Spieltraditionen, Personalstile und Signature-Licks der Rock and Roll-Gitarre. Dennis Schütze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dennis Schütze
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783862870448
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gut dokumentiert und aufgearbeitet (z.B. Hal Leonard 1992, 1999). Johnsons Gitarrenspiel umfasste Besonderheiten wie verschiedene offene Stimmungen, Einsatz des Kapodasters, Slide/Bottleneckspiel, Flagolettes und Fingerstylespiel. Im Folgenden ist eine vergleichweise einfache Begleitung des Bluesstandards „Sweet Home Chicago“ (1937) in Standardstimmung in Noten und Tabulatur dargestellt. Johnson spielt und singt in der im Gitarrenblues weit verbreiteten Tonart E-Dur bei einem Tempo von ca. 94 bpm.

      Nbsp. 8: Sweet Home Chicago (Robert Johnson, 1937)

      Im Gegensatz zu einigen seiner anderen Einspielungen hält Johnson hier die Harmonie- und Taktfolge des einfachen 12-taktigen Bluesschemas mit einem sog. Quickchange auf die IV. Stufe (Takt 2) präzise ein. Die Begleitung ist triolisch rhythmisiert und lässt sich in zwei Ebenen unterteilen. Auf den drei tiefsten Saiten der Gitarre läuft eine formalhafte Begleitung mit dem Grundton in Achtel-Notenwerten und einem Wechsel von Quinte auf große Sexte darüber (B-C#-B-C#). Auf der IV. Stufe (A-Dur) wird der Wechsel um die kleine Septime erweitert (E-F#-G-F#). Die herausragende Besonderheit dieser Passage, die auch in anderen Johnson-Einspielungen auftaucht (z.B.: „I believe I’ll dust my broom“, 1937) erklärt Wald folgendermaßen:

      „It is hard for us now to tell what was so revolutionary about this song at the time it was recorded. The song‘s boogie bassline has now completely passed into the standard guitar repertoire, but at the time it would have been nearly brand new, a guitarist‘s version of something people would only ever have heard on a piano.“ (Wald 2004, S. 136)

      Zusätzlich zu dieser rhythmisierten Begleitformel setzt Johnson auf Zählzeit 1 die sukzessiv gespielte Sexte (G-E) ein und bringt damit auf einer zweiten Ebene ein ganztaktig ausklingendes Klangostinato ins Spiel. In der letzten Zeile (Takt 9-12) gibt Johnson diese Spielweise auf und wechselt nach der V. Stufe (B-Dur) in eine dreitaktige in jeder Strophe wiederkehrende Turnaround-Formel, die über einen chromatischen Abgang über den Septimakkord (E7) in die V. Stufe führt. Besonders diese überlegt gesetzten letzten drei Takte des Beispiels sind neben der vermutlich von Boogie-Piano-Einspielungen übernommenen Begleitformel ein charakteristisches Merkmal von Robert Johnsons Spielstil.

      Fingerstyle: Travis-Picking & Chet Atkins-Picking

      Das Travis-Picking ist eine Weiterentwicklung eines traditionellen, regionalen Gitarrenstils aus dem westlichen Teil des US-Bundesstaates Kentucky. Die Aufgaben der rechten Hand werden dabei zweigeteilt. Während der Daumen auf die vollen Zählzeiten ein geerdetes Fundament mit einem formelhaften Wechsel zwischen Bass und Akkordfragmenten auf den unteren Saiten liefert, spielt der Zeigefinger darüber die einstimmigen und oft synkopierten Melodien. Merle Travis (1917-1983), der zum Namenspatron dieses besonderen Fingerpicking-Stils avancierte, erlernte diese Spielweise in Grundzügen von Mose Rager und Ike Everly (dem Vater der später berühmten Everly Brüder) und erregte ab 1937/38 als Gitarrist von verschiedenen Radioshows unter Gitarristen einiges Aufsehen.

      „His trademark mature style incorporated elements from ragtime, blues, boogie, jazz and Western swing, and was marked by rich chord progressions, harmonics, slides and bends, occasional blows on the soundboard, and rapid changes of keys. He could shift quickly from finger-picking to flatpicking in the midst of a number by gripping his thumb pick like a flat pick. In his hands, the guitar resembled a full band.“ (Wikipedia 2010, Artikel: Merle Travis)

      Als Beispiel im Folgenden eine standardisierte Darstellung der ersten beiden Formteile aus dem Travis-Signature-Song „Cannonball Rag“. Das Stück war jahrelang eine charakteristische Erkennungsmelodie bei Konzerten und Radioshows, liegt in verschiedenen Einspielungen vor (z.B. 1952, 1968, 1978) und wurde in Varianten auch unter Titeln wie z.B. „Cannon Ball Rag“, „Cannonball Stomp“, „Cannonball“ oder „Cannon“ veröffentlicht (Bresh 2004). Einige für Travis besonders charakteristische Spielweisen werden in sämtlichen Einspielungen idealtypisch eingesetzt, so z.B. die Kombination aus Wechselbassspiel im Daumen der rechten Hand und Melodie im Zeigefinger, mit dem Handballen abgedämpfte Basstöne, perkussive Effekte, Einsatz erweiterter vier- und fünfstimmiger Akkorde, Lagenspiel über das gesamte Griffbrett, Einsatz von Chromatik und Dominantketten.

      Nbsp. 9: Cannonball Rag (Merle Travis, 1952)

      Als direkter Nachfolger und einflussreicher Weiterentwickler des Travis Picking gilt der erfolgreiche Country-Gitarrist und Produzent Chet Atkins (1924-2001), der diesen Stil zu neuen virtuosen Höhen führte. Bezüglich der Unterschiede zwischen den Spielstilen von Travis und Atkins sagt der Gitarrist und Travis-Sohn Thom Bresh:

      „The Merle Travis-Style is very, very different than Chet Atkins even though Chet took the Travis-Style another step. […] Chet articulates very clean, hitting one string and mute it. Travis didn’t do that. He would take that thumb […] and he would hit both of these strings and strumm it but mute it. […] He just grabbed something and played it just for the rhythm. So you got that real sort of a tight rhythm.“ (DVD: Bresh 2004)

      Um die charakteristischen Unterschiede der beiden verwandten Spielstile und die obige Aussage von Bresh zu veranschaulichen, werden im Folgenden jeweils ein einfaches Begleitpicking im Stil von Travis und Atkins ohne melodische Anteile einander gegenübergestellt.

      Nbsp. 10: Begleitung im Travis-Stil

      Travis spielt in der Akkordfolge konsequent das Saitenpaar 5 und 6 auf die Zählzeiten 1 und 3 und das Saitenpaar 3 und 4 auf die Zählzeiten 2 und 4. Durch die mechanische Gleichförmigkeit im Daumen der rechten Hand wird sein Anschlag dadurch sehr kraftvoll und perkussiv. Falls sich im Akkordvoicing auf der tiefsten Saite nicht der Grundton befindet, spielt er stattdessen wie im vorliegenden Fall die Quinte des Akkordes. Daher ergeben sich in der Akkordnotierung oftmals sogenannte Slashakkorde mit einem vom Grundton abweichenden, tiefsten Ton. Bei Travis entsteht durch die Verwendung von zwei Registern zwar eine Zweiteilung in der Begleitung, aber kein deutlich hörbarer, konsequenter Wechselbass wie z.B. beim Carter Scratch oder eben dem Spiel von Chet Atkins, das mit dem folgenden Beispiel illustriert werden soll.

      Nbsp. 11: Begleitung im Atkins-Stil

      Bei Atkins entstehen durch die saubere Trennung der Stimmen ein konsequenter Wechselbass und komplimentäre Akkordklänge auf die Zählzeiten 2 und 4. Das erinnert an den rhythmischen Aufbau der virtuosen Stride Piano-Technik der 1920er Jahre. Sein Spiel wirkt im Gegensatz zu Travis vielschichtig und gleichzeitig klanglich aufgeräumt. Dieses filigrane satz- und spieltechnische Prinzip hält er auch bei größer angelegten musikalischen Arrangements weitgehend durch. Beispielhaft für sein umfangreiches musikalisches Werk wird hier seine Einspielung des Popsongs „Mister Sandman“ vorgestellt. Atkins hat den Song, der im Original von einem weiblichen Gesangsquartett (The Chordettes, 1954) stammt, selbst für Gitarre gesetzt und stellte damit bereits am Anfang seiner musikalischen Karriere sein gitarristisches und satztechnisches Können (mehrere Modulationen im kompletten Stück, Spiel bis in höchste Gitarrenlagen, eigens entwickelte Spieltechniken mit vier Fingern der rechten Hand) und die bis dahin noch wenig erforschten klanglichen Möglichkeiten der Gitarre (mehrstimmiges, solistisches Spiel, Vibrato-Hebel) einer breiten Öffentlichkeit vor (DeCurtis 1992, Sokolow 2000, Bresh 2004).

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      Nbsp. 12: Intro & Thema - „Mister Sandman“ (Chet Atkins, 1954)

      Swing: Charlie Christian-Style

      Charlie Christian (1916-1942)