1 Gemkow, Aus dem Leben einer rheinischen Familie, S.517
2 Gemkow, Aus dem Leben einer rheinischen Familie, S.519
3 Gemkow, Aus dem Leben einer rheinischen Familie, S.519
4 Gemkow, Aus dem Leben einer rheinischen Familie, S.516
Warten in Trier – Selbstfindung in Berlin
Die Jahre 1837 bis 1842
Karl Marx hatte größte Schwierigkeiten mit sich selbst und seiner Zukunftsplanung. Nach dem Wechsel an die Universität in Berlin erkannte er, dass er nicht den juristischen Berufsweg einschlagen wollte, aber er zögerte, dies dem Vater mitzuteilen. Heinrich Marx konnte dem Sohn manches vorwerfen, jedoch nicht Faulheit oder Nichtstun. Im Gegenteil: Karl widmete sich so eifrig den Fächern, die er nicht studieren sollte, dass der Vater sich Sorgen um seine Gesundheit machte. „Ein siecher Gelehrter ist das unglücklichste Wesen auf Erden“1, warnte er. Das war nicht das Einzige, was ihm Sorgen bereitete. Er beobachtete bei seinem Sohn einen Charakterzug, den Jenny noch nicht erkannte. Immer deutlicher kristallisierte sich nämlich heraus, dass Karl Marx mit Geld nicht verantwortungsvoll umgehen konnte. „Soviel sah ich, daß Du Geld brauchst, und deswegen habe ich Dir 50 Thaler geschickt. Das macht mit dem was Du mitgenommen immer 160 Thaler. … Lieber Karl, ich wiederhole Dir, daß ich alles recht gerne thue, daß ich aber als Vater von vielen Kindern – und Du weist recht gut, ich bin nicht reich – nicht mehr thun will, als zu Deinem Wohl und Fortkommen nothwendig ist“2, ermahnte Heinrich Marx seinen Sohn; denn wie er die Beträge aufbrachte, kümmerte den Sprössling nicht. Im Mai 1836 erhielt der Sohn weitere 100 Taler, im November 50 Taler. Trotz Aufforderung schien er ein Jahr später noch immer keinen überblick über seine Ausgaben zu haben. „Als wären wir Goldmännchen, verfügt der Herr Sohn in einem Jahre für beynahe 700 Thaler gegen jede Abrede, gegen alle Gebräuche, während die Reichsten keine 500 ausgeben. Und warum? Ich lasse ihm die Gerechtigkeit widerfahren, daß er kein Prasser, kein Verschwender ist. Aber wie kann ein Mann, der alle 8 oder 14 Tage neue Systeme erfinden, und die alten mühsam erwirkten Arbeiten zerreißen muß, wie kann der, frage ich, sich mit Kleinigkeiten abgeben?“3, schrieb der erboste Vater, der es dennoch nicht übers Herz brachte, seinen Sohn mittellos leben zu lassen. Studiosus Karl brauchte doch Geld für Wein, Bier, Tabak und Essen, für Papier, Tinte, Wohnung und Kerzen. Jenny erfuhr von diesen innerfamiliären Problemen wenig, und sie interessierte sich auch nicht für Marx’sche Geldangelegenheiten.
Heinrich Marx war zwar stolz, dass sein Sohn eine so vortreffliche Partie gemacht hatte, aber ihm schwante nicht nur Gutes für die Zukunft des jungen Paares. Er fürchtete, dass Jenny kein leichtes Leben erwarten würde. „So sehr ich Dich über alles – die Mutter ausgenommen – liebe, so wenig bin ich blind, und noch weniger will ich es seyn. Ich lasse Dir viele Gerechtigkeit widerfahren, aber ich kann mich nicht ganz des Gedankens entschlagen, daß Du nicht frei von Egoismus bist, etwas mehr als zur Selbsterhaltung nöthig. Du wirst und musst nun früh Familienvater werden. Aber weder Ehre noch Reichthum noch Ruf werden die Frau und die Kinder beglücken. Du allein kannst es, Dein besseres Ich, Deine Liebe, Dein zartes Benehmen, das Hintansetzen stürmischer Eigenheiten, heftiger Aufbrausungen kränkelnder Empfindsamkeit etc. etc. etc.“4, schrieb er besorgt an seinen Sohn.
Jedes Gerücht, jedes Wort konnte von Dritten weitergetragen werden, zu einer atmosphärischen Trübung führen und dann war der Vater der beste Vermittler. „Daß sie Dir nicht schreibt, ist – ich kann es nicht anderst nennen – kindisch, eigensinnig. Denn daß sie Dich mit der aufopferndsten Liebe umfaßt, läßt sich gar nicht bezweifeln, und sie war nicht weit davon, es mit ihrem Tode zu besiegeln. … Du kannst sicher seyn, und ich bin es (und Du weist es, ich bin nicht leichtgläubig) daß ein Fürst nicht imstande, sie Dir abwegig zu machen. Sie hängt Dir mit Leib und Seele an – und Du darfst es nie vergessen –, in ihrem Alter bringt sie Dir ein Opfer, wie gewöhnliche Mädchen es gewiß nicht fähig wären“5, beruhigte Heinrich Marx seinen Sohn im August 1837.
Jenny, die bisher so überlegene, selbstbestimmte junge Dame entwickelte einen Hang zu nervöser Aufgeregtheit, jetzt noch euphemistisch Exaltiertheit genannt. Die Familie war ob dieser Veränderung besorgt und schickte sie zusammen mit dem kranken Bruder Carl zur Kur. Von Mitte August bis Mitte September 1837 logierten die Geschwister in Kreuznach im „Goldenen Adler“, bevor sie nach einem Abstecher über die aufregende freie Stadt Frankfurt in die Heimat zurückkehrten. Bruder Carl berichtete Ferdinand: „Jenny hat sich nun nachgerade von den Mühseligkeiten der Reise, die sie doch sehr angegrifen hatte, etwas erholt. Die Reise nach Frankfurt, die fast ununterbrochene Conversation auf derselben, das viele Umherlaufen auf der Messe und die nächtliche Fahrt nach Mainz hatten sie leider so ermüdet, daß sie von der schönen Wasserparthie nach Coblenz wenig genossen hat. übrigens war sie mit mir der Meinung, dass unsere Gegend bei Trier doch eigentlich von keiner der Rheingegenden, welche wir passierten, übertroffen werde. Dagegen fand sie das Leben dort freilich viel interessanter als hier. Denn uns fehlen die größeren geistigen Genüsse hier, und der unermeßliche Menschen-Wirwarr und all’ die schönen Luxus-Gegenstände und Annehmlichkeiten des Lebens, die durch Messe und Fremde dort hingebracht werden. Uns winkt übrigens in dieser Hinsicht auch eine freundlichere Aussicht. Denn am 1. October will die Rheinische-Dampfschiffahrtgesellschaft den Versuch einer Dampfbootfahrt auf der Mosel machen.“6 Ab 1839 verkehrten Dampfschiffe von Metz nach Trier und ab 1841 bis Koblenz. Die Natur um Trier gefiel Jenny bestens, das Stadtleben in Klein-Trier hingegen empfand sie als langweilig, auch weil Karl nicht an ihrer Seite war.
Student Karl stürzte in eine Selbstfindungskrise, nachdem ihm, wie er dem Vater im November 1837 offenbarte, bewusst geworden war: „Ich musste Jurisprudenz studieren und fühlte vor allem Drang, mit der Philosophie zu ringen.“7 Nur von Angesicht zu Angesicht meinte er seinen Gewissenskonflikt dem Vater darlegen zu können: „Glaube mir, mein theurer, lieber Vater, keine eigennützige Absicht drängt mich, (obgleich ich seelig sein würde, Jenny wiederzusehn)…“8 Jenny ging ihm nicht aus dem Sinn, nicht einmal die „Kunst …(war) so schön, als Jenny.“9 „Grüße gefällig meine süße, herrliche Jenny. Ihr Brief ist schon zwölfmal durchlesen von mir, und stets entdecke ich neue Reize. Es ist in jeder, auch in stilistischer Hinsicht der schönste Brief, den ich von Damen denken kann.“10 Jenny lächelte geschmeichelt und glückselig über das Lob und fühlte ihre geistige Brillanz bestätigt.
Karls Probleme wurden durch den Vater und durch die Geliebte verstärkt. Im November 1837 meldete sich der Vater, nachdem er „mehrere Briefe geschrieben, die manche Auskunft verlangten. Und statt alles dessen ein fragmentarisch abgerissener, und was noch viel schlimmer ist, ein zerrissener Brief––––. Offenherzig gesprochen, mein lieber Karl, ich liebe dies moderne Wort nicht, worin sich alle Schwächlinge hüllen, wenn sie mit der Welt hadern, daß sie nicht ohne alle Arbeit und Mühe wohl möblierte Palläste mit Millionen und Equipagen besitzen.