»Davon gehe ich aus. Ich finde, sie sollte sich in ihrem Zustand mehr Ruhe gönnen.«
»Auf einem Hof muss eben jeder mitanpacken«, seufzte Traudel, fummelte kurz an der Schleife der weißen Schürze herum, die sie zu ihrem dunklen Dirndl trug, und wandte sich wieder der Pfanne mit den Rühreiern zu.
»Offensichtlich ist das so.«
»Gefällt dir unsere Küche nicht?«, fragte Traudel, als Sebastian sich gedankenverloren umschaute.
»Doch, sie ist wirklich schön geworden«, sagte er schnell, weil er wusste, wie stolz Traudel auf ihr frisch renoviertes Reich war.
Nachdem feststand, dass Sebastian die Praxis übernehmen würde, hatte sein Vater den Umbau beschlossen. Die abgehängte Holzdecke wurde ausgebaut, um den Raum heller und luftiger zu gestalten, die Wände bekamen einen rein weißen Rauputzanstrich, das schwere Büffet aus Eichenholz und der dunkle Küchenblock waren einer hellen Landhausküche mit verglasten Hängeschränken und modernen Küchengeräten gewichen. Nur der rustikale Esstisch und die mit dunklem Leder bezogenen Stühle hatten die Erneuerung überlebt.
»Auch auf dem Land sind die Leute durchaus zu Veränderung bereit«, sagte Traudel.
»Solange du dich nicht veränderst.«
»Geh, Bub«, kicherte sie, als Sebastian sie auf die Wange küsste.
Auf Traudel ließ er nichts kommen. Sie war die Cousine seiner Mutter und kam ins Haus, als seine Mutter kurz nach seiner Geburt starb. Traudel schenkte ihm ihre ganze Liebe und unterstützte seinen Vater, wo sie nur konnte. Traudel hatte dafür gesorgt, dass die Sonne im Haus der Seefelds wieder schien, und dafür auf eine eigene Familie verzichtet.
»Gefrühstückt wird heute auf der Terrasse, dein Vater und unser Madl werden sicher gleich herunterkommen.«
Sebastian wollte gerade nach draußen gehen, als er die leichten schnellen Schritte seiner Tochter auf der Treppe hörte.
»Guten Morgen, Papa!«, rief Emilia gut gelaunt, als sie kurz darauf in die Küche kam.
»Guten Morgen, mein Schatz, hast du gut geschlafen?«
»So ruhig, wie es hier ist, würde ich den ganzen Tag verschlafen, wenn Traudel nicht mit dem Geschirr in der Küche herumklappern würde.«
»Willst du mir etwa sagen, ich sei zu laut?« Traudel musterte das große schlanke Mädchen in der engen Jeans und dem weiten langen T-Shirt mit dem Namen der Fußballmannschaft, für die Emilia in Toronto gespielt hatte.
»So etwas denke ich nicht einmal. Das Geschirrklappern erinnert mich doch nur daran, dass es hier immer etwas Gutes zu essen gibt.« Emilia warf das lange kastanienfarbene Haar zurück, legte den Arm um Traudel und fischte ein Stück gebratenen Schinken aus den Rühreiern, das sie genüsslich in den Mund steckte.
»Nicht mit den Fingern«, ermahnte Traudel das Mädchen, aber es klang nicht wirklich zurechtweisend. Emilia war ihr Augenstern, ihr Sonnenschein, ihr verzieh sie einfach alles.
»Was hältst du davon, wenn wir in den nächsten Tagen etwas Neues zum Anziehen für dich kaufen?«, schlug Sebastian vor, der seine Tochter betrachtete. Seitdem sie in Bergmoosbach angekommen waren, trug Emilia ausschließlich Jeans und T-Shirts mit dem Namen ihrer Fußballmannschaft.
»Gefällt dir nicht, was ich anhabe?«
»Gegenfrage, seit wann lehnst du solch ein Angebot ab?«
»Du wirst mich nicht in ein Dirndl oder so etwas zwängen.«
»Nein. Das habe ich auch gar nicht vor.«
»Verstehe, du meinst, ich sollte mich allmählich von meinem alten Leben verabschieden, von diesem Leben«, entgegnete sie aufmüpfig und zupfte an ihrem T-Shirt.
»Vielleicht findest du einen neuen Fußballverein.«
»In diesem Kaff spielen Mädchen aber nicht Fußball.«
»Das nimmst du an. Du hast dich doch noch gar nicht umgehört. Überhaupt solltest du den Kontakt mit Gleichaltrigen suchen. Oder willst du keine neuen Freunde?«
»Was soll ich mit denen anfangen, die hier wohnen? Mich zu ihnen auf den Traktor setzen und zur Heuernte fahren? Danke, nein«, erklärte Emilia und rümpfte die Nase.
»Ich brauche jetzt einen Kaffee«, sagte Sebastian und ging hinaus in den Garten. Manchmal fragte er sich schon, ob er den richtigen Ton fand, wenn er mit Emilia sprach, oder ob er vielleicht unabsichtlich ihre Gegenwehr herausforderte.
Die Terrasse vor der Küche war mit dunkelgrauen Natursteinen gepflastert und von bunt blühenden Blumenbeeten und duftendem Sommerflieder umgeben. Der Hügel, auf dem das Haus stand, wölbte sich in einer sanften Rundung bis zur Straße hinunter, und der kurzgeschnittene tiefgrüne Rasen verlieh ihm etwas Majestätisches.
Sebastian befestigte das blaue Polster, das von einem der vier Stühle gerutscht war, und setzte sich an den gedeckten Tisch, auf dem bereits eine Kanne Kaffee, eine Karaffe mit Orangensaft und ein Körbchen mit knusprigen Brötchen stand.
»Du machst dir zu viele Gedanken um mich, Papa«, sagte Emilia, die kurz nach ihrem Vater auf die Terrasse kam.
»Du bist meine Tochter, ich werde mir immer Gedanken um dich machen«, entgegnete Sebastian und goss sich eine Tasse Kaffee ein.
»Spaß macht das sicher keinen, sich ständig Sorgen zu machen«, seufzte Emilia, ließ sich in den Stuhl neben ihn fallen und streckte die Beine aus.
»Emilia…«
»…sitz bitte gerade«, vervollständigte das Mädchen den Satz ihres Vaters.
»Braves Kind«, sagte Sebastian lachend, als sie seiner Aufforderung sofort folgte.
»Papa, ich glaube, du musst deine Patienten besser erziehen, sonst sitzen sie irgendwann noch die ganze Nacht in unserem Hof.« Emilia legte ein Brötchen auf ihren Teller und zerteilte es mit einem Messer.
»Wie kommst du jetzt darauf?«, fragte Sebastian.
»Weil dort schon wieder jemand herumsitzt.«
»Entschuldige mich.«
»Wir frühstücken, Papa«, verkündete Emilia mit vorwurfsvollem Blick, als Sebastian aufstand.
»Ich bin gleich zurück«, sagte er. Wer sich so früh auf den Weg zu ihm machte, den musste etwas Ernsthaftes quälen.
Er ging um das Haus herum und lief den weißen Kiesweg entlang, der zu dem hellen Backsteinbau im Hof führte, in dem die Praxis untergebracht war. Ein gepflasterter Weg, breit genug, damit auch ein Krankenwagen ihn passieren konnte, verband den Hof mit der Straße.
Vor dem Eingang der Praxis standen zwei weiße Holzbänke, die von den Patienten im Sommer als Wartezimmer genutzt wurden. Er hatte keine Ahnung, was Emilia gesehen hatte, aber an diesem Morgen waren die Bänke noch leer. Er wollte schon wieder gehen, als er die Frau wahrnahm, die im Schatten der alten Ulme stand, die einen Teil des Hofes mit ihrer Krone überdachte. Er hatte den Eindruck, als wollte sie sich vor ihm verbergen.
»Guten Morgen, Frau Mechler«, sagte er, als er sie erkannte.
»Guten Morgen, Doktor Seefeld«, entgegnete sie leise und machte einen Schritt auf ihn zu. »Ich weiß, es ist noch recht früh, gehen Sie nur zu Ihrer Familie, ich wollte gar keine Aufmerksamkeit erregen.«
»Das ist in Ordnung, Frau Mechler, ich nehme mir ein paar Minuten Zeit, setzen Sie sich.« Sebastian war nicht entgangen, dass sie mit den Tränen kämpfte, so konnte er sie unmöglich allein lassen. »Was haben Sie, Frau Mechler?«, erkundigte er sich, nachdem sie auf der Bank Platz genommen hatte.
»Mit dem Schlafen klappt es nicht mehr, Herr Doktor, jede Nacht liege ich wach und denke an meinen Josef. Er ist doch vor einem halben Jahr von uns gegangen, wissen Sie. Kinder haben wir ja keine und sonst ist da auch niemand, der mir wirklich nahe steht. Manchmal weiß ich gar nicht mehr, was