Bob Marley - Catch a Fire. Timothy White. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Timothy White
Издательство: Bookwire
Серия: Rockgeschichte
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454656
Скачать книгу
von dem merkwürdigen Sohn des verstorbenen Gouverneurs verbreitete sich in den Provinzen rasch und diskret durch das Netz der ›liqe kahnat‹ (Oberpriester), und es heißt, sie vereinbarten mehrere geheime Versammlungen mit ihm, um ihn zu befragen und nach Möglichkeit bei etwas zu ertappen, was nach ihrer Meinung blasphemischer Unfug oder heidnische Zauberei war.

      Bei einer dieser Versammlungen soll der Junge verdeutlicht haben, er sei gut vertraut mit den seltenen Manuskripten Abba Aragawis und jener koptischen Mönche, die man die »neun Heiligen« nannte. Sie waren im Jahr 480 nach Äthiopien gekommen und hatten in der Provinz Tigre die ersten Klöster gegründet. Außerdem enthüllte er, er kenne die okkulten Anwendungen Urims, Thummims und der Mezuzah ebenso wie die Verwendung der in der ägyptischen Zauberei vorkommenden magischen Worte ›gematria‹ und ›notarikon‹ und die magischen Namen Adonay, El und Elohe. Er zeigte Vertrautheit mit den kabbalistischen Lehren, den Schriften Gilgameschs, den heidnischen Riten des Isis-Kults, wusste von der Schlange Arwe und den abessinischen Göttern von der Erde (Meder), Meer (Beher) und Krieg (Mahem), und kannte die Geheimnisse der Astrologie und Numerologie. Am wichtigsten jedoch war: Tafari offenbarte den Priestern sein Wissen über die wichtigsten Botschaften des Ägyptischen Totenbuches und des ägyptischen Buches der zwei Wege.

      In der altägyptischen bzw. koptischen Sprache bedeutet das Wort für Zauberer ›Schreiber im Haus des Lebens‹. Männer, die man so bezeichnete, waren als freundliche, weise Menschen bekannt, nicht als gottlose Schwindler, und das Ersuchen des Volkes um Zaubersprüche, die das Böse fernhalten sollten, stellten für sie eine alltägliche Aufgabe dar. Es gab jedoch verschieden offizielle Riten, die nur Zeremonien von äußerster Ernsthaftigkeit vorbehalten waren, unter anderem dem Heb-Sed-Fest, zu dem der Pharao, wenn er dreißig Jahre geherrscht hatte, ins etwa 30 Meilen von der Großen Pyramide entfernte Sikkah reiste. Dort, an einem heiligen, von gewaltigen Monumenten flankierten Ort, musste der in die Jahre gekommene Pharao laufen, springen, ringen und tanzen und wurde auf geheimnisvolle Weise verjüngt und wieder mit der Vitalität eines Heranwachsenden versehen. Es gab auch ein Ritual namens ›Zerbrechen der Roten Krüge‹, wobei roten Tonschalen aus Theben und menschliche Figürchen aus Sakkarah in peinlich genauer Folge zerschmettert wurden, um die Feinde des Herrschers abzuwehren oder zu vernichten.

      Diese Riten wurden unter der Aufsicht älterer koptischer Zauberer durchgeführt, aus dem gleichen Männerorden, den der Pharao einst gebeten hatte, seine Zauberkunst im Wettstreit mit Moses und Aaron zu messen, um zu erfahren, ob sie tatsächlich mit der Autorität von Gottes Wort sprachen, als sie von den Ägyptern verlangten, sie sollten die Israeliten ziehen lassen. Denn die Ägypter glaubten, wenn man im ›Haus des Lebens‹ die korrekte Abfolge der Riten und Zauberformeln einhalte, seien die magischen Möglichkeiten grenzenlos.

      Im Kern dieser Zauberei stand das ›Wort‹. Wurde das passende Wort ausgesprochen oder geschrieben, reichte dies aus. Namen hatten im alten Ägypten natürlich die höchste Bedeutung. Jeder Ägypter hatte eine Reihe verschiedener Namen, von denen nur einer echt war. Dieser wurde, falls möglich, niemandem enthüllt. Zaubersprüche, so kunstvoll sie auch gefertigt waren, konnten nur wirksam werden, wenn man sie gegen jemanden richtete, dessen wahren Namen man kannte. Von jemandem, dessen Macht der Macht des Pharaos nahekam, hieß es: »Nicht einmal seine Mutter weiß, wie er wirklich heißt.«

      Niemand, erzählte Tafari den Priestern, kenne seinen wahren Namen.

      Irgendwann bat angeblich ein alter ›abmnet‹ (Abt), man möge ihn Tafaris Handflächen untersuchen lassen. Er sah, dass die Stigmata da waren und die Lebenslinie in einem Sinnbild der Unendlichkeit zu sich selbst zurückführte. Tafari flüsterte ein Wort in das Ohr des Abtes, woraufhin alle Farbe aus dem Gesicht des alten Mannes wich. Er verließ den Raum wie im Schockzustand und weigerte sich, zurückzukehren oder mit seinen Kollegen zu sprechen.

      Tafari beendete die Abschlusssitzung mit den Gelehrten und frommen Männern, indem er – so lebhaft, als habe er den Ereignissen persönlich beigewohnt – die Geschichte erzählte, wie König Salomon von Jerusalem Königin Makeda von Saba kennen- und lieben gelernt hatte. Unzählige Stunden, so wird berichtet, hörten die frommen Männer entzückt und aufmerksam zu, erstaunt über die intime Vertrautheit des Jungen mit den uralten Ereignissen und ohne ihn jemals zu unterbrechen.

      Der Junge sprach langsam und sorgfältig und ließ keine Einzelheit aus, ob es nun um den Stand der Sonne an einem bestimmten Tag und das nachfolgende Wetter ging, um die Architektur und Innenausstattung der Paläste, den Schmutz der Sklavenhütten, den stechenden, wundscheuernden Staub der städtischen Straßen, das heraufsteigende spätnachmittägliche Hitzeflirren aus den weiträumigen Wüstenbecken oder die Kleidung, die Reden, das Benehmen und sogar die Kost einer ehrwürdigen Gestalt, die in seiner Erzählung vorkam. Gefühlsbeschreibungen nahm er mit besonderem Respekt vor, die Zusammenhänge verschiedener Schlüsselaspekte entwirrte er ohne Eile, und all dies verwob er gewandt zu einem Geflecht äußerst fesselnder Abhandlungen.

      Laut Tafari hatte die hinreißende und reiche Königin Makeda durch den äthiopischen Kaufmannsprinzen Tamrin, den Besitzer von fast vierhundert Schiffen und fünfhundert Kamelen, von dem großen König Salomon erfahren. Nach seiner Rückkehr von einer Handelsreise nach Jerusalem, bei der er dem hebräischen König große Mengen Ebenholz, Rotgold und Saphire geliefert hatte, erzählte Tamrin Makeda von Salomons majestätischen Tempel, seinem Palast, seiner Güte und seiner Rechtschaffenheit als Richter über seine Untertanen.

      Makeba beschloss bezaubert, den großen König zu besuchen, und machte sich mit einer Karawane aus achthundert Kamelen und zahllosen Bediensteten in einem gewaltigen Tross, den Tamrin führte, auf den Weg. Bei der Ankunft in Jerusalem wurde sie von Salomon, dessen Gastfreundschaft sie entzückte und dessen Klugheit sie erleuchtete, in seinem Palast willkommen geheißen. Salomon brachte sie davon ab, die Sonne anzubeten, und Makeda wurde Jüngerin des einzig wahren Gottes, des Gottes Israels, dessen Namen niemals ausgesprochen werden durfte.

      Die jungfräuliche Königin artikulierte ausführlich ihr Verlangen, alles Gelernte an ihr eigenes Volk weiterzugeben, doch Salomon, der sich in Makeda verliebt hatte, brachte sie dazu, ein weiteres Jahr bei ihm zu verbringen, um ihre ›Einführung in die Weisheit zu vervollkommnen‹. In der letzten Nacht fand in seinem Palast ein Abschiedsbankett von nie dagewesener Pracht statt, dann bat Salomon Makeda, mit ihm das Bett zu teilen. Makeda lehnte ab und bat ihn inständig, sie nicht mit Gewalt zu nehmen. Salomon entsprach dieser Bitte nur unter der Bedingung, dass sie in dieser Nacht nichts mehr von ihm verlangte. Makeda war einverstanden, und so befriedigte Salomon sich an ihrer Sklavin. Doch in der Nacht stand Makeda auf, um sich einen Schluck Wasser aus ihrer Kammerzisterne zu holen, und Salomon, der den Schlaf nur vortäuschte, um sie zu beobachten, beharrte darauf, sie habe ihren Eid gebrochen, indem sie in einem so trockenen Land eine so kostbare Substanz zu sich nahm. Und so hatte sie keine andere Wahl mehr, als sich seiner Lust zu fügen.

      Am nächsten Morgen schenkte Salomon ihr einen Ring, in den das Siegel des Löwen von Juda eingraviert war. Er wies sie an, ihn ihrem erstgeborenen Sohn zu schenken, und den Jungen, wenn er reif genug war, zu ihm zu schicken, damit er ihn erziehen könne. Während der langen Heimreise nach Äthiopien schenkte Makeda einem Jungen das Leben, den sie Ebna Hakim nannte, was ›Sohn des Weisen‹ bedeutet.

      Als Ebna in Saba aufwuchs, wurde er wegen seiner unehelichen Geburt fortwährend von seinen Gefährten gehänselt. Als Heranwachsender konnte er den Spott und die Kränkungen nicht mehr ertragen. Zornig und verwirrt nahm er allen Mut zusammen, den er zuvor nicht aufgebraucht hatte, und fragte seine Mutter nach dem unbekannten Vater. Erfreut berichtete sie ihm von Salomon und zeigte ihm seinen Ring.

      Der in seiner kühnen Einfachheit geschmackvolle Ring war anders als alles, was Ebna je gesehen hatte. Anfangs widersetzte er sich, als Makeda ihm den Ring an den Finger stecken wollte, doch dann nahm er ihn und tat es selbst. Die Wirkung auf Ebna war beunruhigend – ihm war, als ströme plötzlich ein Schwall gezackter, brennender Energie durch seinen Körper. Da es ihm peinlich war, so fassungslos vor seiner Mutter zu stehen, bemühte er sich, seine Angst zu zügeln, doch das Durcheinander in seinem Geist wollte sich nicht legen. Als er einen Versuch machte, sich den Ring vom Finger zu ziehen, begann seine Hand heftig zu zittern. Von Schwindel ergriffen und schweißgebadet hielt er Makeda den Ring hin, doch sie wollte ihn nicht zurücknehmen. »Es ist ein Männerring