Für Michel stand das Resümee fest: »Das kann dir beim Bier nicht passieren, der Hund kackt nicht ins Hopfenfeld!«
AM FICKOMAT VON MAINZ – Wenn ich mich recht erinnere, habe unseligerweise ich Michael Rudolf dazu angestiftet, die damals noch ganz kurze Geschichte und das Programm seines Verlages Weisser Stein bei der Mainzer Minipressenmesse des Jahres 1993 vorzustellen. Michels Teilnahme an dieser Veranstaltung zur Würdigung literarischer Kleinverlage – er durfte unter dem Motto »Verlegerträume« das Konzept seines Verlages vorstellen, neben Benno Käsmayr, der für Maro anzutreten hatte – erwies sich für ihn insoweit als Reinfall auf ganzer Linie, als daß diese überschaubar dimensionierte Buchmesse, deren speziellen Charme Michel irgendwo zwischen Ökomarkt-Impertinenz und Esoterik-Budenzauber ausmachte, dem jungen Verleger außer Kosten, Mühen und vergeudeter Zeit nur wenig einbrachte, zumal zu Hause am Greizer Schreibtisch sich das Pensum nützlicherer Arbeiten gewaltig häufte.
Gerhard Henschel, dessen Buch Moselfahrten der Seele – Referate und Räuberpistolen gerade als Titel Nummer 11 bei Michel erschienen war, trat im Lesungsprogramm der Messe auf, nicht wirklich passend oder animierend umrahmt allerdings von einer Horde rheinländischer Slam-Poetry-Hanswurste, guttrainierten Wettlese-Experten, als deren Spitzenkräfte eine dichtende Reinemachefrau und eine exotische Hobbydichterin mit schwer verbeultem, fürs Stoffliche ihrer Texte aber profund erschlossenem Migrantenhintergrund (von der Karibik nach Köln – oder so ähnlich) so rasant poetische Zeichen setzten, daß es die sprichwörtliche Wutz im Stall nur so gruselte. Michel und ich waren sozusagen als Verkörperung der Leserschaft Gerhard Henschels vor Ort und bekamen gleich tüchtig zu staunen, wie entschieden und wacker sich der Autor durch den Dschungel an Zumutungen schlug, durch den ihn der hier schief angelegte Weg zur Öffentlichkeit führte.
Michel fluchte sehr zu Recht, denn zu all dem anderen Unheil war auch noch das Wetter anhaltend garstig. Sehr nasser Wind pfiff kalt am Mainzer Rheinufer entlang, und die nötige Flucht nach vorne, vom öd-belebten Messezelt (Michel: »Ich weiß nicht, was schlimmer ist: die Kleinverlegerkollegen oder das Publikum«) hin zum nahen Zentrum der rheinland-pfälzischen Hauptstadt, führte uns Ortsunkundige auch zu rein gar nichts Gutem.
Einzig unsere Unterkunft gab Anlaß zu gehobenem Plaisir. In ein eindeutig am Zielpunkt langer Talfahrt hart aufgeschlagenes Hotel aus wilhelminischen Tagen, nahe am Mainzer Hauptbahnhof, hatten uns die Experten der Touristenbehörde eingewiesen. Michel und Gerd stöhnten halb amüsiert, halb echt geschockt: Als noch verblichener als einige der wildesten Kaschemmen, die sie auf Lesetour durch die noch sehr jungen Neuen Bundesländer kennen- und fürchten gelernt hatten, zeigte sich dieses erahnbar ehemals noble Haus. Tapeten mit Müsterchen, die man problemlos jedem fachlich noch so fitten Kurator psychopathologisch orientierter Kunstsammlungen als ewige Glanzstücke seiner Bestände unterschieben könnte, mobiliarhaftes Geraffel, dessen Schoflesse selbst hartgesottene Sperrmüllexperten in die innere Emigration gescheucht hätte, und eine Gesamtatmosphäre wie in gewissen schwarzweiß gehaltenen Meisterwerken des osteuropäischen Filmdramenrealismus der ganz frühen sechziger Jahre. Zu trinken gab es in dieser ungemütlichen Herberge am Abend sowieso nichts mehr, nicht mal Fernsehkästen standen bereit, und draußen tobten weiterhin Sturm und Regen. Also saßen wir erst mal matt in einem unserer Zimmer herum und klagten über das laue Gedöns bei der Kleinverlagsbuchmesse.
Einer von uns, ich meine, es war Michel, entdeckte dann den kleinen merkwürdigen Kasten. Auf dem Nachttisch, unterm Schirm einer kleinen Funzellampe. Ein dunkel lackiertes, gut abgegriffenes, simpel verarbeitetes Blechkistchen, mit alten Stromschaltern auf der Oberseite und einem Schlitz wie auf einem Kollektenschrein, groß mit dem Hinweis »DM 1« beschriftet. Ein dickes Kabel verlief von diesem Instrument ins Dunkel unterm Bett. Rätsel über Rätsel. Michel hatte ein Markstück zur Hand und steckte es, nur mäßig gespannt, was für Attraktionen nun eintreten würden, in den Schlitz. Augenblicklich erhob sich ein schnarrendes Gequengel aus dem muffigen Inneren des Bettes, ein ungesund klingendes elektrisches Eiern, wie von einem Handmixer kurz vor seiner endgültigen Havarie. Und das noch abgedeckte Bett begann sich zu regen, bäumte sich partiell um ein paar Zentimeter auf, ungefähr in der Mitte der Liegefläche, schön im blöd fickrigen Takt des Geknatters, anzusehen etwa so, als übe ein mit schlechten Amphetaminen großzügig gedopter, zornig bockender Goldhamster unter der Decke einbeinig einen Veitstanz ein. Michel erstarrte, er hielt den Geldschlitzkasten in Händen wie ein überforderter Meßdiener sein Monstranzenzeugs während einer unvermuteten Herrgottserscheinung, guckte einigermaßen verdattert auf das, was er da angerichtet hatte, und wußte erst mal überhaupt nicht mehr weiter. Gerd Henschel, der hinsichtlich des weiteren Verlaufs dieses Abends auch schon alle Hoffnung aufgegeben und nur einen Schritt neben Michel gut aufgepaßt hatte, was nun geschehe, gewann als erster seine Fassung zurück und lachte sich schier scheckig. Von diesem, Gerds erstem Ausbruch baren Vergnügens an diesem sonst voll vergeigten Tag ermutigt, betätigte Michel nun einen mit 1, 2 und 3 beschrifteten Schalter, und sofort gehorchte das Bett, indem das ratternde, leicht hoppelnde Geknatter sich nun auch noch in wechselnden Frequenzen hören ließ, je nach Grad der ihm fernlenkerisch befohlenen Erregung.
Noch bevor nach etwa einer Minute der Spuk erlahmte, hatten wir unsere sämtlichen Markstücke hervorgekramt, und Michel, er hatte gefaßt und beherzt die Rolle des Ingenieurs und Leiters des Experiments übernommen, fütterte erneut den Kasten mit Barem. Gerd Henschel, der nun auch noch wissen wollte, was genau die Ursache der Erscheinungen sei, deckte vorsichtig das Bett ab, hob mit spitzen Fingern die Matratze an und stieß auf ein weiteres, auf dem Lattenrost wackelig-schief befestigtes Kästchen, aus dessen Oberseite ein kleiner Stößel herausklopperte, zweifellos dafür geschaffen, per pochender Einwirkung auf die Matratze eine oder mehrere auf dem Bett situierte Personen mechanisch zu bearbeiten.
Ein geprägter Schriftzug auf einem der Kästen wies per Wortspiel auf das gewisse Massagehafte der dem Apparat eigenen Regungen hin. Den völlig perplexen Gerd Henschel hielt nun gar nichts mehr auf den Beinen. Laut lachend und die Hände über dem Kopf zusammenschlagend, wälzte sich der junge Dichter auf der durchfallfarbenen Auslegeware. Irgendwann, mehrere Markstückel waren verjuckelt, ließ sich einer von uns auf den Rand des kinetischen Betts fallen, das sofort weitgehend durch- und zusammenkrachte und nun wie ein am Orkus gestrandetes Floß handwerklich ungeschickter Schiffbrüchiger dumm vor der Wand hing – bei immer noch stur tuckerndem, erstaunlich standfestem Stößelmechanismus. Ein grandioser Anblick, beinahe rührend schon, ergreifend wie eine von Beate Uhse gesponsorte, eingedenk Sigfried Giedions Studie über Die Herrschaft der Mechanisierung multimedial zur Metapher des universell Deppenhaften versaubeutelte Paraphrase von Caspar David Friedrichs großem Bild der vor dem gefrorenen Meeresufer gescheiterten Hoffnung, mit der man Harald Szeemanns kompletter Ausstellung »Junggesellenmaschinen« von 1975 mit links Konkurrenz machen könnte. Gerd Henschels Lachkrampf war endgültig ins Chronische entgleist.
Michel aber ließ sich zu fast anzüglich politischen Bemerkungen zum Nimbus der westdeutschen Hotellerie hinreißen, nicht die letzten Witze dieses so im letzten Augenblick noch geretteten Abends im stark faden Mainz. Am Morgen gelang es uns, das Bett immerhin so scheinbar gerade wieder aufzurichten, daß es zumindest auf den ersten Blick wie intakt aussah. Zur Minipressenmesse nach Mainz sind wir drei dann nie mehr gefahren.
»EIN GENTILER HERR« – Aus Michels Mund habe ich nie eine Zote oder ähnliches gehört. Er konnte fluchen, auch schimpfen; aber er wurde nie auch nur andeutungsweise ausfallend. Selbst in grenzwertigen Situationen nicht.
Als ich mal mit ihm vor einem Drehkreuz am Eingang zum Frankfurter Messegelände stand, wurde er beinahe von einer wuchtig daherstampfenden Dame, einer riesigen Gestalt von ungeheurer Blunzenhaftigkeit, umgerempelt. Er wich im letzten Augenblick elegant aus, machte auch noch einen leichten Diener, wies lächelnd aufs Drehkreuz und sagte doch tatsächlich: »Madame …« Das Monster, das um ein Haar im Drehkreuz steckengeblieben wäre, japste kurz auf und blaffte Michel grob an: »Die Madame könnense sich sonstwo hinstecken!« Erst als diese Person außer Hörweite war, sagte Michel »Um Himmels willen« und grinste nachsichtig.
Keine zehn Minuten später saßen wir gemütlich am Buchmessenstand des Haffmans Verlages, als genau