Bob Marley - Catch a Fire. Timothy White. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Timothy White
Издательство: Bookwire
Серия: Rockgeschichte
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454656
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hatte er den Befehl über dreitausend Soldaten und konnte sich des zynischen Rats seiner Großmutter mütterlicherseits, der Wosiero Wallata Georgis, erfreuen, die man zusammen mit ihm nach dorthin verbannt hatte. Während Tafari sich besonnen damit abfand, über sein abgelegenes Territorium zu herrschen, musste Taitu sich wütend endloser Intrigen in Addis Abeba erwehren.

      Im Jahr zuvor hatte Menelik Lidj Jasu, seinen eigensinnigen zwölfjährigen Enkel, zum Nachfolger bestimmt. Taitu jedoch förderte als gefügigere Kandidatin Zauditu, eine von Meneliks Töchtern. Da starb Tafaris Halbbruder Yema, und das Gouverneursamt von Harar war frei. 1910 erreichte dann Tafari mit politischer Unterstützung anderer Prinzen, was ihm von Geburt aus zustand, und zusammen mit seinen neuen Kameraden umstellte er sehr bald darauf den kaiserlichen Palast mit Truppen. Ruhig, aber bestimmt informierte er Taitu, ihre Pflichten am Hofe seien von jetzt an auf die Fürsorge für den schwachen Menelik beschränkt und die Macht werde einstweilen Ras Tasamma übergeben, einem Mann, der Tafari nahestand.

      Eine Zeitlang blieben diese kühnen Maßnahmen wirksam, aber 1911 starb Tasamma, und wieder erhob Lidj Jasu Anspruch auf den Thron. 1913 starb dann schließlich Menelik, aber Lidj Jasu wurde nicht gekrönt, denn er war schamlos genug gewesen, zum Islam überzutreten, und hatte damit der beträchtlichen Autorität der Monophysitisch-Orthodoxen Kirche Äthiopiens getrotzt. Die Kirche und die schoanischen Edelleute kämpften lange und hart, um Jasu in Misskredit zu bringen, und 1917 beschlossen sie, Zauditu als Kaiserin zu bestätigen.

      Während die Marionetten-Kaiserin machtlos inmitten der Auseinandersetzung stand, versuchten die Moslems unter der Führung des exkommunizierten Lidj Jasu, die dreitausendjährige Erbfolge Salomons zu untergraben. Aber der fünfundzwanzigjährige Tafari, der inzwischen als Lohn für seine Loyalität von der Kirche zum Ras ernannt worden war, ersuchte das Regime unter Zauditu, ihn zum Regenten zu ernennen. Der überaus gutaussehende und außerordentlich zurückhaltende und respektvolle Mann erschien der Kirche und der Schoa-Fraktion als ideales zweites Aushängeschild, und man erfüllte ihm seinen Wunsch. So erreichte er listenreich, was er mit Waffengewalt niemals hätte erreichen können. Er war dem kaiserlichen Zepter so nahe, wie es nur ging.

      In den folgenden dreizehn Jahren machte er sich politisch unentbehrlich. Er scharte eine Gruppe von Vertrauten um sich und gab ihnen Regierungsämter in Addis Abeba. Er führte eine Bürokratie nach europäischem Muster ein und importierte Berater und Kenntnisse im politischen Handwerk aus dem Westen. 1923 hatte er schließlich erreicht, dass Äthiopien Mitglied des Völkerbundes wurde. Er machte ausgedehnte Auslandsreisen und war auf ihnen von einem Gefolge begleitet, zu dem auch Zebras und Löwen gehörten. Er wurde zu der Figur, mit der man in der Welt das exotische und rätselhafte Äthiopien identifizierte. Wenn er von solchen Reisen zurückkehrte, ließ er sich in einer europäischen Limousine zum Palast chauffieren – in Äthiopien so außergewöhnlich wie zahme Löwen im Westen.

      Lidj Jasu ließ er 1921 gefangen nehmen und in eigens für ihn geschmiedeten goldenen Ketten unter wahrhaft luxuriösen Bedingungen zwölf Jahre lang bis zu seinem Tode festhalten. 1926 starb Habte Georgis, ein Kriegsminister, der sich dem schnellen Aufstieg des Ras Tafari wiedersetzt hatte, eines natürlichen Todes – so wurde zumindest behauptet. Eilends konfiszierte Ras Tafari seinen Besitz und übernahm den Befehl über seine Armee aus sechzehntausend Mann, die er gegen Kaiserin Zauditus letzte kriegerischen Anhänger aufbot: »Er schleicht wie eine Maus, aber hat den Rachen eines Löwen«, bemerkte ein anderer Ras in jenem Jahr.

      Ras Tafari war zu dem hervorragendsten Mann in Äthiopien geworden, und er bestand darauf, dass Zauditu ihn zum ›negus‹, zum König, krönte, wobei er damit drohte, er werde sie höchstpersönlich von ihrem Thron vertreiben, wenn sie sich weigern sollte. In einem letzten Versuch, ihn gefügig zu machen, schickte Zauditu die große Armee ihres Mannes gegen die Streitkräfte des Ras Tafari, aber sie unterlagen und ihr Mann wurde getötet. Am 2. April 1930, zwei Tage nach dem Sieg des Ras Tafari, war auch Kaiserin Zauditu tot, und die Umstände, unter denen sie ums Leben kam, sind bis heute nicht geklärt.

      Ein schmaler, scheinbar zerbrechlicher Mann, der kaum über einen Meter sechzig groß war und den man nur selten hatte laut sprechen hören, ein Mann, der vor gut zwanzig Jahren ohne Eltern und starke Verbindungen dagestanden hatte, die ihm politisch den Weg hätten ebnen können, hatte es geschafft, gegen alle Erwartung schließlich auch noch den letzten seiner Gegner herauszufordern, zu überlisten und aus der Welt zu schaffen.

      In Addis Abeba gingen die Gerüchte um, dass sogar die engsten persönlichen Berater des Ras Tafari voller Furcht vor ihm waren, dass es ihnen widerstrebte, ihm die Hand zu schütteln oder ihm direkt in das ausgeprägte Gesicht mit seiner spitzen Nase, dem spärlichen Bart und den durchdringenden, fast schwarzen Augen zu sehen, all das umrahmt von wilden, buschigen Haaren.

      Viele seiner Landsleute fühlten sich erinnert an die biblische Vorhersage, dass nach dem Letzten Krieg ein König der Könige aus Jesses Wurzel im Lande Davids gekrönt werde, ein Mann, dessen Augen wie Flammen des Feuers, dessen Haar wie Wolle und dessen Füße schwarz sein würden wie brennende Bronze, und dass dieser größte aller Könige den Tod besiegen und das Jüngste Gericht abhalten werde, nachdem er den Thron Babylons umgestoßen hatte, und alle, die Anspruch erhoben auf zeitweilige Macht, und ihre fehlgeleiteten Anhänger hinabstoßen werde in das Nichts.

      Seltsame Geschichten begann man sich zu erzählen über die Kindheit von Tafari, und darin hieß es, er könne mit den Tieren sprechen. In seiner Jugend, so wurde behauptet, habe man ihn des Öfteren im Busch mit Leoparden und Löwen sich unterhalten sehen, und die wilden Bestien des Dschungels seien zahm gewesen zu seinen Füßen, so wie sie Jahrhunderte zuvor auf den berühmten äthiopischen Eremiten, den Heiligen Abbo, reagiert hätten.

      Weiter wurde gesagt, dass Tafari als junger Student sehr klug und fähig gewesen sei, dass er aber die Priester wahrhaft erstaunt habe mit seinem ausgedehnten religiösen und mystischen Wissen. Nicht nur könne er nach Belieben zitieren aus dem Kebra Negast, sondern auch aus dem Buch von Kufale, dem Buch von Enoch, dem Hirten von Hermas, Judith, Ecclesiasticus, Tobit, dem Matschafa Berhan (Buch des Lichts), dem Sechsten und Siebten Buch Mose, den Büchern von Eden (während des Mittelalters heimlich aus der Genesis entfernt), allen einunddreißig Büchern der hebräischen Bibel, den einundzwanzig kanonischen Büchern des Neuen Testaments und zahlreichen anderen apokryphen und pseudo-epigraphischen Werken.

      Es ging eine Geschichte, wonach ein einheimischer Priester in Harar den jungen Tafari kurz nach dem Tode seines Vaters besucht habe und wissen wollte, woher sein so weitreichendes Wissen stamme. Tafari erwiderte, ein Großteil sei ihm im Augenblick der Taufe gekommen, die der Tradition gemäß am vierzigsten Tag seines Lebens stattgefunden habe. Der Priester, der die Zeremonie leitete, habe Tafaris Augen mit der ersten Berührung des heiligen Chrisam geöffnet, und alles, was folgte, sei dem Säugling verständlich gewesen, als sei er schon erwachsen. Der Priester sprach seinen Nachnamen aus, daran könne er sich erinnern, und dann seinen Taufnamen, und dann habe er sanft an Tafaris Gesicht geblasen, um die bösen Geister zu vertreiben. In diesem Augenblick, so behauptete Tafari, habe er sich von einem goldenen Glanz umfangen gefühlt, und als der Priester begonnen habe, ihn zu salben, mit Wasser seine Stirn, seine Brust, seine Schultern und alle anderen siebenunddreißig vorgeschriebenen Stellen zu berühren, da habe er gefühlt, wie sein Wissen sich vergrößerte, wie es ihn anfüllte wie ein Gefäß und ihn ausstattete mit der großen klaren Erkenntnis über die Schöpfung und die wahre Aufgabe der Menschheit.

      In den Wochen danach seien jedoch das Wissen und jenes besondere Gefühl der Klarsicht scheinbar immer weniger geworden.

      Wann es wiedergekommen sei, habe der Priester gefragt.

      Als die Vögel und die wilden Tiere und sogar die Insekten begonnen hätten, ihn zu begrüßen und mit ihm zu sprechen, ihn an das zu erinnern, was er schon wusste, habe Tafari geantwort.

      Welches sei das erste Geschöpf gewesen, das mit ihm gesprochen habe?

      Tafari habe um ein Blatt Papier ersucht und um Kreiden und mit außergewöhnlicher Leichtigkeit das Bild eines Vogels gezeichnet. Es habe einer Taube geglichen, aber ihr Gefieder sei bunt und exotisch gewesen. Der Priester habe Tafari fragen wollen, um was für einen Vogel es sich handele, und in eben dem Moment habe er verblüfft mit ansehen müssen, wie der Vogel von