Bob Marley - Catch a Fire. Timothy White. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Timothy White
Издательство: Bookwire
Серия: Rockgeschichte
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454656
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niedrigen Ast herunterhing, als sein Maultier darunter hindurchging, und seine Gefolgsleute erstarrten vor Schreck. Es war höchst unziemlich für äthiopische Edelleute, auch nur die geringsten Verrichtungen selbst zu tun, besonders etwas so Niedriges wie das Pflücken einer Frucht. Ras Makkonen biss tief in das weiche Fruchtfleisch, und der warme Saft rann ihm aus beiden Mundwinkeln. Er wollte schon das große Stück schlucken, als er ein seltsames Zucken an seiner Zunge spürte. Er spuckte aus und untersuchte die Frucht in seiner Hand: die übriggebliebene Hälfte eines großen grauen Wurms schlängelte sich aus der weichen gelben Mitte der Mango.

      Voller Ekel warf Makkonen den Rest der Frucht zu Boden und spuckte nochmals aus. Dann rieb er sich das Innere des Mundes mit seinem Umhang. Und in eben diesem Moment bog ein schlimmer Windstoß die Äste des Mangobaums, und Regen fiel, und ein mächtiger Blitzstrahl erleuchtete den tiefschwarzen Himmel, und in dem geisterhaften Licht duckten sich die Bäume vor Furcht, so schien es dem Prinzen, als ihre reifen Früchte abgerissen und von der wilden Kraft des Sturmes weit fortgeschleudert wurden.

      Die Dürre war vorüber! Makkonen war voller Freude, aber dann verfinsterte sich die Stimmung des Prinzen. Wahrlich, mächtige Zeichen und Omen machten sich immer häufiger bemerkbar an diesem eigenartigen und schicksalshaften Geburtstag, aber sie standen im Widerspruch zueinander. Der Regen war gekommen, die Dürre hatte ein Ende, aber die verdorbene Frucht des Erdbodens und die grellen Gerippefinger am Himmel waren Omen, die im Gegensatz dazu Böses kündeten. Makkonen sehnte sich nach uneingeschränktem Vertrauen in die Orakel, aber er fand es nicht, und stattdessen war er versucht, laut Gott zu lästern wegen seiner grausamen Ungewissheiten. Doch etwas an ihm ließ ihn seine Zunge hüten.

      Der Regen wurde stärker, und der kümmerliche Schutz der Bäume reichte nicht. Also machte sich die Gruppe wieder auf den Weg und strebte eilig Harar zu. Und jedem der Gefolgsleute des Prinzen stand die Ungewissheit ebenso im Gesicht wie ihrem Herrn.

      Makkonen beschloss, der junge Tafari solle in den Genuss sowohl einer traditionellen wie auch einer europäischen Erziehung kommen. Das galt bei den isoliert lebenden und ethnozentrischen Bürgern Äthiopiens im späten 19. Jahrhundert als überaus ungewöhnlich. Die Völker dieser Nation, deren meiste Vorfahren aus Arabien ins Land gekommen waren, teilen sich in zwei wesentliche Sprachfamilien, die kuschitische und die semitische. Die Galla (das Volk von Tafaris Mutter) waren die vornehmsten unter den Kuschiten, und die amharischen Völker von Schoa die einflussreichsten unter den Semiten, und Sprache, Politik und Religion (die autonome christlich-orthodoxe äthiopische oder koptische Kirche) der letzteren wurden vorherrschend, als Tafari das Erwachsenenalter erreichte.

      Als Mitglied des schoanisch-amharischen Adels wurde Tafari so erzogen, wie es sich für einen jungen Prinzen geziemte, der eines Tages mit einer vornehmen ›woisero‹, einer adligen Dame, verheiratet werden würde. Makkonen, der eine Anzahl von Staatsbesuchen in Europa gemacht hatte (zum Beispiel zur Krönung Edwards VII. von England), teilte Meneliks Ansicht, dass Kenntnisse in Europas Politik, Handel und Kultur absolut notwendig seien, wenn Äthiopien je aus seiner feudalistischen Isoliertheit befreit und zu einem Mitglied der modernen Staatenfamilie werden sollte. Daher stellte Makkonen einen französischen Tutor aus Guadeloupe, Dr. Vitalen, ein und beauftragte später Abba Samuel, einen Äthiopier, der an der französischen Botschaft arbeitete, seinem Sohn eine solide westliche Erziehung zu vermitteln.

      Aber Makkonen war auch der Ansicht, dass ein zukünftiger Ras die außergewöhnliche Vorrangstellung über seine Landsleute zu erkennen und würdigen lernen müsse, die seine Herkunft von der Dynastie Salomons mit sich brachte. Die zitternde Unterwürfigkeit der Bauern und Pächter, die sie zeigten, wenn sie sich in Gegenwart von Adeligen befanden, war, wie er meinte, natürlicher Respekt, durchaus angemessen, und darüber hinaus eine Gunstbezeugung von Gott. Ein amharischer Aristokrat, ausgestattet mit riesigem, unbesteuertem Grundbesitz, den er von seinen Vorfahren geerbt hatte, und reicher gemacht durch die Geschenke seines Kaisers, sollte in der Lage sein, im Vertrauen auf göttliche Rechtmäßigkeit eine strenge Verwaltung seiner Güter durchzuführen und seine Soldaten einzusetzen (Makkonen hatte mehr als sechstausend Mann in seiner privaten Armee), um seinen Besitz zu schützen und Pacht und Steuern einzutreiben. Die Privilegierten müssen darüber wachen, dass eine soziale Ordnung eingehalten wird, die auf der Gefolgschaftstreue und der bescheidenen Unterordnung von Seiten der Niedriggestellten basiert, und sie müssen gleichzeitig den kaiserlichen Hof mit demselben Respekt und derselben Lehnstreue begegnen. Makkonen hatte im Laufe seines Lebens auf schmerzhafte Weise eines gelernt: Derjenige, der Macht nicht zu identifizieren und einzuschätzen in der Lage ist, sowohl bei sich selbst wie bei anderen, wird von ihr getäuscht werden, und derjenige, der nicht weiß, wie er die Macht einzusetzen hat, die er besitzt, wird am Ende von ihr zugrunde gerichtet werden.

      Von Beginn an war sich Tafari bewusst, dass sein Vater auf seltsame Weise hin und her gerissen war zwischen seinem Enthusiasmus für Europa – besonders einer Bewunderung für die Ordnung und soziale Mobilität der westlichen Gesellschaft – und den schoanisch-amharischen Traditionen, denen er nichtsdestoweniger anhing, indem er ein strenges fürstliches Regiment führte. Das Ziel war, wie seinem Sohn schließlich klar wurde, auf irgendeine Weise die widersprüchlichen Elemente in seiner Welt miteinander zu kombinieren, damit nicht das eine das andere ausschloss.

      Es wurde jedoch bald offenkundig, dass er in dieser Angelegenheit auf sich allein gestellt sein würde. Seine Mutter Yaschimabet war zwei Jahre nach seiner Geburt gestorben, und sein Vater, ein liebevoller, wenn auch äußerst zurückhaltender Mann, war meistens in offizieller Mission auf Reisen oder wirkte als Richter in Harar. Verbittert über seine fast vollständige Isolierung, verübelte es Tafari seiner Mutter, dass sie ihn verlassen hatte, aber bewunderte seinen entfernten Vater, weil er so frei war von sentimentalen Bindungen und Verpflichtungen. In mehrerer Hinsicht war Tafari absolut der Sohn seines Vaters: Er betonte sogar noch stärker Makonens romantische Vorstellungen von dem lehrreichen Wert kultureller Verbindungen mit dem Westen; er teilte seine Hochachtung vor Macht und seinen Hunger nach ihr, und er hatte seine kühle Zurückhaltung geerbt. Schon in sehr frühem Alter hatte sich seine Persönlichkeit zu der eines absoluten Autokraten entwickelt.

      Makkonen, der dies sehr wohl bemerkte, machte seinen dreizehnjährigen Sohn zum Dedjasmatsch, oder Hüter der Tür, eines Teils der Harage-Provinz. Ein Jahr nachdem der stolze Vater seinem Sohn diese vornehmlich ehrenamtliche Stellung verliehen hatte, starb er im Jahre 1906.

      Als der junge Tafari seinen ersten Prüfungen ausgesetzt wurde, stellte er sich ihnen mit der ungebrochenen Überzeugung, dass alles, was sowohl materiell wie politisch von seinem verstorbenen Vater erworben worden war, ihm vererbt sei. Zudem war seine angestaute Verachtung von Frauen hilfreich in der Auseinandersetzung mit seinen beiden Hauptgegnern: der Kaiserin Taitu und ihrer Tochter Zauditu.

      Taitu wollte unbedingt Yelma Makkonen, den Sohn des verstorbenen Prinzen aus erster Ehe, als Nachfolger seines Vaters im Amt des Gouverneurs sehen. Tafari (Sohn von Makkonens zweiter Frau) war bestürzt und dann voller Zorn darüber, dass Yelma ihm vorgezogen werden sollte. Er wusste jedoch genug von dem Nepotismus in der äthiopischen Politik, um einzusehen, warum dieser Kurs eingeschlagen wurde: Die erste Frau seines Vaters war eine Cousine von Taitu, und da ihr schon alter Ehemann bei schlechter Gesundheit war und überdies Tafari bevorzugte, wollte Taitu mit aller Macht den Anspruch ihrer Familie auf den Thron behaupten, solange noch Zeit war, einen solchen Präzedenzfall zu schaffen.

      Und so wurde Yelma zum Gouverneur von Harar sowie zum Führer der Armee, die zu diesem Amt gehörte, während man Tafari mit einem minderen Amt als Gouverneur von Selale abspeiste, einem kleinen und unbedeutenden Winkel des Reiches, nordwestlich der kaiserlichen Hauptstadt Addis Abeba gelegen. Da man ihn vollständig machtlos halten wollte, wurde Tafari von Taitu gezwungen, das winzige Gebiet von Meneliks Palast aus zu regieren.

      Aber die Tatsache, dass er im Palast gleichsam eingesperrt war, sollte sich für ihn als nützlich erweisen, denn weil er gezwungen war, in einer Atmosphäre nicht enden wollender Intrigen zu leben, da die Auseinandersetzungen um die Kontrolle über den Thron immer weiter eskalierten, konnte sich Tafari eine Menge wertvollen Wissens aneignen, weil es ihm möglich war, die Schlangen in ihrer eigenen Grube zu beobachten.

      Meneliks angegriffene Gesundheit wurde immer schlechter, und 1908 erlitt er einen Schlaganfall. Fern von seinem letzten Verbündeten,