Spieltraditionen, Personalstile und Signature-Licks der Rock and Roll-Gitarre. Dennis Schütze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dennis Schütze
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783862870448
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von Presley, Nelson und Cochran wusste durchaus diesen Umstand für sich zu nutzen, während die Karrieren von Künstlern wie Perkins, Vincent oder Lewis durch das Desinteresse oder die bewusste Ablehnung der Medien zu einem frühen Ende führten. Auch wenn von einigen Seiten behauptet wird, dass die Mechanismen Populärmusik in besonderem Maße den marktwirtschaftlichen Prinzipien der kommerziellen Vermarktung unterliegen und einige Phänomene diese These zu unterstützen scheinen (Payola-Skandal), werden im Folgenden die werkimmanenten Faktoren einer näheren Betrachtung unterzogen, die Rock and Roll-Songs einen hohen oder auch geringen musikalischen Wiedererkennungswert verleihen. Zentrale Begriffe sind in diesem Zusammenhang Sound, Personalstil und Signature-Lick, die zwar auf unterschiedlichen Ebenen operieren, aber eng miteinander verknüpft sind (Frith 1978, Wicke 1987/93, Brackett 1995).

      Sound

      Der Sound einer Aufnahme wird zu einem großen Anteil durch die Klangästhetik und Arbeitweise des jeweiligen Produzenten bestimmt. Bei den kleinen, unabhängigen Ein-Mann-Plattenfirmen der 1950er Jahren wie Sun, Chess, Atlantic oder Imperial waren die Betreiber zumeist A&R, Aufnahmeingenieure und Vertriebsleiter in einer Person. Dadurch waren sie in der interessanten Lage, die eigenen Vorstellungen auf mehreren Produktionsebenen verwirklichen zu können. Die in diesem Umfeld symptomatisch niedrigen Budgets und die Beschränkung der Möglichkeiten durch kleine Räumlichkeiten und altmodische Gerätschaften führte in Kombination mit der technischen Unbedarftheit von Technikern und Musikern zu oftmals erfrischend unkonventionellen Ergebnissen. Üblich war die simultane Live-Aufnahme der Musik in einem Studioraum mit einem oder mehreren Mikrofonen auf Bandmaschine. Anders als bei den großen Firmenstudios, bei denen die gebuchten Sessions zum großen Teil von erfahrenen Studiomusikern und festangestelltem Aufnahmepersonal mit bewährten Standardroutinen nach einem strengen zeitlichen Plan abliefen, wurde bei den unabhängigen Firmen noch während der zeitlich meist unbegrenzten Aufnahme-Sessions sowohl auf Technikerseite, als auch auf Musikerseite ganz bewusst ausgiebig ausprobiert, verändert und verbessert, um einen einzigartigen eigenen Sound zu kreieren. Dabei entstanden über die Jahre zum Teil sehr innovative Verfahren, die zum Markenzeichen des Produzenten und/oder Studios wurden, von anderen Produzenten kopiert und ihrerseits zu erprobten Routinen wurden. Die Arbeit des Produzenten wurde somit zu einem entscheidenden Faktor bei der Erstellung der Aufnahme und manchen eilte durch ihren persönlichen Werkkatalog unter Eingeweihten schon bald ein exzellenter Ruf voraus (Escott 1991, Wicke 1997, Cunningham 1998, Broven 2009).

      Herausragendes Beispiel für einen Produzenten mit äußerst eigenständiger Herangehensweise ist Sam Phillips von Sun Records im Memphis (Escott 1991). Er gründete sein Studio im Jahr 1950 und die Plattenfirma Sun im Jahr 1952. In den ersten Jahren nahm er vorwiegend lokale Blues und Rhythm and Blues-Musiker zum Teil für das eigene Label zum Teil im Auftrag für andere Firmen auf. Im Jahr 1954 begann seine zwei-jährige Zusammenarbeit mit Elvis Presley, die sich in fünf Single Veröffentlichungen bis Ende 1955 niederschlug. „’The Sun-Sound’ is still an industry catchphrase, connoting a raw, sparse production, long on feel and short on contrivance.“ (Escott 1991, Preface) Der einzigartige Sun-Sound besteht aus mehreren Komponenten. Wichtigster Bestandteil dürfte die enge und persönliche Zusammenarbeit zwischen dem Produzenten und seinen Künstlern gewesen sein. Phillips lässt seinen Künstlern während der Aufnahmen viel künstlerischen Spielraum und wartet geduldig auf den einen, „magischen“ Take. Aus musikalischer Sicht ist auffällig, dass Phillips sich auf kleinste Besetzungen, oft ohne Schlagzeug und fast immer ohne Bläser spezialisiert. Fast alle seiner Künstler sind junge, musikalische Amateure der Arbeiterschicht, die unter seiner Regie mit traditionellen Mitteln einen unverkünstelten und originellen Stil erschaffen. Einen einheitlichen Sound erhalten Phillips Produktionen durch den Einsatz des sog. Slapback-Delays, einem technischen Trick, der den Aufnahmen dieser kleinen Besetzungen eine zum damaligen Zeitpunkt ungewöhnliche klangliche Breite und räumliche Tiefe verleiht. In diesem von Phillips entwickelten Verfahren wird dem originalen Summensignal mit Hilfe einer zweiten Bandmaschine ein kurzes, technisch erzeugtes Echo hinzugemischt, das die Aufnahme auf einfache Weise größer und markanter erklingen lässt. Dieser Bestandteil des typischen Sun-Sounds ist bei allen seinen Produktionen bis Anfang der 1960er Jahre zu hören. Zu seinem Katalog gehören die frühen Werke von z.B. Elvis Presley, Carl Perkins, Jerry Lee Lewis, Johnny Cash, Charlie Rich, Carl Mann, Roy Orbison (Escott 1991, Cunningham 1998, Sinofsky 2003).

      Neben Phillips sind weitere bedeutende Produzenten des Rock and Roll-Ära Leonard und Phil Chess aus Chicago (z.B. für Chuck Berry, Bo Diddley), Dave Bartholomew aus New Orleans (z.B. für Fats Domino), Lee Hazlewood (z.B. für Duane Eddy) und Norman Petty aus Clovis in New Mexico (z.B. für Buddy Holly, Roy Orbison). Sie alle entwickelten in Zusammenarbeit mit ihren Künstlern höchst individuelle Techniken und Vorgehensweisen, die im weiteren Verlauf der Geschichte die Aufgaben des bis dahin nicht existenten Musikproduzenten als Klangdesigner begründen (Escott 1991, Cunningham 1998, Broven 2009).

      Personalstil

      Auf Seiten des Künstlers gibt es, ähnlich wie auf Produzentenseite, übergreifende Erkennungsmerkmale, die im Folgenden unter dem Begriff Personalstil zusammengefasst werden. Ein solcher Personalstil kann sich in einer Vielzahl möglicher Parameter niederschlagen und ergibt in der Summe seiner Teile ein individuelles Abbild der kontinuierlich gepflegten Eigenheiten eines Künstlers, das ihn deutlich erkennbar von anderen seines Fachs unterscheidet. Einige der wichtigsten musikalischen Bestandteile eines Personalstils im Genre Rock and Roll sind der Gesangsstil des Sängers, charakteristische instrumentale bzw. solistische Einlagen, instrumentale Besetzung der Begleitband und Songauswahl bzw. Songwriting.

      Die populäre, amerikanische Unterhaltungsmusik wurde seit etwa den 1930er Jahren von dem sanft-weichen so genannten „Crooning“ im Stil von Bing Cosby, Frank Sinatra, Nat King Cole oder Dean Martin bestimmt. Der hochenergetische Gesangsstil der Sänger des Rock and Roll unterscheidet sich deutlich von dieser traditionellen Gesangsästhetik ihrer Zeitgenossen.

      Die feine und souveräne Coolness des Crooning wird im Rock and Roll ersetzt durch ein emotionales und nervöses Shouting, das zusätzlich mit ungewöhnlichen Artefakten angereichert wird. Für die Unterkategorie des Rockabilly, von dem viele solcher Artefakte in den Mainstream übergehen sollten, schreibt Morrison: „The characteristic vocal, however, is full of passionate emotion (real or stimulated) and eccentricities: raspiness, exaggerated enunciation, added and deleted words and syllables, hiccuping, melisma, feathering and falsetto, interjections, and melodic distortions.“ (Morrison 1998, S.16). Als erster Wegbereiter dieses neuen Stils gilt Johnnie Ray, der in seinen Shows, von der eigenen Emotionalität ergriffen, oft weinend zusammenbrach (Shaw 1978). Sehr treffend wird er oft beschrieben als „the man who made Elvis Presley possible“ (Dellar 1996). In Presleys frühen Aufnahmen für Sun Records manifestieren sich die oben erwähnten Manierismen dann in einer bis dahin nicht gekannten Dichte und beeinflussen nachweislich stark den Gesangsstil von nachfolgenden Rock and Roll-Sängern wie Carl Perkins, Buddy Holly, Gene Vincent oder Eddie Cochran (Morrison 1998).

      Neben der gesanglichen Leistung ist ein charakteristisches Merkmal des Rock and Roll, dass einem Sänger fast ausnahmslos auch ein markanter instrumentaler Gegenpart gegenüber steht. Es gibt die klassischen Gesangs/Solisten-Paarungen wie Presley/Moore, Vincent/Gallup oder Nelson/Burton, auf der anderen Seite aber auch Künstler, die diese Aufgabe in Personalunion leisten wie Chuck Berry, Carl Perkins, Jerry Lee Lewis, Buddy Holly oder Eddie Cochran. In beiden Konstellationen manifestiert sich im vokal-instrumentalen Zusammenspiel im Idealfall ein wiedererkennbarer musikalischer Stil. Gerade bei den Paarungen ist deutlich zu erkennen, dass mit dem Ende einer Zusammenarbeit mit markanten Instrumentalisten für die Sänger meist auch die kreative Phase der Künstlerkarriere zu Ende ging (Hawkins, Mann, Vincent, Nelson) und fortan bestenfalls die kommerzielle Verwertung zurückliegender musikalischer Leistungen in der Vordergrund rückte.

      Die instrumentale Besetzung ist ein weiteres, konstituierendes Merkmal eines Personalstils. Von Vorteil sind hier ungewöhnliche sich vom musikalischen Mainstream deutlich unterscheidende Besetzungen. Solche Unterschiede können sich sowohl in der Stärke der Besetzung als auch in der Art der Instrumentierung in Begleitung oder instrumentalen Passagen niederschlagen. Den in der populären amerikanischen Unterhaltungsmusik bis dahin üblichen großen Besetzungen mit Big Band, Streichern und Chor wurden im Rock and Roll kleine Besetzungen (Trio, Quartett) gegenübergestellt, die