Bob Marley - Catch a Fire. Timothy White. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Timothy White
Издательство: Bookwire
Серия: Rockgeschichte
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454656
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und Maurer von Arbeit zu Arbeit zog und von den Malcolms wohlgelitten war (und, wie man sagte, Ciddy sehr gern hatte).

      Alle Ohren waren gespitzt, als ein älterer Cousin von Yaya die Geschichte von Prester John erzählte, dem legendären nestorianischen christlichen König von Kleinasien. Von seinem gigantischen Reich aus, so versicherte der alte Mann seinen Zuhörern, hatte Prester John die mongolischen Heiden und den ungläubigen Moslem unterworfen, dem es beinahe gelungen wäre, die europäischen Kreuzritter des zwölften Jahrhunderts zu besiegen. Von der ganzen Christenheit verehrt als lebender Beweis für Gottes Herrschaft auf Erden, hatte Prester John mit seiner heiligen Kraft den Papst Alexander III. in seinen Bann geschlagen und überdies Friedrich Barbarossa, den Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, Ludwig VII. von Frankreich und alle anderen byzantinischen Potentaten. Prester Johns Patronat gab den Kreuzrittern Hoffnung in ihrer glücklosesten Stunde und bewahrte sie vor einer möglicherweise demütigenden Niederlage, aber niemals war es einem weißen Mann, ob Page oder Prinz, gestattet worden, Prester John in sein ätherisches Gesicht zu sehen, das die Farbe von Ebenholz hatte.

      »Denn kein Weißer auf Erden ist würdig, diesen strahlenden Anblick zu genießen!«, hatte der hohläugige Cousin mit donnernder Stimme ausgerufen, als er zum Ende seiner exotischen Mär von blutigen Schlachten, standfestem Glauben und der Majestät eines schwarzen Königs gekommen war, der König Artus in den Annalen des mittelalterlichen Rittertums weit in den Schatten stellte. Und dann wurden die Rumflaschen zuhauf in die Höhe gestreckt, um anzustoßen auf die Erzählkunst des Cousins.

      Ein anderer Mann sprang auf, um vom Ruhm der schwarzen Rasse in der modernen Zeit zu künden, und mit beeindruckender Redekunst wusste er ein Loblied zu singen auf die Erhabenheit der Herrschaft Seiner Majestät Haile Selassies I. von Äthiopien, des zweihundertfünfundzwanzigsten Erben des Throns von Salomon, der 1941, vor acht Jahren also, Mussolini und seine faschistischen Truppen aus dem Lande gejagt hatte. Es war einer der ersten ruhmreichen Siege des Zweiten Weltkriegs, berichtete der Mann, voller Ehrfurcht und Staunen, wie gnädig Selassie zu den besiegten Italienern gewesen war und wie großzügig zu seinen eigenen tapferen Soldaten.

      Da er merkte, wie gefesselt seine Zuhörer waren, fuhr der neue Geschichtenerzähler fort. Nachdem Selassie höchstpersönlich an eine Vielzahl äthiopischer Soldaten Geschenke verteilt hatte, war ein Unteroffizier, der nicht gerade rühmlich aufgefallen war, gekommen und hatte sich bei Seiner Majestät beklagt, er sei ausgeschlossen worden und habe nicht teilgehabt an den großzügigen Gaben des Kaisers und an dem Ausdruck des Dankes.

      »Du lügst!«, sprach mit zorniger Stimme Selassie und nannte genau den Ort, den Tag, die Uhrzeit und die Summe des Lohns, den der Soldat erhalten hatte. Der Unteroffizier warf sich zu Boden und verbarg sein Gesicht in Furcht und Scham, und er kroch fort aus dem Angesicht des erhabenen Kaisers. Selassie aber hieß den Mann aufstehen und seine Lügenworte bereuen. Weinend und unter Klagerufen tat er es, und Seine Majestät wollte sich abwenden und gehen, aber da empfand er Mitleid mit dem Soldaten und warf ihm ein Bündel Banknoten zu.

      Alle, die um das Lagerfeuer versammelt waren, hielten den Atem an, so wunderbar war die Geschichte, aber der Erzähler wusste noch mehr zu berichten. Kurz vor der Krönung Seiner Majestät im Jahre 1930 – und dies bedeutsame Ereignis war von Marcus Garvey, einem erleuchteten und mutigen Sohn Jamaikas, vorausgesagt worden – war dem Duke of Gloucester eine Audienz bei Selassie gewährt worden, und dabei gab er das Goldene Zepter des Hauses von Juda zurück, das im Altertum Äthiopien von Julius Cäsar gestohlen worden war, der es benutzt hatte, um sein Römisches Reich aufzubauen. Nach der kaiserlichen Krönung hatte sich der Duke einen Rausch angetrunken und war in den Urwald gewandert, wo er von einem Zauberkraut gegessen hatte, das ihm seine sterbliche Verkleidung nahm und es dem Kaiser erlaubte, mit Hilfe des Goldenen Zepters die wahre Identität des Duke zu erkennen: Er war die Reinkarnation Nebukadnezars, des teuflischen letzten Königs von Babylon.

      Um einen Plan auszuführen, durch den sich die Erfüllung der biblischen Voraussagen beschleunigen sollte, brachte Selassie den Duke auf listige Weise dazu, nach England zurückzukehren und eine höchst eigenartige Medaille für König George V. mitzunehmen, die in Wirklichkeit ein mystisches Siegel der Rache war. Als der britische Monarch das Siegel erblickte, erstarrte sein Körper nicht unähnlich dem von Lots Weib, und bald danach ging er zugrunde. Der Duke bestieg den Thron, dankte dann zugunsten von George VI. ab, sein Ziel nicht aus den Augen verlierend: in den Letzten Tagen als der endgültige Herrscher des Bösen seine Reinkarnation zu erleben.

      »Gepriesen sei der Lehrer! Die Prophezeiung ist erfüllt!« So riefen die vom Rum berauschten Gäste, die um Omeriahs Feuer drängten. Und dann erfasste ein seltsames Zittern die Gruppe, gefolgt von plötzlicher Stille. Man hatte das Gefühl, als sei die ganze Versammlung mit einem Mal versunken in ernste Meditation, jeder Einzelne darüber, wie es bestellt sei um seine Rechtschaffenheit, ob er auch Ordnung hielte im Haus der Seele,

      »Es wird geschäftig und laut zugehen auf dem Balmyard, wo der Myalman seine Gemeinde um sich schart, und die Kirche wird übervoll sein an diesem Sabbat«, sann Omeriah und nahm einen tiefen Zug aus seiner ›fronto‹-(Tabaks-)Pfeife.

      Es knisterte vor Spannung. Die Gruppe aus halb geschlossenen Augen musternd, machte schließlich einer der jungen Männer, ein Flickschuster aus dem Dorf Endeavor, einen schüchternen Witz über den ›blackheart man‹, und alle reagierten mit dankbarem Gelächter. Eine Frau hatte gerade mit einem Rätsel begonnen, als sie durch einen Ausbruch von Nesta unterbrochen wurde.

      »Mumma! Mumma seh! Sag, was ist der Blackheart Mon?«

      »Still, mein Kleiner. Sei schön still und beruhige dich.«

      »Nuh, Ciddy«, sagte der Schuster mit einem hinterlistigen Augenzwinkern. »Der Junge muss doch wissen, wie der Blackheart Mon aussieht, wenn er ihm im Mondlicht begegnet.«

      Bevor Cedella noch protestieren konnte, hatte der Schuster mit einer Beschreibung des Mannes mit dem schwarzen Herzen begonnen, so das Nestas Augen groß wurden wie Maiskuchen und alle anderen Kinder sich verängstigt an Rockschöße oder Hosenbeine ihrer Eltern klammerten.

      Der Blackheart Mon lebt in ewiger Dunkelheit, so fing er an. Er trägt die Nacht mit sich wie einen Umhang, den er sich auch über den Kopf stülpt. Und was für einen Kopf er hat! Ein Wust von Schlangenlocken wächst darauf, die sich rollen und zischeln und sich winden wie die Vipern auf dem Kopf der Medusa. Der Blackheart Mon hat keine Freunde, kein Heim, keine Familie. Überall ein Fremder, so lebt er in den ›gullies‹ (offenen Abwässerlöchern) der Stadt und in den einsamen Höhlen auf dem Lande, und mit Süßigkeiten und schmeichelnden Worten lockt er die Kinder an, die es wagen, sich zu entfernen von ihren Müttern oder bei Dunkelheit noch draußen herumlaufen. Er nimmt sie mit sich fort, und nie sehen sie ihre Familie wieder. Er verschlingt sie, Stück für Stück, oder übergibt sie Satan als Sklaven, verdammt dazu, in alle Ewigkeit an den Schwefelöfen auf den kohleschwarzen Ufern des Flusses Styx zu arbeiten – dem Wasserlauf ohne Leben, der die Hölle umfließt.

      »Tikya (take care – sich hüten vor) de blackheart mon, childran, me seh don’ go near ’im«, mahnte der Schuster. »Tikya de blackheart mon, denn sogar die Löwen fürchten ihn!«

      »Nuh, Mumma! Ich will den Blackheart Mon nicht sehen!«, wimmerte Nesta.

      »Still, Kind! Und du sollst dich was schämen, Mon!«, schäumte Ciddy. »Meinen Kleinen so zu erschrecken! Es gibt keinen Blackheart Mon, Kind!«

      »Ahhh, den gibt es doch!«, rief ein anderer Cousin aus der Menge. »Es ist der verfluchte Rastamon. Faul ist er, streift herum und ist ein gefährlicher Wahnsinniger, ein Madmon, will unser Volk ins Unglück stürzen. Und speien tut er ins Angesicht des Allmächtigen, ein Übel ist er.«

      Der Rastamon. Nesta war erstarrt und konnte keinen Ton herausbringen. Vor ein paar Wochen hatte er einen geschmeidigen Mann mit langen Haarsträhnen gesehen –

      Haare wie ein Schlangennest. Der Mann kam aus dem Wald spaziert in der Nähe der Stepney School, und er trug einen ›bankra‹ (Korb) mit Yams. Als sie ihn erblickten, hatten andere Kinder am Straßenrand zu spielen aufgehört und waren aufgeregt zum Schulhaus gerannt, und Miss Isaacs hatte alle hineingerufen und war dabeigestanden, bis der Mann fort war.

      Und