westphalens Bestimmung war es, zu heiraten und die Zukunft der Familie durch Kinder abzusichern. Aber die Zeit verging und sie lehnte jede Offerte ab, trotz fortgeschrittenen Alters. Kein Heiratskandidat fand ihr Wohlgefallen. Von einem preußischen Militär hielt sie nach ihrer Erfahrung mit Pannewitz wahrscheinlich nicht viel, weil sie annehmen musste, dass ihre politisch-gesellschaftlichen Haltungen konträr zueinander waren. Aber einen tüchtigen, adligen Herrn, in der Verwaltung tätig und liberalen Reformen nicht abgeneigt, hätte sie vielleicht erhören können. An einen, allerdings bürgerlichen Verehrer, Peter Reichensperger, meinte sich Bruder Edgar später erinnern zu können. Der Zentrums-Politiker kam allerdings erst 1844 an das Landgericht Trier, als Jenny schon verheiratet war.

      Warum konnte sich die junge Dame nicht entscheiden? Lag ihre Unentschlossenheit darin begründet, dass sie sich immer mehr zu dem klugen, rebellischen Karl Marx hingezogen fühlte und die Verwandtschaft ihrer Seelen und ihre übereinstimmung im Geiste spürte? Mit ihm zu debattieren war eine Freude, schulte die Dialektik und beide konnten sich an ihren geistigen Höhenflügen begeistern. Der geniale Geist des vier Jahre Jüngeren, seine ironische überlegenheit, seine Beredsamkeit, sein Temperament und sein unkonventionelles Benehmen, später sprach man von schlechten Manieren, hatten sie zunehmend fasziniert. Als versteckte Liebesbeweise, kleine Zärtlichkeiten hinzukamen, wurde ihr bewusst, dass sie sich auch körperlich zu ihm hingezogen fühlte. Irgendwann gestand der stürmische Junge, dass er sie liebte. Zunächst hielt sie dies für eine Verirrung und Verwirrung der Gefühle, aber bald musste sie sich eingestehen, dass auch bei ihr aus Sympathie Verliebtheit und letztendlich Liebe geworden war. Die Baronesse und Karl Marx beschlossen sich zu verbinden. Aber wie sollte Jenny die Einwilligung der Eltern erhalten? Die Eltern schätzten Karl Marx, aber auch als Schwiegersohn? Der gesellschaftliche Konsens würde erheblich gestört werden, wenn eine Adlige einen Bürgerlichen heiratete. Das war nicht nur ungewöhnlich, das war schockierend, auch für Jennys Eltern. Erst im September 1834 war Ludwig von Westphalen mit Kindern auf eigenen Antrag in das Adelsverzeichnis für das Rheinland aufgenommen worden – und nun wollte die Tochter einen Schritt unternehmen, der zum Verlust ihres Adelstitels und aller damit verbundenen Privilegien führen würde? Eine Abkehr vom Pfad des Standes war schwer vermittelbar, war ein Skandal – außer für die verliebte Jenny. Wie würden die verwandten Adelsfamilien reagieren, die Krosigks, Veltheims, Florencourts und die anderen Westphalens? Die Skala würde von Missbilligung bis zu offener Ablehnung reichen, kaum von Verständnis bis Wohlwollen.

      Für Naserümpfen würde neben dem Standesunterschied auch die Jugend des Bräutigams sorgen. In Jennys Kreisen war der Ehemann gewöhnlich erheblich älter als die Frau, hatte einen Beruf und war in der Lage, eine Familie zu ernähren. Das alles traf auf Karl Marx nicht zu, er war noch nicht einmal erwachsen. Hinzu kam der jüdische Hintergrund, obwohl die jüdischen Wurzeln von Marx die Aversion gegen die Verbindung nicht verstärkt haben müssen. Karl Marx hat jeden diesbezüglichen Hinweis vehement bestritten, und es ist auch festzuhalten, dass Juden in der Mitte des 19. Jahrhunderts über ihre Religion definiert wurden, nicht durch ihre Ethnie. Die Religion als Ablehnungsmerkmal spielte nach der Konversion der Familie von Heinrich Marx 1824/25 keine Rolle.

      Karl Marx, ein Bürgerlicher, vier Jahre jünger als die adlige Braut, ein Student, ohne Einkommen, ohne Vermögen, war als Ehekandidat unmöglich. Aber die Entscheidung Jenny von Westphalens war unwiderruflich auf Karl Marx gefallen.

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      Das Geburtshaus von Karl Marx in Trier