»Schon so spät«, stellte Susanne fest, nachdem sie auf die Rathausuhr geschaut hatte. »Ich muss noch schnell zur Post«, sagte sie und sah auf die Geburtstagskarte, die sie in der Hand hielt.
»Ich war ohnehin auf dem Weg zum Schreibwarenladen, ich brauche Druckerpapier. Ich nehme sie mit. Lass es gut sein, du hast mir gestern Honig geschenkt, ich schenke dir eine Briefmarke«, sagte Anna, als sie die Geburtstagskarte entgegennahm und Susanne ihr Portemonnaie zückte.
»Danke.«
»Keine Ursache, genieße den Nachmittag.« Anna verabschiedete sich mit einer herzlichen Umarmung von der Freundin.
»Da sind die richtigen zusammen«, raunte Therese Elvira zu, als sie sich beide noch einmal umdrehten, während die anderen Damen ein neues Wanderlied anstimmten.
»Wie ich es dir gesagt habe, die kleine Imkerin ist hinter Leonhard her und jetzt, nachdem er sie offensichtlich eingestellt hat, wie ich gerade gehört habe, hat sie sich bereits den Weg geebnet.«
»Es ist halt immer dasselbe, da kommen sie aus der Stadt hierher und haben nichts Besseres zu tun, als ihre Fühler nach den besten Mannsbildern, die noch zu haben sind, auszustrecken.«
»Dabei dachte ich, Veronika Mittermeyer und Leonhard kommen wieder zusammen. Das Madl ist bildschön, hat eine ausgezeichnete Herkunft, und die zwei kennen sich schon lange.«
»Genau das wird’s sein, sie kennen sich schon zu lange. die junge Dame aus dem Norden ist etwas Neues für ihn, eine Abwechslung, verstehst?«
»So eine Abwechslung kann aber auch schnell zu was Festem werden, dann wird es nichts mit dem Zuzug unserer Veronika nach Bergmoosbach und auch nichts mit ihrer Mitgliedschaft in unserem Verein, dann versiegen auch die großzügigen Spenden, die sie uns recht offen zukommen lässt.«
»Es müsst ja nicht so weit kommen, dass aus der Abwechslung was Festes wird«, erklärte Therese und machte ein nachdenkliches Gesicht.
»Veronika sollte wissen, was vor sich geht.«
»Irgendjemand muss es ihr sagen«, entgegnete Therese und sah Elvira an.
»Freilich muss es ihr jemand sagen«, stimmte Elvira Therese sofort zu, während sie mit ihren klobigen Schuhen über das Kopfsteinpflaster klapperte und im Takt des Wanderliedes klatschte.
Susanne dachte schon nicht mehr an die Landfrauen, als sie kurz darauf den Marktplatz verließ und Emilia zuwinkte, die im Auto ihres Vaters saß, das vor der Apotheke geparkt war.
»Susanne, pass auf!«, rief Emilia, als sie den schwarzen Sportwagen bemerkte, der gerade die Ortseinfahrt passierte und mit überhöhter Geschwindigkeit auf den Zebrastreifen zuraste, an dem Susanne stand.
»Sind Sie lebensmüde oder haben Sie keine Augen im Kopf?!«, tobte die Frau am Steuer des Wagens, die eine Vollbremsung hinlegte, als sie auf Susanne aufmerksam wurde, die vorsichtig um den Lastwagen herumgeschaut hatte, der ihr die Sicht versperrte, durch Emilias Warnung aber sofort zurückgeschreckt war.
»Das war nicht ihre Schuld, Sie sind zu schnell gefahren.« Emilia sprang aus dem Geländewagen und eilte Susanne zur Hilfe, während die Landfrauen und alle anderen, die auf dem Marktplatz unterwegs waren, stehenblieben, um Susanne und die dunkelhaarige Frau in dem eleganten weißen Kostüm zu beobachten.
»Halte dich da raus, Mädchen, was willst du denn schon wissen? Du besitzt doch noch nicht einmal einen Führerschein«, fuhr die Fahrerin des Sportwagens Emilia an, die in Shorts und T-Shirt vor ihr stand, weil sie gerade auf dem Weg zum Sportplatz war.
»Die Polizei könnte die Bremsspuren vermessen.«
»Holla, holla, Madl, es ist doch nichts passiert«, mischte sich Therese Kornhuber ein und kam näher.
»Stimmt das?«, erkundigte sich Emilia und legte den Arm um Susannes Schultern. »Du zitterst«, sagte sie leise.
»Das ist nur der Schreck.«
»Du meine Güte, was ist denn das für ein Aufstand? Diese Frau ist mir vors Auto gelaufen, ich habe schnell reagiert und so Schlimmeres verhindert. Nun ist die Vorstellung beendet«, erklärte die Fahrerin des Sportwagens.
»Ihre Schilderung des Vorfalls stimmt nicht«, widersprach Emilia selbstbewusst.
»Grüß Gott, Doktor Seefeld«, säuselte Elvira Draxler, die mit den anderen Landfrauen im Halbkreis vor dem Zebrastreifen stand.
Schnell traten alle einen Schritt zurück und ließen Sebastian vorbei, der den Vorfall aus der Apotheke heraus beobachtet hatte.
»Mei, er kommt ganz nach seinem Vater«, sagte eine kleine zierliche Frau, die ihren Strohhut in den Nacken schob, um Sebastian besser ansehen zu können.
»Aber leider ist er ein bissel zu jung für uns«, seufzte eine dralle ältere Dame, die dem jungen Arzt verträumt nachschaute.
»Es ist ihr nichts passiert, Papa«, sagte Emilia, als Sebastian zu ihr und Susanne kam.
»Können wir Sie ein Stück mitnehmen?« Sebastian hatte sofort gesehen, dass Susannes größtes Problem im Moment die vielen Menschen waren, die sie anstarrten.
»Ich wollte zur Brauerei«, sagte sie leise.
»Die Brauerei liegt auf unserem Weg, kommen Sie mit uns«, bat er sie, berührte sie behutsam am Rücken und geleitete sie an den Neugierigen vorbei, die sich hinter den Landfrauen versammelt hatten. »Kennen Sie diese Frau?«, fragte er, als er sich noch einmal umdrehte, weil er das Gefühl hatte, dass er die Fahrerin des Sportwagens schon einmal gesehen hatte.
»Ich habe keine Ahnung, wer sie ist.«
»Da sind Anna und Markus!«, rief Emilia, als sie die beiden vor dem Bäckerladen stehen sah. »Ich bin gleich wieder da.«
»Hallo, Emilia, weißt du, was hier los ist?«, fragte Anna, als das Mädchen auf sie zu rannte.
»Susanne hätte beinahe einen Unfall gehabt.«
»Wo ist sie?«, fragte Anna erschrocken.
»Papa kümmert sich um sie, es geht ihr gut.«
»Ich sehe trotzdem mal nach ihr«, sagte Anna, als sie die beiden vor der Apotheke entdeckte.
»Hallo, Möpschen.« Emilia küsste den kleinen Bruder ihres Freundes auf beide Wangen, was dem Kleinen ein fröhliches Glucksen entlockte.
»Hast du heute Nachmittag Zeit?«, fragte Markus.
»Schon«, antwortete Emilia lächelnd.
»Wir könnten ins Kino gehen.«
»Gute Idee, holst du mich ab?«
»Um fünf?«
»Alles klar, bis dann«, sagte Emilia und eilte wieder davon. »Hat Papa dir gesagt, dass wir zum Sportplatz fahren?«, wandte sie sich an Anna, die mit Susanne und Sebastian vor der Apotheke stand.
»Ja, das hat er mir gesagt.«
»Warum kommst du nicht mit? Du könntest meiner Mannschaft beim Training zuschauen, schließlich hast du dich im Sportverein dafür eingesetzt, dass sie eine Mädchenfußballmannschaft aufstellen.«
»Ich finde, das ist ein guter Vorschlag oder hast du schon etwas vor?«, fragte Sebastian.
»Ja, bitte, Anna, komm mit«, bat Emilia erneut.
»Wie könnte ich nein sagen, wenn mich gleich zwei Seefelds so nett bitten. Ja, ich komme mit«, erklärte sich Anna einverstanden.
»Bitte einsteigen, sonst komme ich zu spät.« Emilia hielt Anna die Beifahrertür auf und setzte sich danach mit Susanne auf die Rückbank.
Zwei Minuten später stieg Susanne vor der Brauerei wieder aus, und sie wünschten ihr einen schönen Tag mit Leonhard.
»Ihr habt gesagt, dass diese Frau in einem schwarzen Sportwagen mit Münchner Kennzeichen