Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740980672
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Bauernschrank und ein ausgedienter Esstisch, auf dem gebügelte Wäsche und zwei Schüsseln mit heißem Wasser standen. Den meisten Platz aber nahm das mit einem Rosenmuster bemalte Ehebett der Mittners ein, indem Sabine sich hin und her wälzte und die Fäuste ballte, um den Schmerz zu unterdrücken.

      Eine junge Frau saß neben Sabine auf dem Bett und trocknete ihre Stirn mit einem sauberen Tuch. Sie trug eine weiße Jeans und ein weißes T-Shirt und hatte ihr langes braunes Haar am Hinterkopf hochgesteckt. Kein Zweifel, sie war die Radfahrerin, die ihn am Morgen beinahe umgefahren hatte. Aber was machte sie hier? War sie eine Verwandte von Sabine?

      »Darf ich nach ihr sehen?«, fragte er höflich und stellte seine Tasche auf den Stuhl neben das Bett.

      »Deshalb habe ich Sie rufen lassen.« Die Frau wandte sich ihm zu.

      Für den Bruchteil einer Sekunde fühlte Sebastian sich wie gebannt von diesem zarten Gesicht und den grünen Augen, die seinen Blick festhielten.

      »Wir haben es mit einer Querlage zu tun«, sagte sie.

      »Und woher wissen Sie das?«

      »Weil es mein Beruf ist, so etwas zu wissen.«

      »Sebastian, das ist Anna Bergmann, unsere Hebamme«, flüsterte Sabine.

      Wenigstens ist sie noch bei Bewusstsein, dachte Sebastian und setzte sich neben sie, als Anna ihm den Platz frei machte.

      »Haben Sie versucht, das Kind zu drehen?«, fragte er sie.

      »Ja, natürlich, leider ohne Erfolg.«

      »Wir sollten es noch einmal versuchen.«

      Anna schüttelte den Kopf und schaute auf Sabine.

      »Seit wann?« Er wusste sofort, was sie meinte, als er Sabine berührte. Ihre Haut glühte, sie hatte hohes Fieber.

      »Seit dem Blasensprung vor einer halben Stunde.«

      »Können Sie mir assistieren?«

      »Ich war OP-Schwester, bevor ich mich zur Hebamme ausbilden ließ.«

      »Was ist los?«, fragte Sabine, und die Angst stand in ihren Augen, als sie ihre Hand auf Sebastians Arm legte.

      »Ich muss einen Kaiserschnitt machen, Sabine. Du bekommst jetzt eine Narkose, und wenn du wieder wach wirst, dann kannst du dein Baby in den Arm nehmen.« Sebastian streichelte über ihre Wange und sah sie voller Zuversicht an. Er durfte sie nicht spüren lassen, dass ihr Leben und das ihres Kindes auf der Kippe standen.

      Sobald während einer Geburt Fieber auftritt und sich eine Infektion ankün­digt, bleibt nicht viel Zeit, um das Kind vor Geburtsschäden oder Schlimmerem zu bewahren. Eine halbe Stunde war schon viel zu lang.

      »Räumen Sie bitte den Tisch ab und machen Sie es ihr ein bisschen bequem«, wies er Anna an. Für Höflichkeiten hatten sie jetzt keine Zeit.

      Anna nickte, machte den Bügeltisch frei, legte eine Steppdecke aus und bedeckte sie mit mehreren Laken, danach versuchte sie den Tisch von der Wand zu ziehen, damit sie um ihren ›OP-Tisch‹ herumlaufen konnten. Sebastian kam ihr zur Hilfe, nachdem er noch einmal die Herztöne des Kindes abgehört hatte.

      »Sie wollen das Kind wirklich hier in diesem Zimmer holen?«, sagte sie leise, dass nur er es verstehen konnte.

      »Was wollen wir tun? Warten, bis die Straßen geräumt sind? Sie mit dem Traktor ins Krankenhaus fahren? Glauben Sie mir, ich bin mir bewusst, in welcher Lage wir uns befinden.« Dass sie sich nicht in einem Operationssaal befanden, in dem sie alle nötigen Vorkehrungen treffen konnten, das allein war schon dramatisch genug, dazu kam, dass er absolut nichts über Sabines Vorgeschichte und den Verlauf der Schwangerschaft wusste. »Irgendwelche Krankheiten, Allergien, irgendetwas, was ich über Sabine wissen sollte? Frau Bergmann, was ist mit Ihnen? Ruhig atmen, nicht abbauen, ich brauche Sie.« Er packte Anna an beiden Handgelenken und sah ihr direkt in die Augen, als sie plötzlich ganz blass wurde und unregelmäßig atmete. »Gut so, und jetzt gehen Sie zu Anton und sagen ihm, dass wir einen Rettungshubschrauber brauchen. Der Sturm hat sich gelegt, sie können sicher wieder starten. Wenn sein Telefon nicht funktioniert, muss er ins Dorf fahren und er muss ihnen schildern, was wir hier veranstalten«, erklärte er ihr, als sie sich wieder beruhigt hatte.

      »Ich bin gleich zurück. Ich sage Anton nur schnell Bescheid, dass niemand hier hereinplatzt«, wandte sich Anna an Sabine, die sie und Sebastian ängstlich beobachtete. Es ist eine Katastrophe, dachte sie, als sie aus dem Zimmer eilte. Sie konnte Sebastian nichts über Sabines aktuellem Zustand sagen. Sabine war doch nur ein einziges Mal bei ihr gewesen.

      »Wo ist dein Mutterpass?«, wollte Sebastian von Sabine wissen. Wenn der Pass ordentlich geführt war, sollte er ihm weiter helfen.

      »Ich weiß es nicht«, antwortete sie schuldbewusst.

      »Dann muss ich mich auf deine Angaben verlassen.«

      »Die Schwangerschaft verlief normal, ich habe keine Vorerkrankungen und keine Allergien«, sagte sie, weil das Wort Allergie während seines Gespräches mit Anna gefallen war.

      »Danke. Schaffst du es, den Arm um meinen Nacken zu legen?«, fragte er sie, und als sie nickte, hob er sie hoch und trug sie zum Tisch.

      »Du hast das schon gemacht?«

      »Bevor ich in Toronto im Krankenhaus gearbeitet habe, war ich einige Jahre in einer Landarztpraxis hoch oben im Norden von Kanada. Dort gab es weit und breit keine Klinik. Wir hatten in der Praxis einen kleinen Operationsraum, alles, was nur irgendwie möglich war, haben wir dort gemacht. Kaiserschnitte waren sozusagen an der Tagesordnung«, beruhigte er sie, während er einen kurzen Blick mit Anna tauschte, die wieder ins Zimmer gekommen war und aus ihrem Rucksack und seiner geöffneten Arzttasche alles zusammensuchte, was sie für den Eingriff gebrauchen konnten.

      Was er Sabine gesagt hatte, stimmte, mit dem Unterschied, dass diese Eingriffe, die er durchgeführt hatte, alle geplante Kaiserschnitte waren, auf die er sich vorbereitet hatte. Das war sein erster Notkaiserschnitt, und auch noch in einer absolut ungeeigneten Umgebung.

      »Ich bin sicher, ich bin bei dir in guten Händen«, sagte Sabine mit schwacher Stimme und versuchte ein Lächeln.

      »Es geht alles gut, das verspreche ich dir.« Er schaute sie noch einmal voller Zuversicht an, bevor er ihr die Narkosespritze setzte.

      »Das Telefon funktioniert wieder, Anton versucht die Rettungsleitstelle zu erreichen. Trotzdem war das eben ein riskantes Versprechen«, flüsterte Anna, als Sabine eingeschlafen war.

      »Ich werde es halten.« Wenn du dich einmal entschieden hast, einen lebensrettenden Eingriff durchzuführen, dann darfst du keine Sekunde an dieser Entscheidung zweifeln, sonst habt ihr beide verloren, dein Patient und du. Das war der erste Satz, den er von seinem Vater nach seinem bestanden Examen gehört hatte. Es war ein guter Ratschlag.

      »Die Herztöne des Kindes werden wieder schwächer.« Anna, die genau wie Sebastian Handschuhe und Mundschutz trug, überwachte den Zustand des Kindes, während er sich auf den Eingriff vorbereitete.

      Sebastian nahm zwar wahr, was sie sagte, aber er konnte nicht darüber nachdenken, es gab ohnehin kein Zurück mehr. So wie er es gelernt hatte, setzte er den Schnitt an, ganz ruhig, ohne das geringste Zittern oder Zögern.

      »Da ist es«, flüsterte Anna er­leichtert, als sie den Kopf des Kindes sah.

      »Gleich hast du es geschafft«, sagte Sebastian und kurz darauf holte er den kleinen Jungen ins Leben.

      Bevor Anna das Kind übernahm, tupfte sie Sebastian den Schweiß von der Stirn, und sie sah die Erleichterung in seinen Augen. Sie sind grau, grau wie heller Granit, dachte sie und nahm das Kind entgegen, das laut aufschrie, nachdem Sebastian die Nabelschnur durchtrennt hatte. Sie legte den Jungen auf ein sauberes Kissen, das auf dem Bett lag, und versorgte ihn, während Sebastian Sabines Operationswunde schloss.

      »Was ist mit dem Kind?«, fragte er, ohne aufzuschauen.

      »Die Herztöne sind im Normbereich, Fieber hat er auch keines.«