Spieltraditionen, Personalstile und Signature-Licks der Rock and Roll-Gitarre. Dennis Schütze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dennis Schütze
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783862870448
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exponierten. Einige besonders markante Besetzungen seien hier genannt:

      - Elvis Presley (1954-57): Elvis Presley (Gesang, Gitarre), Bill Black (Kontrabass), Scotty Moore (E-Gitarre), ab 1955: D.J. Fontana (Schlagzeug)

      - Carl Perkins (1955): Carl Perkins (Gesang, Gitarre), Jay Perkins (Gitarre), Clayton Perkins (Kontrabass), W.S. „Fluke“ Holland (Schlagzeug)

      - Jerry Lee Lewis (1956/57): Jerry Lee Lewis (Gesang, Piano), Roland Janes (E-Gitarre), J.M. Van Eaton (Schlagzeug)

      - Buddy Holly & The Crickets: Buddy Holly (Gesang, Gitarre), Niki Sullivan (Gitarre), Joe B. Mauldin (Bass), Fred Below (Schlagzeug)

      - Chuck Berry (1955): Chuck Berry (Gesang, Gitarre), Johnny Johnson (Piano), Willie Dixon (Kontrabass), Jasper Thomas (Schlagzeug)

      Auch wenn aus heutiger Sicht im Pop/Rock einige der oben genannten Besetzungen die Norm darstellen, sollte das nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie in den 1950er Jahren in der populären Musik eine Ausnahme darstellten. Das klassische Quartett (Gitarre, Gitarre, Bass, Schlagzeug) wurde erst mit dem internationalen Erfolg der Beatles zur Pop/Rock-Standardbesetzung, das sogenannte Powertrio (Gitarre, Bass, Schlagzeug) erst mit dem Erfolg der Jimi Hendrix Experience im Jahr 1967 (Chapman 2003).

      Die Songauswahl bzw. das Songwriting soll hier als letztes wesentliches stilbildendes Element betrachtet werden. Eine Besonderheit des Rock and Roll ist, dass im Gegensatz zur damals gängigen Praxis der populären Unterhaltungsmusik die Protagonisten ihr Songmaterial aus ungewöhnlichen Quellen bezogen oder komplett selbst verfassten. Während Bill Haley, Elvis Presley oder Jerry Lee Lewis vorzugsweise bereits existierende Rhythm and Blues oder Country and Western-Songs übernahmen und diese in ihrer Interpretation in ein neues Genre überführten, so verfassten Künstler wie Chuck Berry, Carl Perkins, Johnny Cash, Roy Orbison sowohl Text als auch Musik komplett in Eigenregie. Musiker wie Little Richard, Buddy Holly, Gene Vincent oder Eddie Cochran haben immerhin Teile ihres kommerziell erfolgreichen Repertoires selbst verfasst. Die Songauswahl bzw. das Songwriting des Rock and Roll zeichnet sich im Allgemeinen nicht durch besonders innovative Akkordverbindungen oder neuartige melodische Ideen aus. Diese sind deutlich den bereits existierenden Stilistiken Rhythm and Blues, Country and Western und Gospel entlehnt. Was neben der extrovertierten Präsentation aber erfrischend neu wirkt, sind die unprätentiösen, oft lustigen und dabei einfach gehaltenen Texte; ein Umstand, der der unverbildeten, naiven und zum Teil, im positiven Sinne, amateurhaften Herangehensweise der Schreiber geschuldet sein dürfte. Die Texte, die von meist jungen Schreibern direkt an eine jugendliche Zuhörerschaft gerichtet sind, befassen sich mit einigen typischen Themen der amerikanischen Jugend der 1950er Jahre und haben immer wieder Nonsens-artige Anteile, die gerade wegen ihrer offensichtlichen Sinnfreiheit auffallen. Dabei etablieren sie Floskeln bzw. fiktive Charaktere, die im weiteren Verlauf in den popkulturellen Mainstream übernommen und auch in Songtexten nachfolgender Genres aufgegriffen werden. Beispiele populärer Nonsens-Textteile sind z.B. „Awopbobaloobopalopbamboom“ (in „Tutti Frutti“), „Ready Teddy, go, man, go“ (in „Ready Teddy“), „One for the money, two for the show, three to get ready, now go, man, go“ (in „Blue Suede Shoes“), „Roll over Beethoven“ (in „Roll over Beethoven“) oder „Bebopalula“ (in „Bebopalula“). Populäre fiktive Charaktere aus Rock and Roll-Songs sind z.B. Long Tall Sally, Miss Molly, Peggy Sue, Mary Lou, Lollipop, Skinny Jim, Sweet Little Sixteen, Charlie Brown, Spider Murphy oder Skinny Minnie.

      Signature-Lick

      Der englische Begriff „Lick“ bezeichnet eine kurze, melodische Phrase innerhalb eines instrumentalen Abschnitts eines Musikstückes.

      „In popular music genres such as rock music, a lick is ‚a stock pattern or phrase’ (Middleton 1990) consisting of a short phrase, or series of notes that is used in solos and melodic lines. The term is most often used by rock musicians who play the guitar. […]

      A lick is different from the related concept of a riff in that riffs can also include repeated chord progressions. Licks are usually associated with single-note melodic lines rather than chord progressions. However, like riffs, licks can be used as the basis of an entire song. […]“ (Wikipedia 2010, Artikel: lick (music))

      Trotz seiner relativen Kürze kann ein gut eingesetzter Lick die Eingängigkeit und den Charakter eines auf etwa 3 Minuten angelegten Popsongs entscheidend prägen. Wenn ein Lick so typisch ist, dass er von erfahrenen Hörern einem bestimmten Instrumentalisten zugeordnet werden kann, wird er zum sogenannten Signature-Lick, der ähnlich wie bei einer Unterschrift (engl.: signature) eine unverkennbare Zeichnung oder Prägung aufweist. Für improvisierende Instrumentalisten der Stilrichtungen Jazz, Blues, Rock und Pop und im besonderen Maße für Gitarristen ist das systematische Erlernen solcher Licks und Signature-Licks ein Teilbereich der täglichen Überoutine, weil damit kleinste sinnvolle musikalische Bausteine gesammelt werden können (Berliner 1994). Nicht ohne Grund erscheint bei dem amerikanischen Verlag Hal Leonard seit vielen Jahren mit großem Erfolg die Serie „Guitar Signature Licks“ mit dem Untertitel „A Step-by-step Breakdown of the Guitar Styles and Techniques of […]“ (z.B. Rubin 2001). Jeder erfahrene Gitarrist verfügt über eine eigene, sogenannte „Bag of Licks“. Das ist ein Fundus aus selbst entwickelten, direkt von anderen Spielern übernommenen oder weiterentwickelten Varianten angeeigneter Licks. Bei freien, solistischen Passagen ist auch der Einsatz allgemein bekannter, klassischer Licks als bewusstes musikalisches Zitat verbreitet. Einerseits als Referenz gegenüber den eigenen Vorbildern, anderseits aber auch mit dem Hintergedanken den souveränen Umgang mit verschiedenen stil-spezifischen Traditionen in der musikalischen Praxis spielerisch unter Beweis zu stellen. Zur Veranschaulichung werden im folgenden drei Beispiele klassischer Rock and Roll-Licks dargestellt. Das folgende Notenbeispiel zeigt den eintaktigen Begleitlick von Presleys letzter Sun-Single „ Mystery Train“, eingespielt von Scotty Moore in seinem typischen, reduzierten Fingerpicking-Stil.

      Nbsp. 1: Elvis Presley: „Mystery Train“ (1955)

      Das zweite Notenbeispiel zeigt das zweitaktige Intro zu „That’ll be the day“ von Buddy Holly, ein simpler, aber effektiver Bluesabgang, der in den Akkord B7-Dur (V. Stufe) mündet und am Ende des Gitarrensolos ein zweites Mal eingesetzt wird.

Nbsp 2: Buddy Holly: „That’ll be the day“ (1957)

      Das letzte Notenbeispiel zeigt die auch über die Stilistik Rock and Roll hinaus klassisch zu nennende Introduktion zu „Johnny B. Goode“. Der weitere Verlauf des Intros, die Chorus-Fills, das zweimal 12-taktige Gitarrensolo und selbst die einfache Gitarrenbegleitung des Songs machen jedes Detail dieser Aufnahme zu einer denkwürdigen Lehrstunde zum Thema Rock and Roll-Gitarre. Dies belegen zahlreiche Coverversionen prominenter Musikerpersönlichkeiten (u.a. Elvis Presley, Jerry Lee Lewis, Jimi Hendrix, Johnny Winter und Peter Tosh) und andere Verweise innerhalb der Popkultur (Soundtrack von American Graffiti, 1973; Schlüsselszene des Films „Back to the Future“, 1985).

      Nbsp. 3: Chuck Berry: „Johnny B. Goode“ (1958)

      Neben den Begriffen Lick und Signature-Lick ist beim Umgang mit kurzen, musikalischen Motiven im Pop-, Rock-, oder Jazz-Kontext auch der Begriff Riff gebräuchlich. Beim Riff handelt es sich um eine „in Jazz und Rock verbreitete Technik, gekennzeichnet durch ständige (ostinate) Wiederholung einer zwei- oder viertaktigen Melodiefigur. Der Riff bleibt auch bei Harmoniewechsel weitgehend unverändert [und] wird häufig als Background für einen […] Solisten verwendet […]“ (Wicke 1997, S. 433). Der Riff unterscheidet sich vom Lick bzw. Signature-Lick durch seinen repititiven und begleitenden Charakter und seine relative Kürze, die ein Riff einerseits einprägsam, für eine Interpretation charakteristisch und den dynamischen Verlauf entscheidend machen können. Auf der anderen Seite hat ein Riff durch sein Auftreten als Unisono- bzw. Ensemble-Stimme nur selten solistische Funktion und ist durch seine kompakte und aus musikalischer