Bob Marley - Catch a Fire. Timothy White. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Timothy White
Издательство: Bookwire
Серия: Rockgeschichte
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454656
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stand um drei Uhr früh auf und machte sich auf den Weg hinüber zu Grandma Yaya. Es war ihre Angewohnheit, sich jeden Abend gegen sechs oder sieben zur Ruhe zu begeben, wenn es kühl war, und dann um Mitternacht aufzustehen, um in der Küche des Big House zu kochen. Wie viele Jamaikaner vom Lande fürchtete auch Omeriah die Nacht und mochte allein nach Sonnenuntergang auch nicht die kürzesten Entfernungen zurücklegen, aber der Ziegenpfad rüber zu Yaya war deutlich auszumachen und oft genug gegangen. Meistens erwartete sie ihn schon und bot ihm stolz ein herzhaftes ›wash-mouth‹ (Frühstück), das aus Ackee-Suppe bestand, frittiertem Kabeljau, genannt ›stamp-and-go‹, gebackener Papaya, Yams und ›bammy‹ (Brötchen aus Maniokmehl).

      Und dann saßen sie im Licht der Feuerstelle aus Stein an der Küche bis zum Morgengrauen, und sie aßen und tranken schwarzen Kaffee, den sie anreicherten mit Rum aus ihrer großen Korbflasche, und sie sprachen über das Farmleben, das Wetter, über Begebenheiten am Ort und ihre Bedeutungen, über Familienstreitereien, die Bedeutung von Träumen, die sie gerade gehabt hatten, und darüber, wie man die Kräfte der Düsternis fernhalten könne vom Clan. (Auch Yaya war wohlversiert in den Dingen des Mystischen.)

      In dieser Nacht, als krächzende Eidechsen, schrille Zikaden und kreischende ›patu‹ (Eulen) einander in der Stille antworteten, konnten Omeriah und Yaya von kaum etwas anderem sprechen als von Ciddy und den Ereignissen des letzten Jahres. Keiner von ihnen vermochte zu verhehlen, welche Sorgen er sich um das spirituelle und körperliche Wohlbefinden von Kind und Mutter machte. Attackiert von Dämonen und verlassen von Captain Marley, schienen sie bestenfalls ein gefährdetes Schicksal vor sich zu haben.

      Zwei Monate später passierte etwas, das Omeriahs und Yayas schlimmste Befürchtungen nur unterstützte. An demselben Morgen, als Ciddy mit ihrem Kind aus Omeriahs Haus ausgezogen war und ihre eigene Hütte bezogen hatte, entkleidete sie das Baby in seinem neuen Heim, nahm ihm sorgsam Yayas Amulett ab und badete es dann in der weißen Emailschüssel, wobei sie ein neues Stück von der braunen Seife benutzte, die sie gerade im Laden gekauft hatte. Frisch gewaschene Kleider zum Wechseln lagen neben dem Kind, und sie hatte begonnen, es zu pudern, als ihr auffiel, dass das Amulett nirgends zu sehen war. Sie begann es zu suchen, auf allen Tischen, zwischen den Kleidern, die sie ihm ausgezogen hatte. Sie rutschte auf den Knien herum und sah in jeden Winkel, jede Ecke, jede Ritze. Wieder und wieder und wieder. Und als ihre Sorge und Nervosität ihren Höhepunkt erreichten, da fuhr ein plötzlicher, eiskalter Windhauch über sie, und ihr ganzer Körper war auf einmal bedeckt von Gänsehaut.

      Sie sank auf die Knie, vergrub ihr Gesicht in den zitternden, von Puder weißen Händen und brach in Tränen aus. Sie wusste, dass sie den Talisman nicht wiederfinden würde.

      »Nesta! Nesta! Wo bist du heute wieder hingelaufen?«, rief Ciddy und trat aus ihrer Hütte in die Hitze des Spätnachmittags. Geblendet von der Sonne, schützte sie ihre Augen mit einer Hand und blinzelte. Wo war ihr vierjähriger Sohn?

      »Roslyn!«, rief sie Nestas Patentante zu, Roslyn Downs, die auf einem niedriger gelegenen Pfad einherschlenderte, der den zu ihrer Hütte kreuzte. Ein großer Korb mit Wurzelknollen des Wasserbrots balancierte auf ihrem von einem Turban umwickelten Kopf.

      »Hast du meinen Nesta gesehen? Er ist fort, und ich weiß nicht, wohin!«

      »Muss’ sagen, hab’ ich wirklich nicht, Missah Marley«, erwiderte Roslyn mit der freundlichen Zuneigung einer älteren Mutter, die die Sorge einer jüngeren teilen kann. Sie besprachen das Verschwinden, als der Kleine in der Ferne auftauchte. Er hielt sich am kräftigen Hals von David Malcolm fest, Ciddys wohlbeleibtem Bruder, der in die Pedale eines Fahrrads trat und bergauf auf sie zugefahren kam.

      »Cho!«, wütete Ciddy, um es Tante Roslyn recht zu machen. »Mercy, my Gawd! Der Junge und seine närrischen Streiche lassen mich noch mal tot von der Welt kommen!«

      Ciddy hatte einfach nur vergessen, dass David gekommen war, um Nesta – sie zog es vor, ihn bei seinem mittleren Namen zu rufen – mit auf eine Tour zur Post zu nehmen, die er für Omeriah erledigen sollte. Sie war so mit den Arbeiten im Hause beschäftigt gewesen, die sie jeden Morgen zu erledigen hatte: Kochen, Saubermachen, Holzhacken, die Tiere füttern. Ihr gespielter Ärger würde von Roslyn durchschaut werden, das wusste sie, aber er half, die Traurigkeit zu verscheuchen, die in ihr aufstieg, als sie ihren dünnen kleinen Jungen sah, der vor Freude strahlte, während er den breiten Rücken seines lustigen dreiundzwanzigjährigen Onkels umklammert hielt.

      Bei einem der ersten Male, dass sie Captain Marley je gesehen hatte, war David hinter ihm auf dem glänzenden Rücken seines schweißnassen Pferdes mitgeritten, als er es zu Yayas Haus führte, wo er sich nach einem Zimmer erkundigen wollte. Norval hatte seit geraumer Zeit in der Gegend gearbeitet und zuerst bei einer Familie Morris im nahen Distrikt Sterling gewohnt und dann später bei anderen Leuten in dem Dorf Ballantine und im Haus eines Mannes namens Luther Flynn in Stepney. Die Kinder am Ort mochten Norval gern, und er schickte sie immer los, um ihm Pfeifentabak zu kaufen, und belohnte sie dafür mit zwei Shilling, und wenn seine Lieblinge mit ihren Eltern in eine Stadt in der Umgebung fuhren, dann gab er ihnen Taschengeld mit. David zählte zu seinen Lieblingen.

      Und David war ganz besonders böse gewesen, als sie angefangen hatte, sich nachts aus Yayas Haus fortzuschleichen, um Norval zu treffen, voller Angst, dass Daddy Omeriah sie dafür prügeln würde und dafür sorgen, dass man den Captain aus dem Distrikt fortschickte. Darüber wären viele Kinder und viele ihrer Eltern unglücklich gewesen. Die meisten Leute mochten den Aufseher, waren eingenommen von seinen höflichen Manieren und der freundlichen Art, wie er an seine Mütze tippte, und sie begrüßte im knappen britischen Akzent eines wohlgeborenen Anglo-Jamaikaners.

      Als sie zusah, wie das ramponierte und überlastete Fahrrad sich näherte, umwölkte sich ihr Gesicht, und sie wurde schweigsam. Roslyn spürte, wie sich Ciddys Stimmung änderte, und sie ging weiter, begleitet von einem gedankenlosen »Einen guten Weg dann, Auntie« zum Abschied.

      Ciddy erinnerte sich an die erste Nacht, die sie bei Norval in seinem Zimmer in Yayas Haus verbracht hatte – den Geruch von Rum und Tabak in seinem Atem, das Gefühl wie von Sandpapier an ihrem Gesicht, wo die harten weißen Haare seines Backenbarts es berührten, und die grobe Haut seiner Hände, die unter ihr Hemd schlüpften und ihre Hinterbacken liebkosten, während er sie auf die feste Matratze seines Bettes drückte. Es war das schönste Bett, in dem sie je geschlafen hatte.

      Als sie zusammen nackt dalagen im vom Mondschein erleuchteten Zimmer, hatte er von Heirat gesprochen und Kindern, davon, die letzten ruhigen Jahre seines Lebens zu teilen und gutzuhaben vom Reichtum seiner feinen Familie. Und sie glaubte ihm, kuschelte sich an seine behaarte Brust und zog seine langen Arme, die so stark waren wie Zaunpfähle, um ihren schmalen Körper.

      Er sagte, ihm gefalle ihr Lachen, das wie ein Lied sei, und wenn sie spazierengingen in den Bridal Lands, dann bat er sie, für ihn zu singen. Strahlend sang sie dann voller Inbrunst »I’m Going to Lay My Sins Down by the Riverside« in ihrer vollen Altstimme, wie sie es an jenem Ostermorgen in der Bibelschule von Rhoden Hall getan hatte, als sie vor ihrer Schwester Gloria den Wettbewerb im Hymnen-Singen gewonnen hatte.

      »Bist eine gute Sängerin, Kind«, hatte der Lehrer vor der gesamten Klasse zu ihr gesagt.« Es gefällt Gott, wenn Er Verse hört, den goldenen Text, und wenn Er mit Musik gepriesen wird für Sein Werk!«

      Gott zu gefallen, ihrer Familie zu gefallen und den Freunden, Captain Marley zu gefallen, sich selbst zu gefallen – das alles schien so leicht. Wenn sie sang, schienen all diese Ansprüche an ihre Seele sich zu fügen in eine freudige Einheit. Aber jenes aufblühende Gefühl von Erfüllung sollte bald platzen wie eine Seifenblase.

      Der Captain und sie wurden an einem windstillen Freitag im Juni 1944 getraut, in einer steifen und mechanischen Zeremonie, die eher auf ein Ende hinzudeuten schien als auf einen Anfang. Vor der Feier hatte Norval seiner schwangeren Braut eröffnet, dass er am nächsten Tag Nine Miles verlassen werde, um nach Kingston zu gehen. Und er habe nicht die Absicht, wieder zurückzukehren,

      Ciddys Augen brannten, und bittere Tränen standen darin, als er erklärte, er habe seine Familie informiert über sein Verhältnis mit ihr und man habe einhellig reagiert und ihn enterbt. Er fühle sich alt und müde, hatte er gesagt.