Zu der Familie gehörten neben dem verstorbenen Mauritz David und dem am 5. Mai 1818 geborenen Karl noch weitere sieben Kinder. Sophia (13.11.1816) war die Jugendfreundin von Jenny von Westphalen. Mit 26 Jahren heiratete sie den Anwalt Wilhelm Robert Schmalhausen aus Maastricht, mit dem sie vier Kinder hatte. Sie starb im Dezember 1886. Karls jüngerer Bruder Hermann (30.10.1819, als einziges Kind des Ehepaares Marx nicht in Trier, sondern in Nymwegen geboren) erlernte in Amsterdam und Brüssel das Handelsgewerbe. Später lebte er bei seiner Familie in Trier und starb mit 23 Jahren am 14. Oktober 1842. Henriette (28.10.1820) heiratete den Architekten Albert Simons, ließ sich mit ihm im heutigen Oberhausen nieder und starb wenige Monate nach ihrer Vermählung im Jahre 1845. Louise (14.11.1821) wurde im Juni 1853 die Frau des Notariatskandidaten und späteren Verlegers und Buchhändlers Johann Carl Juta und wanderte nach Kapstadt/Südafrika aus, wo sie am 3. Juli 1893 starb. Die ein Jahr jüngere Emilie (24.10.1822) vermählte sich 1859 mit dem Wasserbauaufseher Johann Jakob Conradi. Sie war die einzige, die in Trier blieb und sich um die Mutter kümmerte, mit der sie spätestens ab 1861 in einem Haushalt lebte. Im Oktober 1888 erlag sie einem Herzleiden. Caroline (30.07.1824) starb mit 23 Jahren im Dezember 1847 an Schwindsucht und Eduard (07.04.1826) segnete mit elf Jahren im Dezember 1837 das Zeitliche. Vater Heinrich erlebte nur den Tod seines Erstgeborenen und seines Jüngsten, seine Frau musste zusätzlich den Verlust von Sohn Hermann und der Töchter Henriette und Caroline verkraften.
Eine Ehe zwischen der Baronesse und dem Bürgerlichen war trotz der Freundschaft zwischen den Vätern und den Kindern aus den genannten Gründen aufsehenerregend. Das war auch Jenny bewusst, und sie beschloss abzuwarten. Die Eltern wollten nach ihrem Eindruck nichts sehen und wissen, obwohl sie doch die verliebten Blicke, die heimlichen Zärtlichkeiten hätten wahrnehmen müssen. Jenny schwieg, obwohl es ihr schwerfiel. Fürchtete sie, man würde ihr die Unmöglichkeit der Verbindung vor Augen führen? Sie konnte sich nur auf wenige Frauen berufen, die aus Liebe den Standesverlust in Kauf genommen hatten. Vielleicht war Charlotte Schiller, eine geborene von Lengefeld, ein gutes Beispiel, aber diese hatte immerhin einen schon berühmten Dichter geheiratet, der zu ihrer großen Erleichterung später in den Adelsstand erhoben wurde. Auch Frau Hegel war eine gebürtige Marie von Tucher gewesen; ihr Ehemann, Georg Wilhelm Hegel, war bei ihrer Heirat allerdings schon Schuldirektor.
Jenny stand glücklicherweise keiner geschlossenen Front in der Familie gegenüber. Edgar war eingeweiht und Bruder Carl würde nicht gegen sie intrigieren. Aber Ferdinands Einfluss auf den Vater war nicht gering zu schätzen. Als er später von der Verbindung erfuhr, sprach er sich entschieden gegen die Mesalliance aus. Wenn es in seiner Macht gestanden hätte, hätte er diese Heirat verboten. Auch deshalb zögerte Jenny, ihr Glück offen zu zeigen. Sie kam mit Karl überein, nichts zu übereilen und ihre Liebe auf die Probe zu stellen. Die Gelegenheit ergab sich im Herbst 1835, als der junge Mann das Studium der Rechtswissenschaften an der neu gegründeten Königlich Preußischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn aufnahm.
In der kleinen Stadt am Rhein lebten 700 Studenten, und viele organisierten sich nach dem Verbot der Burschenschaften in Landsmannschaften, Karl Marx in der „Trevirania“. Der vielseitig interessierte Student besuchte Vorlesungen in Jura und Philosophie, bildete sich in Geschichte und Literatur weiter und war sich nicht sicher, ob er Jurist werden wollte. Sein Vater wusste um die vielfältigen Begabungen des Sohnes und zeigte sich gegenüber anderen Berufszielen durchaus aufgeschlossen, nicht jedoch gegenüber der Dichtkunst, zu der sich Karl zeitweilig berufen fühlte. Heinrich Marx, sehr intelligent, sehr gebildet und sehr belesen, reagierte reserviert: „Ich sage es Dir unverhohlen, mich freuen innig Deine Anlagen, und ich verspreche mir viel davon, doch es würde mich jammern, Dich als gemeines Poetlein auftreten zu sehen.“ 2 Immerhin wurden zwei Gedichte Karls, die „Wilden Lieder“, vier Jahre später in der Berliner Wochenzeitschrift „Athenäum“ in der Ausgabe vom 23. Januar 1841 veröffentlicht.
Jenny musste ohne Karl in Trier ausharren, aber sie ging gesellschaftlichen Pflichten und Vergnügungen nach. In Begleitung ihrer Eltern besuchte sie beispielsweise im August 1837 einen Ball, der zu Ehren der preußischen Prinzessin Marie gegeben wurde, und sie war eine begehrte Tanzpartnerin. „Jenny war zu einer auf einem Maskeradeball in der Erholungsgesellschaft aufzuführenden Quadrille, wozu sich 12 Paare vereinigt hatten, ebenfalls engagirt worden“ 3, erwähnte Bruder Carl in einem Brief an Ferdinand im Februar 1836.
Karl Marx wechselte nach nur einem Studienjahr in Bonn mit der Erlaubnis, vielleicht auch auf Wunsch des Vaters den Studienort. Er entschied sich für Berlin. Ob konkrete Gründe ihn zwangen, ist nicht erwiesen. Vielleicht war es ihm in Bonn zu eng geworden, der Kontakt zu den Kommilitonen aus Trier zu lästig oder der Vater befürchtete einen Verweis, da der Herr Student wegen einer Rauferei und eines Duells mit Säbel unangenehm aufgefallen war. Das war nichts Ungewöhnliches in einem Studentenleben der damaligen Zeit, vor allem, wenn ein temperamentvoller Trierer Student mit einem arrogant auftretenden preußischen Studenten aneinandergeriet. Karls neue Wirkungsstätte, die 1809 auf der Grundlage von Wilhelm von Humboldts berühmter Denkschrift gegründete Berliner Universität, die alma mater berolinensis, hatte einen hervorragenden Ruf. In Berlin ging es geistig freier zu, und diese liberalere Atmosphäre zog Studenten aus allen Teilen des preußischen Staates an, auch Karl Marx. „An Trinkgelage, an Duelle, an gemeinschaftliche Fahrten usw. ist hier gar nicht zu denken; auf keiner anderen Universität herrscht wohl solch allgemeiner Fleiß, solcher Sinn für etwas Höheres als bloße Studentengeschichten, solches Streben nach Wissenschaft, solche Ruhe und Stille wie hier. Wahre Kneipen sind andere Universitäten gegen das hiesige Arbeitshaus“ 4, rühmte Ludwig Feuerbach die Friedrich-Wilhelms-Universität. Als Edgar von Westphalen im Herbst 1837 unschlüssig war, ob er nach Berlin wechseln sollte, riet Bruder Ferdinand: „Berlin ist des Vaterlandes stolze Mitte, – am reichsten ausgestattet mit tüchtigen Professoren und wissenschaftlichen Hülfsmitteln, – also für den Hauptzweck andern Universitäten überlegen; aber freilich sehr entfernt …“ 5 Das empfand seine Schwester Jenny auch so und nahm daher den Schritt Karls mit ambivalenten Gefühlen auf. Sie fand es aufregend, dass er in der preußischen Hauptstadt mit mehr als 300.000 Einwohnern leben wollte, aber ihr Herz wurde schwer, wenn sie an die Entfernung Berlin-Trier dachte. Mehr als 700 Kilometer trennten sie. Musste das wirklich sein?, wird sie sich bisweilen im Stillen gefragt haben. Aber sie hatte keine Einspruchsmöglichkeit und Karl sollte doch vor allem glücklich sein und an der besten Universität sein Studium fortsetzen. Der sehnsüchtige Wunsch mit ihm zusammen nach Berlin zu gehen, war ohne Trauschein unmöglich und eine Heirat mit dem studierenden Habenichts ausgeschlossen. Für Jenny gab es nur einen Trost: Karl liebte sie, hatte sich ihr versprochen und sie vertraute ihm – was blieb ihr auch anderes übrig, gefangen in der weiblichen Abhängigkeit. Die beiden fanden eine Lösung. Bevor Marx im Spätsommer 1836 nach Berlin aufbrach, versprach sich das junge Paar ewige Liebe und Treue und, um seinem Schwur einen Hauch von Legalität zu verleihen, verlobte es sich im Geheimen. Die romantische Jenny wünschte sich zwar ein rauschendes Fest, wollte ihr Glück allen mitteilen, aber sie beugte sich der Realität. Auch die Heimlichkeit hatte ihren Reiz. Es ist anzunehmen, dass Jenny von Westphalen und Karl Marx dennoch feierten, vielleicht in einer lauen Spätsommernacht im Palastgarten, auf dem Markusberg oder im Mondschein an der Mosel bei einer