Aber der Gedanke, dass da jemand japanische Schecks zu Geld machte, war so hanebüchen, dass ich dachte, den muss ich mir mal persönlich anschauen. Und er erwies sich als ein sehr netter kleiner Mann. Die Geschichte war die, dass er einen guten Kunden hatte, einen britischen Offizier, der vor dem Krieg ein wenig Geld bei einer japanischen Bank angelegt hatte und nun nicht einsah, warum er nicht in den Genuss desselbigen kommen sollte. Ley Wong sah das ebenso – insbesondere, weil sein Kunde bereit war, ihm fünfzig Prozent des Gegenwerts zu überlassen. Und außerdem, sagte mir Ley Wong, habe er es als interessante Herausforderung gesehen.«
»Und er hat es geschafft, dass die Schecks eingelöst wurden?«
»Ja! Seiner orientalischen Seele sei’s gedankt. Er ließ sie einfach über neutrales Gebiet laufen. Das war natürlich nicht so leicht, wie es klingt. Aber Ley Wong brachte es zustande, eine Art Rohrleitungssystem zu etablieren, über das er die Schecks nach Japan schickte, und das Bargeld erreichte ihn dann auf umgekehrtem Weg. Er musste den Mittelsmännern ein kleines Vermögen dafür bezahlen und verlor große Summen durch die Umtauschkurse en route, aber am Ende blieben ihm doch noch zwanzig Prozent aus dem Geschäft, und alle Beteiligten waren sehr zufrieden. Und ich, wo ich so darüber nachdachte, wollte auch nichts dagegen sagen. Wenn die Japaner schließlich dumm genug waren, Schecks auszubezahlen, die ein Engländer eingereicht hatte, wer stand denn dann am dümmsten da?«
»Es sei denn«, wandte Muscateer entschuldigend ein, »auf den Schecks waren kodierte Nachrichten oder so was?«
»So etwas stand außer Frage«, sagte Glastonbury, »weil der Offizier, der sie ausgeschrieben hatte, bei den Grenadieren war. Somit war offenkundig, dass alles seine Richtigkeit hatte, sagte mir Ley Wong, und ich habe ihm natürlich zugestimmt.«
Detterling seufzte ganz leise.
»Was hast du also unternommen?«
»Na ja, der Grenadier war zu dem Zeitpunkt schon woandershin verlegt worden, und wie ich es sah, war niemand zu Schaden gekommen, und es schien wirklich ein sehr nettes Restaurant zu sein, also sagte ich zu Ley Wong: Vergessen wir’s. Der Informant würde, wie Ley Wong mir sagte, keinen weiteren Ärger machen, weil er selbst bei der Polizei wegen irgendeiner Sache so schlecht angeschrieben war, dass er es nicht wagen würde, sich dort zu zeigen. Das war auch der Grund, warum er stattdessen bei mir aufgetaucht war.
»Aber er hatte das doch auch dem Doktor und dem Kaplan aus dem Amt gesagt«, meinte Detterling. »Wie hast du die denn zum Schweigen gebracht?«
»Die habe ich ganz feudal bei Ley Wong zum Essen eingeladen und habe ihnen erklärt, die ganze Geschichte wäre erfunden gewesen. Schien mir einfacher, als jede Einzelheit aufzurollen.«
»Und damit haben sie sich zufriedengegeben?«
»Ich gehe davon aus. Wie es manchmal so kommt, habe ich sie beide nie wiedergesehen. Sie hatten am nächsten Morgen einen schlimmen Kater und mussten im Bett bleiben, und in der Zwischenzeit hatte ein Cousin von mir mitbekommen, dass ich in Indien war und wo ich mich aufhielt, und kabelte mir, dass ich juldi, juldi nach Delhi kommen solle, um in seinem Stab einen Posten zu übernehmen. Also bin ich juldi, juldi nach Delhi gefahren. Aber immer wenn ich in der Zwischenzeit einmal zufällig hier war, hat sich Ley Wong mir gegenüber äußerst dankbar gezeigt.«
»Die Mädchen, zum rabattierten Preis?«
»Nicht nur das. Er hat mir auch mal eine Elfenbeinschatulle geschenkt, mit einer Sammlung von Goldmünzen drin, vom Mogul Dschahangir geprägt.«
»Ganz schön … wertvoll.«
»Das kann man wohl sagen«, bemerkte Glastonbury mit größter Gleichgültigkeit. »Ein sehr berührendes Geschenk, fand ich. Offenbar hatte sich Ley Wong irgendwie in den Kopf gesetzt, dass das Sammeln von Münzen ein Hobby von mir sei. Tatsächlich habe ich ganz und gar keinen Bezug zu so etwas, aber ich wollte die Gefühle des armen Kerls nicht verletzen.«
»Was hast du also mit den Münzen gemacht?«, fragte Detterling beiläufig.
»Die liegen irgendwo in meinem Bungalow drüben in Delhi herum … Und da ist ja Ley Wong. Grinst übers ganze Gesicht!«
Peter allerdings kam es, als Ley Wong sie mit einer Verbeugung durch die Eingangstür und in ein Privatgemach einließ, so vor, als wäre das Grinsen des kleinen Chinesen ihnen nicht gänzlich wohlgesonnen. Es war zu unbewegt. Vielleicht, dachte Peter, war Ley Wong es langsam leid, den Glastonbury-Sahib mit rabattierten Mädchen und mongolischem Gold bei Laune zu halten. Doch wenn es so war, ließ er sein Missfallen nicht noch mal erkennen. Lange Reihen von Kellnern kamen und gingen, von Ley Wong persönlich beaufsichtigt, und brachten einen Gang mit traditionellen chinesischen Köstlichkeiten nach dem anderen und Flasche um Flasche eines seltenen Weißburgunders. Immer schneller folgte die Darbietung immer neuer Gerichte, und Ley Wong verbeugte sich jedes Mal noch tiefer; alldieweil Alister noch großmäuliger wurde, Muscateer noch liebenswürdiger, Detterling lakonischer und Glastonbury noch vertrauensseliger. Peter schien es, als würden alle verborgenen Geheimnisse von Delhi vor ihnen ausgebreitet und vereinten sich zu einem wahrhaft byzantinischen Spektakel, bestehend aus Leichtfertigkeit, Verrat und Verfall.
»Wissen Sie, was passiert ist?«, sagte Giles Glastonbury. »Die haben alle ihr Selbstbewusstsein verloren. Angefangen bei seiner Exzellenz, bis ganz nach unten. Man hat ihnen so lange und so oft erzählt, dass sie kein Recht hätten, hier zu sein, dass sie angefangen haben, das zu glauben. Was heißt, dass sie aufgehört haben, an sich und ihre Aufgabe zu glauben. Wenn das passiert, geht alles den Bach runter – nein, nicht einfach bloß den Bach runter, sondern alles löst sich auf.«
»Sie wirken aber nicht aufgelöst, Sir.«
»Bei mir ist das was anderes. Wissen Sie, ich habe all dem nie besonders stark angehangen. Ich habe es einfach bloß genommen, wie es kam, Tag für Tag, weil ich auch immer nur zufällig hier gelandet bin. Ich bin bloß jemand, der auf der Durchreise ist, Morrison. Aber für die alten Hasen hier unten … die Männer, die den Kern des Ganzen bilden … die haben wirklich ihr Herzblut hier reingesteckt, haben auf ihre Art selbst die Inder geliebt und ihr Äußerstes gegeben, um ihre Sache gut zu machen. Natürlich gab’s auch viel, was sie nicht gut gemacht haben, sie haben an allem rumgenörgelt und waren selbstzufrieden und wollten nicht verstehen, dass für die meisten Inder alte Gebräuche mehr zählen als Reinlichkeit – all so was; aber gleichzeitig haben sie wirklich versucht, Gerechtigkeit hier reinzubringen und tragfähige Strukturen zu schaffen, Menschen vor dem Verhungern zu bewahren oder davor, ihre erst acht Jahre alten Körper zu verkaufen, den Wohlstand und das Wissen zu vermehren. Bis zu einem bestimmten Punkt ist ihnen das gelungen, und bis zu einem bestimmten Punkt wurde ihnen das auch gedankt, und daher dachten sie, sie könnten für immer hierbleiben. Sie haben dieses Land zu ihrem gemacht und sind sogar geblieben, wenn sie in Ruhestand gegangen sind, manche jedenfalls, weil hier ihr Leben war.
Doch was ist jetzt passiert? Man erklärt ihnen, dass man sie hier nicht will und auch nie gewollt hat. Die Regierung in England schämt sich ihrer, die Amerikaner machen sich über sie lustig, die gebildeten Inder verlangen lauthals nach ihren Posten, und selbst die Kühe auf den Straßen scheinen sie bis aufs Blut zu hassen. Und selbstverständlich trifft sie das sehr. Sie sind verletzt … und sie haben nichts mehr. So geht es den Soldaten wie auch den Zivilbeamten – es ist überall dasselbe.«
»Und jetzt hat sich ihre Stimmung ins Böse verkehrt, wollen Sie das sagen?«
»Nicht ganz. Wenn Dinge sich auflösen«, sagte Glastonbury, »haben Sie das Gefühl, dass nun sowieso alles egal ist … dass Sie sich einfach gehenlassen können. All die Dinge, die Sie so lange schon mal tun wollten, für Ihren guten Leumund aber immer unterlassen haben – nun, jetzt machen Sie die einfach, soll Sie doch der Teufel holen! Mädels, Jungs, Sauferei, Haschisch, dem Chef oben sagen, dass er sich doch in den Nabel pissen soll – das können Sie alles machen, wenn die Barbaren an die Tore hämmern und die Welt in Flammen aufgeht. Was