Michel beschäftigte sich mit diesem Buch eingehender als mit den übrigen fünf, sechs Wunderdingen, die wir eben geschnappt hatten. Er las eine Reihe der Szenen, kommentierte sie, sichtlich erfreut an ihrem feinen Ton, und sagte etwa: »Wenn ich dann mal nimmer bin, macht ihr mir auch so was.« Wir witzelten noch ein wenig herum, wie der Titel eines solchen Denkmals lauten könnte, und kamen schlußendlich bald auf »Wann i amal stirb …«, nach dem Titel einer figürlich-plastischen Installation des zwischenzeitlich verschollenen Wandermalers Laertes Eisenbeiß aus dem Jahr 1974, einem Kunstwerk, das dem alten Themengespann Eros–Thanatos in ragender Klassizität so ewigkeitliche wie auch neue Glanzlicher aufträgt. Dann zerrten wieder die Buchmessepflichten in Form drängelnden schlechten Gewissens an Michel, der gleich auch flugs zu seinem Stand wetzte, um dort seinen Stellvertreter aus der Stallwächterpflicht zu entlassen.
WIE MICHAEL RUDOLF EINMAL MEIN ERSTES BUCH VERLEGTE
Susanne Fischer
Für mich hatte alles mit Kowalski angefangen, dieser »Titanic für Mopedfahrer«, wie Frau Müller gern sagte, aber Frau Müller kannte ich damals noch nicht. In Kowalski gab es die Lkw-Rubrik, auch genannt »Zeichen, Zeiten, Tage & Wunder«, da schrieben zum Beispiel Frau Müller, Herr Rudolf und Herr Egner, den ich ebenfalls noch nicht kannte. Das wirkte alles so sympathisch schülerzeitungsmäßig, daß ich dachte: »Kann ich auch.«
Natürlich stimmte das nicht, deswegen dachte ich als nächstes etwas bescheidener: »Will ich auch.« Gedruckt wurde ich dann irgendwann tatsächlich, weil ich einfach hartnäckig blieb. So entstanden im Lauf der Zeit eine Menge kurzer Texte. Als ich die erste längere Geschichte unterbringen konnte, illustriert von Eugen Egner, hielt ich mich für eine gemachte Frau, und irgendwie stimmte das ja auch, denn die Illustration hängt heute bei mir an der Wand, und wer hat schon Illustrationen von Eugen Egner an der Wand hängen? Nur gemachte Leute oder solche, die viel Geld dafür bezahlen. Beides trifft auf mich zu.
Es entstanden nun zügig immer neue Texte, kurze Geschichten, kleine Polemiken, Momentaufnahmen – ich schrieb und schrieb so, wie man nur etwas tut, von dem man gerade erst entdeckt hat, daß man es kann: begeistert, selbstverliebt und allzu kritiklos. Kowalski mußte das exklusive Glück meiner Autorschaft bald mit der Frankfurter Rundschau und dem Raben teilen. Zumindest die Frankfurter Rundschau hat überlebt.
Fanny Müller, von mir teils bewundernd und teils neidisch beäugt, hatte inzwischen ihr erstes Buch beim Verlag Weisser Stein verlegt – Geschichten von Frau K. Damals konnte sich kein anderer Verlag dazu durchringen, Deppen, die sie alle waren und immer noch sind. Frau K., die alte, knatschige, anbetungswürdige Hamburger Trutsche, verhalf Michael Rudolfs Verlag wohl zum größten Erfolg. Auch Gerhard Henschel, heute ein gefragter Starautor, ließ seine ersten Bücher beim Weissen Stein erscheinen. Als Henschel mich damals fragte, ob ich nicht einen Beitrag zum Wörterbuch des Gutmenschen schreiben wollte (das allerdings bei der Edition Tiamat erschien), wußte ich, daß ich nun bestimmt eine gemachte Frau war. Fleißig wühlte ich in meinen Manuskripten herum und wollte endlich ein eigenes Buch, schließlich schrieb ich ja schon seit zwei Jahren jede Menge Quatsch zusammen.
Jetzt hätte der Höhepunkt dieses kleinen Rechenschaftsberichts zu folgen: Die erste Begegnung mit dem Verleger. Tatsächlich gibt sich die Erinnerung hier eher verschwommen – in meiner Kristallkugel sehe ich eine Buchmesse, einen Gemeinschaftsstand (?), ein von Michael Rudolf verdienstvollerweise herausgebrachtes Büchlein von Johann Karl Wezel, einer meiner abseitigeren literarischen Lieben, und uns beide im Gespräch darüber. Ich sehe Michael Rudolf mit seinem Autor Henschel im Schlepptau, einem Henschel, noch nicht so versiert und abgebrüht wie heute, noch ohne Maßanzug und Budapester Schuhe, sondern eher lampenfiebrig und ein bißchen zappelig. Ich sehe uns alle und noch viele andere bei der Triennale Greiz in einem Absud aus Bier, grünen Klößen und sinnlosem Krakeelen untergehen. Dort erfuhr ich auch, was längst alle Welt wußte – daß Michael eigentlich Bierbrauer, Fahrradfahrer und Pilzsammler war.
Wie es nun genau voranging mit meinem ersten Buch Kauft keine Frauen aus Bodenhaltung, habe ich vergessen. Hätte Michael mich gefragt, ob er mein Verleger sein dürfe – ich hätte es mir bestimmt gemerkt. Viel wahrscheinlicher ist, daß ich begeistert, selbstverliebt, kritiklos und mit abgeschaltetem Peinlichkeitsempfinden den stillen, freundlichen Mann so lange belabert habe, bis er »ja« sagte. An das »Ja« kann ich mich natürlich wieder erinnern, war es doch ein Grund zum Feiern: Mein Buch würde beim Weissen Stein erscheinen! Beim Verlag von Müller, Egner, Henschel und Wezel! Ich war schon wieder eine gemachte Frau. Toll!
Eugen Egner zeichnete dann den Umschlag und half bei der Findung des Titels – er hat sich inzwischen längst eine lukrative Existenz als Titelberater aufgebaut. Er malt, schreibt und jazzt inzwischen nur noch zum reinen Spaßvergnügen, und wem hat er das zu verdanken? Michael Rudolf. Und natürlich mir, die aus purer Ideenlosigkeit einen ganz neuen Beruf ins Leben rief.
Michael Rudolf war ein guter Verleger – die Bücher sahen anständig aus und wurden, gemessen an den bescheidenen Möglichkeiten eines Greizer Kleinverlags, erstaunlich gut wahrgenommen. Manchmal wunderte ich mich, daß dort im hintersten Winkel überhaupt etwas gelingen konnte. Briefpost an Michael kam schon einmal zurück mit dem Vermerk, der Empfänger sei in Graz, Österreich, unbekannt, und im übrigen sei der Brief unterfrankiert. Es schien, als gehöre Greiz zumindest für die Post nicht recht in unsere Welt. Immerhin hat Michael es aber häufig geschafft, den verwunschenen Ort reisend zu verlassen. Einmal kam er, bierforschend, auch zu einem Besuch in meine Provinz, zu Currywurst und Wittinger Pils im Gasthaus Bangemann in Bargfeld, einer sonderbaren Diät, die dem literarisch Interessierten Pflicht und Notwendigkeit ist. So erfuhr ich auch, daß Michael schon zu DDR-Zeiten Arno-Schmidt-Leser war und heimlich in der Bibliothek Arno Schmidts großformatiges Werk Abend mit Goldrand kopiert und seinem Vater geschenkt hatte. Das selbst gebundene Buch liegt heute im Archiv der Arno Schmidt Stiftung neben anderen Sonderausgaben.
Mein nächstes Werk erschien nicht mehr beim Weissen Stein, denn ein Verleger, der lieber selbst Autor sein wollte, war mir ein bißchen suspekt. Es ist das Schicksal kleiner Verlage, Autoren groß zu machen und dann, wenn sich die Arbeit allmählich rentiert, an größere Häuser zu verlieren. Fanny Müller, Gerhard Henschel, Eugen Egner – sie alle tanzen heute auf den Partys der literarischen Bundesliga, versinken in den weichen Fauteuils der großen Häuser und schnappen erfolgreich nach den buchdicken Brieftaschen der Mittel- und Großverleger. Wegen chronischer Metaphernsucht hechle ich auch nach dem siebten Buch immer noch hinterher, wobei ich eine Spur des Grauens hinterlasse. Haffmans habe ich im Handstreich erledigt, die Edition Tiamat gerade noch rechtzeitig verlassen, damit sie sich erholen konnte, Eichborn schaffe ich gerade, und bei Suhrkamp kriselt es immerhin schon fast so lange, wie meine Bücher dort verlegt werden.
Durch meinen Verlagswechsel konnte ich Michael, der als Verleger so bewundernswert stur seine eigenen Vorlieben pflegte, jedenfalls nicht komplett ruinieren. Diesen schmutzigen Job mußte ich anderen überlassen. Die Liquidation des Verlags mag man mit gutem Grund betrauern, die damit einhergehende Entfaltung des Autors Michael Rudolf konnte man als Leser nur begrüßen.
Bernd Rauschenbach, Susanne Fischer, Michael Rudolf, Greiz, 1994.
DIEDERICHSEN UND TOMAYER
Michael Rudolf
Gerade auf Jahresende beehren den Buchmarkt zwei Musikjournalisten mit ihren gesammelten Kolumnen. Zum einen Diedrich Diederichsen (Freiheit macht arm – Das Leben nach dem Rock ’n’ Roll 1990–1993, Köln 1993), der, nachdem er seine Platt(en)kritiken zu Literatur erklärte, verzweifelt neue Affirmationsmodelle für sein linksradikales Spießertum sucht. Not for regular folks! Daneben gab er jahrelang den Spex-Redakteur (Sie wissen schon: das ubiquitäre WG-Klo-Triumvirat konkret/Titanic/Spex), der Zeitung also, nach deren Lesen man sich prinzipiell blöder vorkommt als zuvor.