Lieber Thomas,
wenn du mir dieselbe Frage vor dreißig Jahren gestellt hättest, hätte ich dir sofort recht gegeben. Ich kann mich erinnern, dass es mich aus meiner damaligen Perspektive heraus (fünfzehn Jahre, Bezirk Steyr-Land) teilweise richtiggehend gegraust hat vor diesen alten faltigen, über vierzigjährigen Personen – Mick Jagger, Tina Turner, Rod Stewart etc. –, die sich da auf der Bühne produziert haben und nicht zum Beispiel im Kirchenchor, wie es ihnen altersgemäß angestanden wäre. Hat jeder gefunden. Und wieso haben die keine Seniorenkleidung an? Heute dagegen, wo ich selber 45 (bzw. knapp drüber) bin, graust es mich vor fünfzehnjährigen Popstars. So hat ein jeder Ekel seine Zeit, und das ist ja auch gut und richtig so.
Hier noch vier Argumente, warum du meiner Meinung nach falsch liegst:
Erstens: Ein Bühnenmensch geht nicht in Pension, kann er gar nicht, weil die Bühne ist ja eine Sucht. Und wieso sollte er auch? Ich kenne Leute, die haben aus meiner Sicht vollkommen sinnlose Berufe (Schas lassen im mittleren Management), aber die machen das gern und wollen gar nicht aufhören damit. Wieso soll dann wer in Pension gehen, der so einen lässigen Beruf wie Rockstar hat?! Ist Gartenarbeit wirklich so viel schöner?
Zweitens: Die Tourneen von denen dauern ja nicht das ganze Jahr. Wenn der Bob Dylan drei Monate auf Tour ist, dann hat er immer noch neun Monate Zeit, dass er daheim seine Gartenzwergerl schnäuzt.
Drittens: Eine Tour muss nicht automatisch Trennung von der Familie bedeuten. Wenn der Mick Jagger will, dann kann er sich easy alle seine Enkerl zum Tourstopp in Rio einfliegen lassen, sofern die nicht überhaupt Teil vom Team sind, weil das ist ja gang und gäbe mittlerweile. Bei vielen Stars spielen die Kinder sogar in der Band. Der Phil Collins und der Art Garfunkel fallen mir ein, und natürlich der Roger Taylor, dem sein Sohn Rufus seit ein paar Jahren bei den Restl-Queen mittrommelt.
Und was ich viertens but not least auch noch zu bedenken geben möchte: Warum soll es beim Mick Jagger anders sein als bei meinem Nachbarn, dessen Frau auf die Frage, ob sie das nicht ärgert, dass er so viel im Wirtshaus sitzt, immer sagt: „Daheim ist er eh nur lästig.“
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Geografie I
Peter Zeitlhofer aus Urfahr fragt: „Sehr geehrter Herr Austrofred, lieber Champion, seit wir in Linz-Urfahr leben, quält meine Frau und mich eine bestimmte Frage. Sind wir jetzt Mühlviertler? Oder gehört Urfahr doch noch zum Linzer Becken? Du als geografisches Urviech kannst uns da sicher helfen.“
Lieber Peter,
grundsätzlich finde ich: Was der Herrgott mithilfe der Donau getrennt hat, soll der Mensch nicht sinnlos zusammenfügen. Von dem her halte ich Urfahr als im Mühlviertel befindlichen Stadtteil der an sich Traunviertler Landeshauptstadt per se für eine Perversion.
Andererseits ist zwar der Herrgott, sofern existent, für die Erschaffung von Flussläufen zuständig, für die Erfindung und Instandhaltung von Grenzen sind es aber wir Menschen, und dass wir uns über der Donau einen grundsätzlich unterschiedlichen Menschenschlag vorstellen, das basiert zwar teilweise auf der einen oder anderen Beobachtung – und der durchschnittliche IQ eines Mühlviertlers ist sicher auch schon einmal wissenschaftlich gemessen worden, falls messbar –, ist aber im Prinzip ein Vorurteil. Es macht dich also, lieber Peter, nicht zu einem anderen Menschen, ob du jetzt ein Linzer oder ein Mühlviertler bist.
Und Vorurteile sind ja ein Hund: Vor kurzem bin ich hinter einem Auto mit Rohrbacher Taferl hergefahren und aufbauend auf dreißig Jahren unfallfreier Autofahrer-Erfahrung habe ich mir die ganze Zeit gedacht, typisch Rohrbacher, so geschissen fahren sie wirklich sonst nirgends. Du weißt schon, sechzig auf der Landstraße, achtzig im Ortsgebiet. Bis ich gecheckt habe, dass der ein deutsches RO-Taferl gehabt hat und er also gar nicht auf eine typisch Rohrbacher, sondern auf seine ganz eigene urtümlich Rosenheimer Art geschissen gefahren ist! (Was in keinster Weise eine Verteidigung der Rohrbacher sein soll.)
Wobei ich dazusagen muss: Gaudihalber ein bisschen Vorurteile pflegen, das kann schon auch etwas Schönes und Freudiges sein, weil das heißt ja auch, dass man sich mit dem anderen auseinandersetzt. Und ganz ehrlich, in einer Welt ohne Mühlviertlerwitze möchte ich nicht leben! Ich hoffe, ich verletze damit nicht die Gefühle dieser Randgruppe, die es eh schon hart genug hat, weil natürlich will kein Mensch gern ein Mühlviertler sein. Du auch nicht, Peter, das zeigt mir deine Frage deutlich, aber, und jetzt komme ich zu meiner ultimativen Antwort: Du bist einer. Lerne, mit dieser „Besonderheit“ umzugehen.
Im Übrigen, ganz unter uns: „Linzer“ ist eh auch nicht gerade ein Adelsprädikat.
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Geografie II
Martin Leibetseder aus St. Martin im Mühlkreis fragt: „S. g. Herr Austrofred, ich frage mich schon seit geraumer Zeit, warum ein Künstler Ihres Formats, der ständig auf der Überholspur lebt, sich trotz 140km/h-Beschränkung* auf österreichischen Au(s)t(r)obahnen so im Erfolg bremsen lässt? Haben Sie schon mal über einen Ortswechsel nach Deutschland nachgedacht?“
Lieber Martin,
aus den von dir genannten Gründen (potenziert durch den Faktor Oktoberfest) habe ich schon seit Jahren einen kleinen Zweitwohnsitz in München. Das ist zwar karrieretechnisch kein Nachteil, aber ich sage dir ganz ehrlich: Es schießt dich jetzt auch nicht auf den Mond. Ich habe festgestellt, dass die Münchner Rockkünstler nicht glücklicher sind als die in Österreich. Auch sie sind – so wie du – der Meinung, dass woanders das Gras grüner ist. Meiner Erfahrung nach ist es aber meistens nicht grüner, sondern es ist nur anders grün.
Weil es ist ja so, dass es seit jeher den künstlerischen Menschen dorthin zieht, wo was los ist – von Fürstenfeld nach Wien beispielsweise –, weil dort, wo was los ist, so denkt er sich, da wird mein überragendes Talent erkannt. So einer wie ich, der das seltene Glück gehabt hat, dass sein überragendes Talent in Wien erkannt worden ist, könnte sich jetzt denken, wenn ich jetzt nach Berlin gehe, vielleicht wird mein Talent dort noch mehr erkannt!? (Und im Zweifelsfall ist der Markt größer, Faktor 10, schadet auch nix.) Und so gehen die Besten der Besten nach Berlin, oder überhaupt gleich nach London oder New York, wo dann oft ein Rudel von bis zu fünfzehn genialen Songwritern/Sängern/Malern etc. in einer WG zusammenwohnt. Aber anstatt dass ihr Genie erkannt wird, müssen sie sich anfahren lassen, weil sie die letzte Raviolidose ausgeleckt haben oder weil es immer so nach Spargel fäult, wenn sie am Klo waren.
Und ich meine, da rede ich jetzt von wirklich guten, talentierten Leuten! Top-Künstler! Ich rede nicht von der Angi und der Babsi aus der Steiermark, die Model werden wollen und sich deswegen Brooke Undermoore und Pinka Foyd nennen und nach Paris gehen, was der Kleinen-Zeitung-Regionalseite sogar die Schlagzeile „Vom Lagerhaus zu Lagerfeld“ wert ist, und akrat, wie sie hinkommen, stirbt besagter Lagerfeld und also ihr einziger Plan. Dann setzen sie sich in den Gastgarten von einem romantischen Café, wo sie aber gleich vom Garçon verjagt werden, weil dort, wo sie sitzen, dürfen nur die Schönen und Reichen sitzen. Yes, but where can we sit then, fragen die Angi und die Babsi, aber leider nuschelt der Kellner dann irgendwas Französisches, was in etwa auf das hinausrennt, dass im Endeffekt leider überall nur die Schönen und Reichen sitzen dürfen und sie nicht. Also, von den beiden rede ich nicht, sondern ich rede von richtigen Talenten, die es nicht schaffen in Berlin und in London, in Los Angeles und in New York …
Lieber Martin, du kennst ja sicher das Sprichwort vom Einäugigen, der unter den Blinden der König ist? Ich verrate dir jetzt was: Damit lebt es sich gar nicht so schlecht!
* Der Fragesteller beruft sich hier auf den kurzfristigen Versuch eines kurzfristigen Verkehrsministers, in Österreich kurzfristig höhere Tempolimits einzuführen.
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