Karl Marx
Der nächste Brief des Vaters im Dezember gefiel dem Sohne noch weniger. „Wenn man seine Schwäche kennt, so muß man Maaßregeln dagegen ergreifen. … Ich will also meine Klagen in Aphorismen aushauchen, denn wirklich Klagen sind es, die ich vorbringe. „1. Welches ist die Aufgabe eines jungen Mannes, dem die Natur unbestritten ungewöhnliches Talent verliehen, besonders
… b. Wenn er ohne sein Alter und seine Lage zu Rath zu ziehen, eines der edelsten Mädchen an sein Schicksal gekettet, und
c. Dadurch eine sehr ehrwürdige Familie in die Lage versetzt hat, ein Verhältnis gut zu heisen, was anscheinend und nach dem gewöhnlichen Weltenlauf für dieses geliebte Kind voller Gefahren und trüber Aussichten ist“13, schrieb der Vater und da er um die bewusste Sprachlosigkeit seines Sohnes bei Kritik wusste, fügte er die Antworten hinzu:
„… b. Ja er mußte bedenken, daß er eine, möglicherweise seine Jahre übersteigende, aber desto heiligere Pflicht übernommen sich selbst dem Wohl eines Mädchens zu opfern, das seinen ausgezeichneten Verdiensten und seiner geselligen Stellung nach ein großes Opfer brachte, wenn sie ihre glänzende Lage und ihre Aussichten für eine schwankende und grauere Zukunft hingab, und sich dem Schicksale eines jüngeren Mannes ankettete. Ihr eine Zukunft zu schaffen ist die einfache // und praktische Auflösung, ihrer würdig, in der wirklichen Welt, nicht im beräucherten Zimmer, bey der dampfenden Oehllampe neben einem verwilderten Gelehrten;
c. Ja er hat eine große Schuld abzutragen, und eine edle Familie fordert großes Vergeltungsrecht für ihre dahingegebenen schönen und durch die trefliche Persönlichkeit ihres Kindes so sehr gegründeten Hoffnungen. Denn wahrlich Tausende von Eltern würden ihre Einwilligung versagt haben. Und in düstern Augenblicken wünscht Dein eigner Vater beynahe, sie hätten es gethan – denn zu sehr liegt mir das Wohl dieses Engelmädchens am Herzen, das ich zwar wie eine Tochter liebe, aber für deren Glück mir eben so sehr bangt.“14 Den Vater trieb das Schicksal seiner zukünftigen Schwiegertochter um, um ihr Glück bangte es ihm – und was machte sein Herr Sohn stattdessen? „//Das sei Gott geklagt!!! Ordnungslosigkeit, dumpfes Herumschweben in allen Theilen des Wissens, dumpfes Brüten bey der düsteren Oehllampe; Verwildrung im gelehrten Schlafrock und ungekämmter Haare … auf die schmutzige Stube beschränkt, wo vielleicht in der klassischen Unordnung die Liebesbriefe einer J und die wohlgemeinten und vielleicht mit Thränen geschriebenen Ermahnungen des Vaters zum Fidibus, was übrigens besser wäre als wenn sie durch noch unverantwortlichere Unordnung in die Hände Dritter kämen“15, klagte Heinrich Marx. Ein düsteres Szenario aus der Feder des Vaters! Und dabei arbeitete Karl besessen an grundlegenden Neuerungen in Philosophie und Rechtswissenschaften. Der Vater fügte erbarmungslos hinzu: „Ich will und muß Dir sagen, daß Du Deinen Eltern vielen Verdruß gemacht, und wenig oder keine Freude.“16 Ein niederschmetterndes Urteil von einem Menschen, der Karl über alles liebte und bedingungslos unterstützte – und die Worte waren nicht Ausdruck einer momentanen Gefühlslage, sondern Ergebnis langer Reflexionen. Dem Vater war die Kritik nach eigenem Bekunden nicht leicht gefallen: „Es geht mir zwar troz meines Vorsatzes sehr tief, es erdrückt mich beynahe das Gefühl Dir weh zu tun, und schon weht mich wieder meine Schwäche an, aber um mir zu helfen – ganz wörtlich – nehme ich die mir vorgeschriebenen reellen Pillen, verschlucke alles herunter, denn ich will einmal hart seyn und meine Klagen ganz aushauchen. Ich will nicht weich werden, denn ich fühle es daß ich zu nachsichtig war zu wenig mich in Beschwerden ergoß, und dadurch gewissermaßen Dein Mitschuldiger geworden bin.“17 Ein schonungsloser Brief. So gnadenlos analysiert, so treffend charakterisiert zu werden, muss Karl Marx geschmerzt haben. Und doch sind die Briefe von Heinrich Marx an seinen Sohn ein Zeugnis unendlicher Liebe, verbunden mit harter Kritik und unbestechlichem Blick. Heinrich Marx war sich vermutlich darüber im Klaren, dass niemand und nichts seinen Sohn würde ändern können, nicht einmal die geliebte Frau. Alle, aber auch wirklich alle Befürchtungen des Vaters werden in den nächsten Jahrzehnten eintreten.
Warum ging der Vater so hart mit dem Sohne ins Gericht? „Die Stimmung, in der ich mich befinde, ist in der That auch nichts weniger als poetisch. Mit einem Husten, der jährig ist, und mein Geschäft mir drückend macht, und mit einer seit kurzem hinzugekommenen Gicht verpaart, finde ich mich selber mehr verstimmt als billig, und ärgere mich meiner Karackterschwäche, und so kannst Du freylich nur erwarten die Schilderungen eines alternden grämlichen Mannes, der sich über die ewigen Täuschungen ärgert, und besonders darüber, daß er seinem eignen Idol einen Spiegel voller Zerrbilder vorhalten muß“18, fügte er in seinem Brief vom 9. Dezember 1837 hinzu. Statt dem Vater zu antworten, beklagte sich der Sohn so bitterlich über die Vorhaltungen, dass sich sogar sein zukünftiger Schwiegervater bei Sohn Ferdinand echauffierte über „das wirkliche Unrecht, was ihm der strenge, ihn durchaus nicht schonende Vater quasi ab irato u. durch eigenes langes Unwohlsein u. das Gefühl einer herannahenden schweren eigenen Krankheit u. durch häusliches großes Leid sehr verstimmt … zugefügt hat – u. wodurch diese nun zugleich wohl auch durch übermenschliche besonders nächtliche Geistesanstrengung dessen nun Gottlob gehobene gefährliche Krankheit erzeugt worden. Er hatte, wie er wähnte, zur Befriedung seines von ihm hoch verehrten, über alles geliebten Vaters, diesem ein opus von 300 enggeschriebenen Bogen über einen höchst trockenen Theil der Rechtswissenschaften mitgetheilt, wovon der Vater selbst einräumen mußte, sie zeuge von vielen gründlichen Rechtskenntnissen, tiefem philosophischen Geist, Originalität, scharfem, eindringlichem Urtheile u. sey mit gr(oßer) Klarheit in reinstem fasslichem Style abgefasst, an deren Ende u. im Schluß Resultate der Verfasser aber selbst anerkannt, er habe aus falschen unhaltbaren Prämissen ein völlig unhaltbares, falsches System entwickelt und die Arbeit sey zu verwerfen. Daraus nimmt nun der Vater Anlaß zum schärfsten Tadel seiner unpractischen unersprieslichen Arbeits– und Beschäftigungsweise… dass er auf diesem Wege niemals zu seinem Zwecke kommen und stets leeres Stroh dreschen werde – u. nun folgt nichts als wie strenger herber Tadel auf Tadel.“19 Eine schöne Verteidigungsrede für Karl und doch relativierte Westphalen sein barsches Urteil, als er auf die schlimmen Wochen im Hause Marx hinwies. Eduard, der jüngste Sohn, war nach langer Krankheit am 14. Dezember 1837 im Alter von nur 11 Jahren gestorben. Er war, wie Ludwig von Westphalen anfügte, „von dem Augenblicke an, wo er das Gymnasium besuchte – in eine d(urch)aus räthselhafte Auszehrungskrankheit aus einem blühenden kräftigen Jungen verfallen …, bis der Tod ihn u. die armen Eltern und Geschwister von so großem Leiden befreite.“20 Jenny, die das Sterben des kleinen Eduard mit bangem Herzen verfolgt hatte, vernahm nach den Worten ihres Vaters mit Tränen „das klugrührende Testament des kl(einen) Engels, worin er seine liebe Jenny vorzüglich bedachte!“21 Diese Zeilen von Karls jüngerem Bruder sind