Bob Marley - Catch a Fire. Timothy White. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Timothy White
Издательство: Bookwire
Серия: Rockgeschichte
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454656
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des Lebens, auf Jakob und Moses, auf Johannes den Täufer und Jesus von Nazareth selbst, den vom Wort erschaffenen Menschen.

      In Afrika, so hatte Omeriahs Vater erklärt, war die Benutzung von Magie eine alltägliche Praxis im Dienst von Beistand und Schutz, und die sie ausübten, waren Priester und Philosophen. Auf Jamaika jedoch hatte sie sich schrittweise von einem Prellbock gegen die Ungerechtigkeit der Sklaventage entwickelt zu einer weiteren Waffe in dem nicht enden wollenden modernen Guerillakampf der Nekromantie. In einer solchen Umgebung konnte kein Mensch ahnen, was das Schicksal für ihn bereithielt. Und wenige konnten ein Leben erwarten, das unberührt blieb von den Eskapaden des Voodoo und der Hexenkunst.

      »When de Lawd summon me, ago deh yah« (»Wenn der Herr mich ruft, werde ich ihm folgen«), sagte Omeriah leise, als er sich auf dem Geländer der Veranda neu zurechtsetzte, und der Rum verstärkte noch die Ehrfurcht, mit der er bei sich die jamaikanische Variation des afrikanischen Gebets der Anerkennung von Gottes Willen intonierte. Die düsteren Gedanken Omeriahs wurden unterbrochen von einem plötzlichen Wolkenbruch, und der herabstürzende Regen fand seinen Weg in alle Nischen und Winkel der Siedlung Nine Miles.

      Für Omeriah und die normale jamaikanische Landbevölkerung brachten die unberechenbaren Wolkenbrüche viele angenehme Begleiterscheinungen mit sich. Ein Platzregen besänftigte die Gereiztheit, die die ansonsten unaufhörliche Hitze erzeugte, senkte vorübergehend die Temperatur und verwandelte den klebrigen, betäubenden Wind in schweißkühlenden Balsam. Darüber hinaus diente der Regen als botanischer Katalysator und setzte die bis dahin untätigen oder sonstwie von der Sonne unterdrückten Wohlgerüche der rundum wuchernden tropischen Pflanzen, Blumen, Früchte und Büsche frei.

      Doch die jamaikanischen Regengüsse konnten auch beunruhigend wirken: Der feine Dunst hing wie ein Schleier in der unbewegten Luft und hüllte die Szenerie in eine beiläufige Feierlichkeit, die die Grausamkeit und Launenhaftigkeit der Elemente tarnte. Für einen Jamaikaner wie Omeriah vermochten die Schauer ein leeres Feld in einen Duppy-Tanzboden, einen kahlen Hohlweg in einen von Dämonen wimmelnden Steinbruch und die freundliche ländliche Umgebung in eine unheimliche Wildnis zu verwandeln. Zudem brachte der Regen auch eine Botschaft: Jamaika ist als Land nur schwer erfassbar, mit seinen ewig währenden Rhythmen und verborgenen Tendenzen, die seine menschlichen Gäste ständig und unaufhörlich umgeben und bestimmen.

      Doch mehr als alles andere brachten die gespenstischen Nachwirkungen ländlicher Wolkenbrüche Männer wie Omeriah Malcolm dazu, ihre Heimat als ›Land of Look Behind‹ zu sehen: als Sammelsurium von Magie, Zaubersprüchen, Geistern und Geheimnissen, in dem niemand – weder im wörtlichen noch im übertragenen Sinn – aufgrund der zahllosen eigenartigen, unsichtbaren Hindernisse, die zwischen einem Menschen und der Ausführung eines weltlichen Vorhabens standen, sein Grundstück geradeaus durchqueren konnte. Omeriah glaubte, unter bestimmten Umständen sei der beste Weg ein beiläufiger Zickzackkurs, der die Duppies, die einem auflauerten, in die Irre führte. Jenen, die das Pech hatten, von einem Duppy verfolgt zu werden, riet Omeriah, schnell ein X in den Boden zu kratzen. Da Duppies nämlich nur bis neun zählen können, werden sie an dieser Stelle verharren und sich so lange erfolglos bemühen, bis zehn zu zählen, bis Regen oder Wind das X verwehen.

      Man stelle sich nur vor! Sogar ein kleines Kind, das hilflos in einer Hütte liegt, kann nicht einem namenlosen Unglück entgehen! Das dachte Omeriah, als er hinaussah auf die regenfeuchte Landschaft, noch immer im Bann des Wolkenbruchs.

      Und doch, so frühe Einwirkungen auf die Lebensseele von Ciddys Kind hätten möglicherweise verhindert werden können. Die Mutter des Jungen war nicht einmal getauft gewesen, bevor sie schwanger wurde. Das dumme, jämmerliche Mädchen hatte hinuntergebracht werden müssen in die Shiloh Church ot the Lord Jesus Christ of the Apostolic Faith im Dorf Alva, um, verfolgt von ›susu‹ (Klatsch), im Taufbecken unter der eilig vollzogenen Leitung durch Elder Thomas getauft zu werden.

      »Auf was für ein dummes und unschickliches Treiben hat sich meine Tochter da eingelassen, die jetzt ein kleines Balg zur Welt gebracht hat!« Omeriah bellte mit tiefer und rauer Stimme, bevor er sich noch einen Schluck Rum genehmigte. Sie war verfuhrt worden von diesem alten ›bockra busha‹ (weißhäutigen Aufseher) in seiner roten Uniformjacke, den Leinenhosen und Schaftstiefeln, Captain Marley vom British West India Regiment. Marley war ein Pfeife paffender Oberaufseher für die Ländereien der Krone, der vor fast zwei Jahren auf einem schönen Pferd, das die Regierung bezahlt hatte, nach Nine Miles hineingeritten kam und versuchte, die armen Leute zu bewegen, Getreide anzubauen oder gar in den abgelegensten Teilen des ›John Williams‹-Dschungels zu siedeln, den fast unbewohnten ›bridal lands‹ jenseits der Stelle, an der die unwegsamsten Straßen aufhörten.

      Mit dergleichen war er tagsüber beschäftigt. Und des Nachts, als Untermieter im Big House, hatte der kleine leise Mann es mit Malcolms siebzehnjähriger Tochter Ciddy getrieben! Das alberne Mädchen, sich ins Bett zu legen mit einem weißen Mann, der zwei oder drei Jahre älter war als ihr Vater! Wenigstens hatte Marley den Anstand besessen, sie Monate später zu heiraten, aber es war von Anfang an Teufelsspiel gewesen. Ein dummes ›bungo-bessy‹ (Adjektiv für unziemliches Verhalten eines Mädchens vom Lande)-Verhältnis in plumper Heimlichkeit, unterhalten bei unerlaubten Verabredungen, angestiftet von einem Britisch-Jamaikaner mit Geld und Stellung, der ein unschuldiges schwarzes Mädchen mit einer Unverfrorenheit in sein Bett gelockt hatte, die an die Ausschweifungen gemahnte, denen die Plantagenbesitzer in der Sklavenzeit frönten.

      Und dann kommt so ein Kreolen-›pickney‹ (Kleinkind) auf die Welt, Robert genannt nach Marleys Bruder – nicht nach Omeriahs Vater –, aber nichtsdestoweniger immer noch ein ›Sklavenname‹. (Nach Ansicht der Familie war Robert Malcolm ursprünglich der Name eines Plantagenbesitzers, den er dann Uncle Day gab.) Und wo ist Captain Marley jetzt, da sein Sohn leidet? Nach Kingston hat er sich getrollt, weil seine Familie es für eine Schande hält, so idiotisch zu sein und ein ›foo-foo‹ (foolish, dumm) Mädchen vom Lande rechtmäßig zu heiraten, das naiv genug ist, seine ›fuck-a-bush‹ (hinterwäldlerische Verführung) Liebesworte für bare Münze zu nehmen!

      Zumindest hätte der Junge, dies Ergebnis einer bedauernswerten Verbindung, einen Namen aus der Bibel erhalten können, der eine Beziehung zu Afrika und der Kultur seines Volkes hatte, so wie Omeriah und seine Brüder, Joseph, Nemiah, Ramses und Isaac. »Ya mon! Wenigstens ein bisschen Vorsicht bei den Namen«, knurrte Omeriah voller Ingrimm, nahm den letzten Schluck Rum aus der Flasche und warf sie dann in den Ascheneimer neben der Eingangstür. Jetzt war da ein Baby, Opfer seiner Abstammung, ausgesetzt allen kulturellen Widerwärtigkeiten, nirgends hin gehörig, mitten zwischen den Fronten. Auf Jamaika sind die afrikanischen Traditionen der Sklaven und ihrer Nachkommen ständig in Auseinandersetzung mit den europäischen Traditionen der weißen Herrscher. Aber sogar unter den Schwarzen werden die Werte der Weißen und Mulatten ganz offen ihrem eigenen, eigentlich natürlichen Akan-Westindien-Ethos vorgezogen. Omeriah jedoch teilte nicht die weitverbreitete Meinung, dass es besser sei, braun zu sein als schwarz, hell als braun. Und dass die statusbewussten jamaikanischen Schwarzen dahergingen und schwere englische Stiefel und die dunklen Anzüge aus Manchester-Serge in der heißen tropischen Sonne trugen und zudem noch versuchten, so zu sprechen, als hätten sie in Oxford die Universität besucht, das kam ihm vor wie der reine Wahnsinn.

      Der Junge wird viel Zeit haben, die Kümmernisse seines Erbes herauszufinden, dachte Omeriah. Und was machte es schon aus? Je schlimmer die Dinge wurden, je besser die Dinge wurden, desto mehr blieben sie doch gleich. Omeriah erinnerte sich daran, was sein Vater immer zu sagen pflegte: »Changey for changey, black daag fe monkey.« Eine Weisheit, die von Hass auf sich selbst und Resignation getränkt war. Der Affe stand für den farbigen Mann und der Hund für den vollblütigen Schwarzen. Die Aussage: Es war überhaupt nichts zu gewinnen durch den Tausch: Man ist hinterher genauso schlecht dran wie zuvor.

      Durch und durch missmutig und besorgt, weil böse Kräfte unter ihnen aufgetaucht waren im Verlaufe des Tages, ging Omeriah hinter den Schweinekoben, um sich in der zunehmenden Dunkelheit zu erleichtern. Die letzten Spuren der Dämmerung hingen über den Baumwipfeln, als er ins Bett ging, und er schlief unruhig. Am Abend zuvor hatte er vom Tod geträumt, ein sicheres Zeichen dafür, dass in der Familie eine Geburt bevorstand. In dieser Nacht träumte er von Kupfer und von tierischen Exkrementen, beides gute Omen. Und dann, tief in der Nacht,