Die Status Quo Autobiografie. Francis Rossi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Francis Rossi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854453666
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sondern dass sie eben immer triefende Nasen hatten, und sie wollte einfach nicht, dass ich mit solchen Kindern spielte. Ich war ihr einziges Kind und sie hatte für mich wohl „Besseres“ geplant. Nicht dass mich das daran gehindert hätte, weiterhin rüberzugehen und mit den Kids zu spielen. Ich verstand nicht, warum das ein Problem war. Sie waren Kinder wie ich, und ohne einen Bruder oder eine Schwester, mit denen ich hätte spielen können, stand ich nur vor der Wahl, entweder mit denen oder alleine zu spielen – und das will nun mal kein Kind.

      Meine Großmutter mütterlicherseits hieß Maude, aber alle nannten sie einfach nur Nan. Sie besaß eine Café-Kette – billige Schnellrestaurants, in denen Arbeiter gerne verkehrten. Alle hießen Miller’s, was auch der Mädchenname meiner Mutter war. Einen dieser Schuppen gab es in Colliers Wood, einen in Clapham und zwei in Woking. Mein Vater und meine Mutter arbeiteten beide im Familienunternehmen und betrieben das Café in Colliers Wood. Was ich allen immer wieder ins Gedächtnis rufe, wenn ein Restaurant-Service oder ein Catering gesucht wird: „Mach dir keine Sorgen, überlass das nur mal mir, ich bin in Cafés groß geworden.“ Finanziell ging es meinen Eltern also gar nicht so schlecht, als ich geboren wurde. Wir lebten alle im gleichen Haus wie Nan, und soweit ich mich erinnern kann, war das ein ganz beachtliches Anwesen.

      Dann passierte etwas, das für mich als Kind wirklich einen Einschnitt bedeutete. Auf einmal brachen wir unsere Zelte ab und zogen nach Harlow um. Dad muss wohl damals beschlossen haben, aus dem Familienunternehmen auszusteigen, da er diesen Beruf gänzlich an den Nagel hängte und Versicherungskaufmann wurde. Vielleicht wollte er ja damit beweisen, dass er es auch alleine schaffen konnte, oder er hatte einfach einen Blackout, keine Ahnung, sie haben es mir nie gesagt. Ich weiß nur, dass wir anschließend in Harlow wohnten, weg von der Familie meiner Mutter und näher bei Ivy, der Schwester meines Vaters, und mehr in der Nähe seiner Brüder.

      In Harlow hatte ich dann auch meinen ersten schlimmen Unfall. Meinen „ersten“, weil ich seitdem in meiner gesamten Kindheit besonders anfällig für Unfälle war. Ich habe immer noch vor Augen, wie meine Mutter dastand, die Stirn in Falten zog und meinte: „Wenn irgendetwas passieren soll, dann ist es bestimmt Rick, dem es passiert.“ Beim ersten Mal war ich ungefähr fünf und quetschte mir im Gartentor den Finger. Ich schaute zu, wie mein Spielkamerad auf dem Tor schaukelte, aber ich hatte meine Hand in der Türangel, und als er so sehr schaukelte, dass das Tor ins Schloss fiel, schnitt er mir dabei den halben Finger ab. Ich erinnere mich, wie ich um die Ecke rannte und „Mami, Mami, Mami!“ schrie. Wie es der Zufall wollte, war sie gerade unterwegs beim Einkaufen. Als sie zurückkam, sah sie mich auf sich zu rennen, von oben bis unten mit Blut verschmiert und mit einem halb herabhängenden Finger.

      Wie viele andere auch, hatten wir damals kein Telefon, und so konnte sie nicht einfach einen Krankenwagen rufen. Sie musste mit mir die Hauptstraße hoch rennen bis zur Apotheke in dem Teil von Harlow, den sie Harlow’s Old Town nannten. Sie war fast hysterisch, aber der Apotheker klemmte mir den Finger einfach wieder dran, tränkte ihn in Jod, band ihn ab und schickte mich damit ins Krankenhaus, damit sie ihn mir dort wieder fein säuberlich annähen konnten. Mein Gott, was für eine Tortur war das! Ich habe heute noch diesen ungesunden Jodgeruch in der Nase, und sobald ich in ein Krankenhaus komme, fällt mir wieder genau jener Tag ein.

      Nicht allzu lange danach verletzte ich mich am Arm und trug ihn schließlich in einer Schlinge. Dies beeinträchtigte aber meinen Gleichgewichtssinn, sodass ich stolperte und direkt auf einen Backstein fiel. Dabei zog ich mir eine schlimme Platzwunde am Kopf zu. Ein kleiner Teil des Steins hatte sich direkt in mein Gesicht eingegraben und musste herausoperiert werden. Ich habe viel Geld bezahlt, um das wieder richten zu lassen, aber jahrelang musste ich mit dieser Kerbe im Gesicht herumlaufen. Ein anderes Mal fiel ich von einem Baugerüst, auf dem ich eigentlich nicht hätte spielen sollen, und schlug mir dabei ein Stück aus meinem Wangenknochen aus, das ich mittlerweile auch wieder in Ordnung habe bringen lassen. Dann kam der Augenblick, in dem ich an einem Samstagvormittag, man kann es sich lebhaft vorstellen, von einem Auto angefahren wurde. Was mit sechs Stichen am Kinn endete, wovon ich immer noch die Narben habe. Und als ob all das noch nicht schlimm genug gewesen wäre, stieß ich ein paar Tage später auf dem Schulhof frontal mit einem anderen Kind zusammen, was mir erneut das Kinn spaltete. Ein anderes Mal wiederum rannte ich in einen eisernen Haken, der von der Unterseite einer Brücke herunterhing, und musste mit 14 Stichen oben am Schädel genäht werden. Da wir kein Auto hatten, musste mich mein Vater auf dem Arm ins Krankenhaus tragen. Ich war es als Kind derart gewohnt, einen Verband zu tragen, dass ich mir einfach eine Sonnenbrille aufsetzte und behauptete, ich sei der Invisible Man.

      Wir waren gerade mal ein Jahr oder so in Harlow, da zogen wir schon wieder um – diesmal nach Woking in Surrey. Ich weiß nicht, wie glücklich meine Eltern mit ihrem neu gewählten Leben waren, aber als Nan das Café in Colliers Wood verkaufte, in Woking ein neues eröffnete und meinen Eltern anbot, wieder ins Geschäft einzusteigen und den Laden zu führen, nahmen sie dankbar an.

      Woking ist heute natürlich nicht mehr das Woking von einst. Es liegt zwischen Portsmouth und London und hat sich von einem ruhigen, grünen Vorort, wie ich ihn in meiner Kindheit kannte, zu einer aufstrebenden Satellitenstadt entwickelt, in der viele Londoner Geschäftsleute logieren. Viele der Läden und Kinos aus meiner Kindheit sind verschwunden. Da hat sich viel getan. Und es ist eine Schande, denn ich erinnere mich noch an das Woking wie es war, als wir anfangs dort wohnten: eine wunderschöne, ruhige kleine Stadt.

      Ich besuchte die Goldsworth School in der Goldsworth Road. Das neue Café lag ebenfalls in der Goldsworth Road, und ich erinnere mich, dort sehr glücklich und zufrieden gewesen zu sein. Es war wiederum in Goldsworth, wo ich meine erste Freundin kennen lernte – Josephine Tickner. Ich kann eigentlich nicht viel älter als sechs gewesen sein, aber ich verliebte mich unsterblich in sie. Manchmal sind wir zusammen von der Schule nach Hause gelaufen. Sie hatte nie schwere Bücher zu tragen, aber hätte sie welche gehabt, ich hätte sie ihr gerne abgenommen. Ich erinnere mich, dass ich sie einmal geküsst habe und dann hoffte, dass sie kein Baby von mir bekam.

      Aber hauptsächlich hing ich mit Jungs herum. Auf unserem Heimweg von der Schule kamen wir regelmäßig an einem alten Kanal vorbei, über den eine Brücke führte. Meine Mutter ermahnte mich mehrmals: „Geh nicht so nah an den Kanal ran.“ Aber wir gingen natürlich jeden Nachmittag genau dorthin, um zu spielen. Brücken und Kanäle haben auf kleine Jungs eine magische Anziehungskraft. Jungs wittern an ihnen das Abenteuer. Und dann war da der Kanal selbst. Das Wasser war bedeckt mit einem Algenteppich und bereits umgekippt. Das alles hatte einen ganz besonderen Reiz für uns. Solange bis eines schönen Nachmittags der Unfall-Champion Rick hineinfiel.

      Ich hatte mir eigentlich gar nicht weh getan dabei, aber der Gedanke, jetzt nach Hause gehen und zugeben zu müssen, dass ich mich da unten am Kanal herumgetrieben hatte und auch noch reingefallen war, erschien mir viel schlimmer als irgendein körperlicher Schmerz. Ich dachte, jetzt bist du tot. Doch zu meiner Überraschung reagierte meine Mama gar nicht sauer. Sie war wohl einfach total erleichtert, dass ich nicht ertrunken war und verzieh mir sofort. Kein Wort wurde mehr darüber verloren. Nur einen Tag später war ich erneut unten am Kanal.

      Deshalb war ich aber noch lange kein unartiges Kind. Alle Kinder stellen die Geduld ihrer Eltern auf die Probe und testen aus, wie weit sie gehen können. Auch war ich nicht schwer erziehbar oder so, höchstens ein bisschen vorlaut. Da ich im Café gewöhnlich mit vielen Leuten in Kontakt kam, hatte ich nie ein Problem mit anderen. Ich verstand mich mit jedem. Um mir ein bisschen Taschengeld zu verdienen, trug ich manchmal die Teller mit dem Essen zu den Tischen oder von dort in die Küche zurück. Anschließend ging ich mit einer kleinen Kasse herum und fragte, ob vielleicht einer der Anwesenden bereit war, einen Penny oder einen halben Penny reinzuwerfen. Viele von ihnen erlagen dem Charme des kleinen blonden Jungen, der ihnen so nett den Tee an den Tisch gebracht hatte. Am Ende der Woche hatte ich dann drei oder vier Schilling beisammen, was für mich als Kind natürlich ein Vermögen war.

      Heute ist das Café ein Motorradladen. Es ist noch gar nicht lange her, da war ich an einem Sonntagnachmittag mal da draußen. Ich hockte im Auto, nahm die Atmosphäre in mich auf und ließ meine Erinnerungen an mir vorüberziehen. Als ich durchs Fenster schielte, konnte ich die Tür sehen, die in den hinteren Teil führte. Durch sie waren wir damals immer gegangen, wenn wir in unsere Spülküche wollten. Dann schaute ich zu dem Fenster