Bob Marley - Catch a Fire. Timothy White. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Timothy White
Издательство: Bookwire
Серия: Rockgeschichte
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454656
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1945, war beherrscht von Kriegsnachrichten. Die Rote Armee unter Marschall Schukow stand fünfzig Kilometer vor der Reichshauptstadt, und Pattons Panzer hatten den Westwall durchstoßen, während auf der anderen Seite des Planeten Flugzeuge vom britischen Flugzeugträger ›Indefatigable‹ japanische Stellungen auf Sumatra bombardierten und General Douglas McArthurs Truppen nach Manila zurückgekehrt waren.

      ln den Lokalnachrichten fanden sich erneut Berichte über einen Rückgang der Gewinne aus der jamaikanischen Zitrusernte (zugeschrieben den Gefahren, denen die Frachtschiffe auf dem Weg nach Großbritannien ausgesetzt waren) sowie über den Mangel an Rindfleisch, Benzin und Streichhölzern. Farmarbeiter waren gerade über eine Luftbrücke von Montego Bay nach Florida gebracht worden, um dort bei der Ernte zu helfen. Am Tag zuvor hatte der Bischof von Kingston die jährliche anglikanische Synode mit einem Cricketspiel zwischen der Geistlichkeit und der Polizei eröffnet. Am Spätnachmittag war Lady Huggins im nahegelegenen Jamaica Turf Club geehrt worden, und Mrs. McWhinnie hatte eine Teegesellschaft veranstaltet.

      Ein Ereignis jedoch, das in den frühen Morgenstunden im ländlichen Pfarrbezirk von St. Ann stattgefunden hatte, war im Gleaner nicht erwähnt. Die neunzehnjährige Cedella Marley hatte ihr erstes Kind geboren. Die mondgesichtige Cedella – oder Ciddy, wie sie genannt wurde – hatte eine schwierige Schwangerschaft hinter sich gebracht, und ihr war morgens oft übel gewesen. Als sie am Sonntagabend in die Wehen gekommen war, hatte man sie in das Haus ihres Vaters, Omeriah Malcolm, gebracht, eines Schwarzen. Den gesamten Montag hatte sie in den Wehen gelegen, und am Dienstag um zwei Uhr dreißig in der Frühe war sie von Robert Nesta entbunden worden, einem rehfarbenen Jungen mit dünnen Lippen und der schlanken, spitzen Nase seines Vaters, Captain Norval Sinclair Marley, eines Weißen.

      Kurz nach Sonnenaufgang war die Nachgeburt sorgfältig in eine Seite des Gleaner eingewickelt worden, auf der die Geschichte von der Verhaftung eines jungen Rowdys zu lesen stand, der am Tag zuvor in Kingston einem Chinesen 35 Pfund gestohlen hatte. Der Beiname des Räubers war ›Pearl Harbor‹.

      Die Nachgeburt wurde am Fuße eines jungen Mangoschösslings begraben, der von dem Tag an der ›Freund-Baum‹ von Robert Nesta Marley sein würde. Er würde so groß und so stark werden, wie der Junge es sich wünschte. Seine Gesundheit und seine Größe würden bezeugen, wie er sich um ihn gekümmert hatte, und er würde sich im Laufe der Zeit in dieselbe Richtung beugen wie der, der ihn gepflegt hatte.

      Ciddy gab man Minztee zu trinken und Pfeilwurz, während Omeriah das Kind auf eine rostige Gemüsewaage von seinem Verkaufsstand am Straßenrand legte: Robert wog genau sechseinhalb Pfund. Gewickelt in ein blau-weißes Hemd, von Ciddy aus dem Musselinstoff genäht, den Omeriah bei einem Großhändler in Kingston bestellt hatte, wurde er dann in eine Wiege neben dem Bett seiner Mutter gelegt, die ausgepolstert war mit einem Krokusbeutel.

      Während Ciddy und das Kind unter Omeriahs Dach fest schliefen, spielte draußen eine Gruppe kleiner ›kidren‹, und sie sangen einen ›ring song‹ (ein traditionelles Lied, das bei Kreisspielen gesungen wurde), der in den Hügeln widerhallte:

      Dere’s a black boy in de ring, tra la la la la

      Dere’s a black boy in de ring, tra la la la la

      Him like sugar, I like plum, tra la la la la

      Him cyan’t be my lover nuh, tra la la la la …

      Ist ein schwarzer Junge in dem Kreis, tra la …

      Er mag Zucker, ich mag Pflaumen, tra la …

      Er wird nicht mein Liebster nein, tra la …

      »Der Teufel, der will den kleinen Jungen.« Omeriah Malcolm zitterte, als er sich selbst diese gräuliche Vermutung flüstern hörte, und er war nicht überrascht über die Furcht und die Schwäche in seiner Stimme. »Jemand hat ihn verhext«, murmelte er bei sich, »put duppy on ’im bwai.«. (»Hat einen Duppy auf diesen Jungen losgelassen.«)

      Sein vier Monate alter Enkel war krank geworden, und Omeriah war überzeugt, dass böse Kräfte dafür verantwortlich waren. Ciddy hatte sich um ihren Sohn gekümmert, wie es normal ist, hatte ihn gestillt und ihn dann auf ein Gummilaken in ihrer Hütte auf dem Hügel gelegt, die nur aus einem Zimmer bestand. Dann hatte sie für die Familie genäht – die Kleidung ihrer fünf Brüder und drei Schwestern geflickt. Im Gefühl, dass alles in Ordnung sei, hatte sie das Kind um die Mittagszeit noch einmal genau betrachtet und war dann den Hügel hinuntergeeilt, um sich unten im Laden etwas Süßes zu kaufen, denn sie war ein wenig hungrig. Als sie knapp zehn Minuten später zurückkam, fand sie ihn wimmernd auf dem Bauch liegend, und aus seiner Nase tropfte es. Er gab kurze Hustentöne von sich.

      Sie hob ihn auf und streichelte seine Stirn, vermutete, er habe die Milch nicht verdaut. Sein Magen verkrampfte sich, und er übergab sich. Dann wurde sein Hals schlaff, und seine Augen verdrehten sich.

      Ciddy rief um Hilfe, und ihre Schwester Enid, die draußen Wäsche gewaschen hatte, lief, um Omeriah und Yaya, die Großmutter der jungen Mädchen, zu holen, die beide in der Nähe wohnten.

      Ernst untersuchte Omeriah das Kind und kam zu der Überzeugung, ein böser Geist habe es während Ciddys Abwesenheit berührt. Yaya schloss sich ihm an, und Vater und Großmutter diskutierten mögliche Gegenmittel. Schließlich wurde entschieden, er werde einen Heiltrunk mischen aus Susumba Bush, Bitterkraut, Baumwollblättern, Black Joint, Babygripe, Hug-me-Close und Sweetcup, während sie ein Amulett holte, um das Kind vor weiteren Angriffen der Dämonen zu schützen. Als das getan war, wurde der Junge der Obhut von Ciddy, Enid und Tante Beatrice Wilby, der älteren Cousine, die als Ciddys Hebamme geholfen hatte, anvertraut, die es rund um die Uhr bewachen sollten. Es blieb kaum etwas zu tun, als zu warten und zu beten, dass der Schatten von ihm weichen möge.

      Als sich der Abend senkte, begann der Junge freier zu atmen, und seine Hüterinnen reagierten mit Ausrufen der Erleichterung.

      »Yahso! Wie er wieder lebendig wird!«, sagte Enid.

      »Der Trank und das Amulett waren gut für meinen Kleinen!«, sagte Cedella, deren Augen feucht und geschwollen waren.

      »Die Kraft des Allmächtigen ist nicht zu besiegen«, sagte Beatrice. »Dank und Ehre dem Allerheiligsten, dessen Name Güte ist und Liebe, für das hilflose Kind und die junge Mutter.«

      Aber Omeriah, der die Rufe von der Anhöhe hörte, mochte nicht so schnell in Jubel ausbrechen oder die Bedeutsamkeit des Ereignisses abtun. Jede Krankheit, das wusste er, war eine Heimsuchung entweder vom Satan oder von dem Allmächtigen. Aus welchem Grunde, so fragte er sich, konnte ein Säugling zum Ziel eines Duppys werden? »So sicher, wie Gott das Wasser kühl gemacht hat und das Feuer heiß«, dachte er, »ist jener Junge ergriffen worden von Nookoo, Mutter Tod persönlich. Dank sei und man beuge das Haupt, denn es war nur die schnelle Vergeltung, die den Dämon vertrieben hat.«

      Omeriah stand allein auf der Veranda des einstöckigen Hauses, das ›Big House‹ hieß und im Dorf Nine Miles lag. Es war ein schönes, wenn auch stetig mehr verfallendes Gebäude, vor fünfzig Jahren von der Matriarchin der Malcolm-Familie, Yaya (Katherine Malcolm), im Stil des Wohnsitzes eines englischen Pflanzers erbaut. Finanziert hatte sie es mit dem Gewinn aus dem Farmland, von dem sie reichlich besaß. Mit zwei großen Schlafzimmern (gewöhnlich für Untermieter reserviert), einem Esszimmer, einem Wohnzimmer, einer großen Küche und einem richtigen Salon sowie mehreren Hütten, die in der Nähe des Haupthauses errichtet worden waren, war es das beeindruckendste Anwesen, so weit man sehen konnte. Ganz allein nahe dem Gipfel über einer abgestuften Schlucht gelegen, die das natürliche Wahrzeichen von Nine Miles bildete, war Big House für alle, die in seiner Sichtweite lebten, immer von neuem Quelle des Stolzes.

      Omeriah nahm seine schweißbefleckte Mütze ab und rieb sich die rauen Handflächen auf den Knien der schweren grauen Arbeitshosen, die aus Baumwolle waren und in Großbritannien hergestellt (allgemein als ›ol’ ironcloth‹ bezeichnet). Er nahm einen kleinen Schluck aus einer langhalsigen Flasche Appleton-Rum und sprenkelte dann genauso viel, wie er getrunken hatte, auf den Boden, im Gedenken an die wohlgesinnten und wachsamen Geister seiner Ahnen. In das bernsteinfarbene Glühen, das durch den Palmenwald auf den westlichen Bergen schimmerte, krähte ein Hahn, den Sonnenuntergang ankündigend. Malcolm neigte seinen Kopf