Blank Generation. Richard Hell. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Hell
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783862871582
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Fassade an einem riesigen Warenhaus der Hoffnung auf einen Fick. Sie war klein und kess, hatte eine süße Nasenspitze und unverhältnismäßig große Nasenlöcher, die eine »Nasenkorrektur« verrieten. Sie hatte eine schöne Haut – porenlos, weiß und glatt. Ich war ein bartloses siebzehnjähriges Strichmännchen, alles nur Haut und Knochen, mit zerzaustem Haar, das langsam über die Ohren wuchs, und einer altmodischen runden T. S. Eliot Schildpattbrille, Arbeitshemd, Jeans und hatte wenig Ansehen außer dem der verlorenen Jugend. Ich sah aus wie ein Dichter, hatte tiefliegende Augen und dicke Lippen, und ich rauchte Lucky Strike. Nan war etwa fünf Jahre älter als ich.

      Sie wohnte in einem renovierten Apartment in der Second Avenue nahe Fifth Street, ein einziges Zimmer mit Kerzen und Batikkissen. Ich hing ganz von ihrer angedeuteten Bereitschaft ab, mit mir Gras zu rauchen. Die Beatles-Platte war am Tag zuvor herausgekommen. Sie spielte sie auf einer tragbaren Stereoanlage. Ich wuchs mit den Beatles auf. Sie waren aufregend, als ich in die achte Klasse ging. Damals war es taufrischer, sehr begrenzter, netter Rock’n’Roll. Die neue Scheibe war peinlich. Die Band präsentierte sich augenzwinkernd in einer Music Hall-Aufmachung mit viel dramatischer Orchestrierung, um uns die sozialen Probleme zu erklären. Die als Event inszenierte Veröffentlichung des Albums war als Folge der unglaublichen Popularität der Beatles wie die Verleihung der Academy Awards im Fernsehen, glamourös, aber langweilig. Ich fühlte mich weniger davon enttäuscht als ausgeschlossen.

      Ich zeigte mich Nan zuliebe beeindruckt, wie man es bei einer Fremden tun würde, die einem eine persönliche Anekdote erzählt, besonders wenn sie einen sehr kurzen Rock trägt. Ich sage nicht, dass nicht auch ich langweilig war. Ich war’s. Bedeutete das aber, ich müsste auf Geschlechtsverkehr verzichten? Nein!

      Wir rollten einen Joint, zündeten ein paar Kerzen an und machten das Licht aus. Ich kriegte Nan rum, aber es war harte Arbeit bis ich endlich meinen Schwanz in ihr hatte. Während des Geschlechtsakts verhielt sie sich, als würde sie sich ihm widersetzen. Sie kämpfte nicht, weigerte sich nur mitzumachen. Aber ich war auch nicht gerade ein wilder Lüstling. Ich wagte es immer noch nicht, meine Zunge zwischen die Beine eines Mädchens zu bringen, zumindest nicht mit Geschick (wahr ist allerdings, dass eine junge Frau wie Nan damals wahrscheinlich davon so peinlich berührt gewesen wäre, dass es sie abgetörnt und sie mich weggestoßen hätte).

      In jener Zeit pflegten Mädchen ihre Schamhaare nicht. Das galt als sexy – ein animalisches Zeichen der Individualität in Kontrast zu dem ansonsten sorgfältig gepflegten Aussehen eines Mädchens. Nans Muschi wurde feucht, aber nicht triefend nass. Sie war glitschig wie eine quietschende Gummiente. Natürlich ejakulierte ich innerhalb von Sekunden, nachdem ich meinen Ständer in sie hineingezwängt hatte. Danach hieß es, sich mühsam irgendetwas auszudenken, worüber wir reden konnten, und zu versuchen, entspannt zu erscheinen, während mein Hirn rotierte wie die Räder eines Autos im Schlamm.

      Gegen Ende 1967 hatte ich ein Apartment in der Sixth Street, östlich der Second Avenue. Es war ein dunkles Zimmer, und ich war dort häufig allein. Die Einsamkeit war unangenehm, aber ich kam zu der Überzeugung, sie sei unvermeidlich, nicht nur weil sie nie wegging, sondern weil es eine Unmenge Literatur darüber und über die Entfremdung gab, die damit einherging.

      Zu dieser Zeit arbeitete ich im Stadtzentrum bei Gotham Book Mart. Das war die berühmteste und, was ihren Lagerbestand anging, beste literarische Buchhandlung in New York, wahrscheinlich auf der ganzen Welt, und als Literaturort wohl nur mit Shakespeare & Company in Paris zu vergleichen. Sie hatte ein riesiges Sortiment an vergriffenen Büchern. Seit Jahrzehnten hatte die Geschäftsführung dafür gesorgt, dass unverkaufte obskure und anspruchsvolle Lyrik und Prosawerke aus jedem Jahr aufgehoben und gelagert wurden, ebenso Filmliteratur und alle anderen Druckerzeugnisse der Hochkultur; vieles davon kam aus esoterischen kleinen Verlagen. Das ganze dreistöckige Gebäude in der Forty-Seventh Street war ein Lagerraum. Zwischen den Schildern der Diamantenhändler des Viertels fiel das kleine bemalte gusseiserene Schild der Buchhandlung mit den drei Fischern in einem Ruderboot auf, die Leinen im Wasser, ein Fang bog jede der drei Ruten, darüber die Zeile »Wise men fish here« (»Kluge Menschen fischen hier«). Miss Frances Steloff, die Besitzerin, die den Laden 1920 eröffnet hatte, war fast noch jeden Tag dort.

      Der Laden war chaotisch. Die bis zur Decke reichenden Regale, die an allen Wänden standen, die hüfthohen Regalreihen und Ausstellungstische in den Räumen waren alle selbstgezimmert aus gebrauchtem Holz, das tiefblau gestrichen war. Bücher, Papiere und Broschüren lagen in Stapeln auf jeder verfügbaren Oberfläche. Die Wandregale waren »doppelbepackt« – was bedeutete, dass es noch eine Reihe von Büchern hinter der sichtbaren gab. Mr. Lyman, der gestresste Geschäftsführer, der stets ein weißes Hemd, Krawatte und gebügelte Hosen trug, war ein aufrechter, dünner Mann mit einer schwarzgeränderten Brille auf dem angespannten Gesicht, das sich unter dem ständigen Druck leicht rötete. Er war wie eine Figur aus einem viktorianischen Roman – es schien, als wäre der Laden seine ganze Welt. Oder als wäre er ein Berufssoldat, der seinen ganzen Stolz und seine Würde von seiner Hingabe an den Dienst erhielt wie ein leicht weiblicher und nervöser James Stewart in einem Kavalleriefilm von John Ford. Es war ein ernstes Unternehmen, und alle, die dort arbeiteten, verstanden sich als ergebene Diener der Schriftsteller und der literarischen Öffentlichkeit.

      Ich kam dort zu derselben Zeit hin wie Andy Brown, der von der alten Miss Steloff unter den Bewerbern ausgewählt worden war, die den Laden von ihr kaufen wollten. Eines seiner ersten Vorhaben war ein Bestandsverzeichnis, und ich sollte dabei helfen, Aberhunderte von alten literarischen Zeitschriften zu katalogisieren, viele in kompletten Jahrgängen, die einen großen Raum im zweiten Stock füllten. Ich verbrachte Tag für Tag dort oben allein, hockte vor den Regalen und hielt in meinen Händen so bedeutende Artefakte wie T.S. Eliots illustres Criterion (»es muss gesagt werden«), Harriet Monroes Poetry aus den zehner und zwanziger Jahren, da sie Gedichte aus dem Kreis um Ezra Pound veröffentlichte (Pegasus Chicago), Eugene und Maria Jolas’ Pariser Journal Transition, wo viele frühe Modernisten und Surrealisten erschienen, Prinzessin Caetanis Botteghe Oscure (Druckerei Renaissance), eine hinreißende, elegante Zeitschrift aus Rom, Wyndham Lewis’ britisches Magazin Blast (Lewis mit seinem Haar in Flammen), Margaret Andersons The Little Review, Charles Henry Fords View, wo alle um 1940 in New York lebenden europäischen Dadaisten/Surrealisten wie Breton, Man Ray und Max Ernst veröffentlichten (leidenschaftlicher Narzissmus im bohemienhaften Stil), Ashberys, Kochs, Schuylers und Mathews Locus Solus (Schwärmerei für geistreiches Wortschach), Diane DiPrimas und LeRoi Jones’ The Floating Bear (ein Bär, der nicht ertrinken kann, weil er eine Kritzelei ist) … Die lange Reihe der Pappbehälter schien die verschiedenen Lager all der bejahenden Gefühle des Jahrhunderts zu enthalten. (Mein absolut liebstes Literaturmagazin, auch wenn ich es erst einige Jahre später entdeckte – das großartigste Literaturmagazin des zwanzigsten Jahrhunderts – war ein billiger, schlecht gemachter DIN A4-Matrizenabzug, der zwischen 1963 bis 1966 in der Lower East Side erschien mit dem schlichten Titel C, herausgegeben von Ted Berrigan. Man konnte aus seinen dreizehn Ausgaben alles im Universum Lohnenswerte extrapolieren und sich dabei prima amüsieren.)

      Bei Gotham traf ich einen Typen, der meinem Genesis: Grasp-Mitherausgeber und mir riet, nach Santa Fe in New Mexico zu ziehen, wo das Leben und auch die Druckkosten billiger waren, außerdem sei es dort schön und ruhig. Wir waren neugierig auf die Wüste, und uns beunruhigte auch die Frage, wie wir uns die Druckkosten des Magazins in New York leisten sollten. Also entschieden wir, es zu versuchen. Um Geld zu sparen, überführten wir einen Wagen, den ich betrunken in Illinois zu Schrott fuhr. (Ich rief seinen Besitzer in Texas an, um ihn zu informieren. Er schrie mich nicht an, sondern flüsterte nur mit eisiger Stimme: »Oh no«.) Für die restliche Strecke nahmen wir einen Bus.

      Das Leben in Santa Fe war ein anhaltendes Gefühl, das sich einstellt, wenn du morgens aufwachst und noch nicht wirklich aus dem Bett und den Tag angehen willst, aber nur noch ein wenig dösen kannst – was tatsächlich anstrengender ist als das Wachsein. Du bist nicht mehr in der Lage, wieder ganz in den Schlaf zu fallen, und schiebst den Moment, aus dem Bett zu steigen, allzu lange auf bis zur völligen Dumpfheit, als hätte sich dein Hirn in Kalk verwandelt.

      Die Stadt war ein Provinznest. Schlimmer noch war der Haufen mittelmäßiger Künstler und ihre Heuchelei, das korrupte weltliche Streben zugunsten des