Am nächsten Tag begann die eigentliche Ausbildung. Von 6.15 bis 7.45 Uhr wurden sie in der Handhabung ihrer neuen Stöcke gedrillt. Nach dem Frühstück hatten sie Urdu, das ihnen in Vierergruppen von würdevollen, weiß gewandeten Munshis beigebracht wurde, die sie mit »Sahib« anredeten und erwarteten, dass man auch ihnen diese Höflichkeit erwies. Peter Morrison war froh, dass sie Urdu lernten, weil er glaubte, dass damit seine Chancen wuchsen, in die Indische Armee aufgenommen zu werden – denn warum, sagte er zu Barry, sollten die Behörden sie Urdu lernen lassen, wenn nicht einige von ihnen es am Ende auch brauchen würden? Barry, der jedermann gerne glücklich sah, stimmte Peter zu; aber Alister, der sehr schnell einen Riecher dafür entwickelt hatte, wie die Dinge in Indien gehandhabt wurden, sagte, dass Urdu-Unterricht einfach ein alter Brauch war, den die Verwaltung entweder aus Lethargie oder aus Sentimentalität noch nicht abgeschafft hatte.
Später am Morgen wurden ihnen die Kompanieoffiziere vorgestellt. Kp C sollte von einem Mann namens Major Baxter befehligt werden, einem fröhlichen und lauten kleinen Mann aus einem indischen Regiment, das so wenig Renommee besaß, dass es schon wieder dafür berühmt war. Major Baxter hatte einen Kopf so groß wie ein Elch und trug Shorts, die ihm fast einen Fuß weit über die Knie hinabhingen, was aber vielleicht nicht schlecht war, weil seine Beine aussahen wie die von Spinnen, nur mit Strümpfen und Schuhen bekleidet. Was die Zugführer anging, so gab es einen (gutaussehend und mürrisch), der Hauptmann Betteredge hieß, für Zug Nummer 1, und einen anderen namens Hauptmann Lafone, dessen Stimme noch gewöhnlicher klang als die von Major Baxter, für Zug Nummer 3, und noch einen anderen für Nummer 4; aber aus irgendeinem Grund gab es für Zug 2 noch keinen Zugführer, was ihnen das Gefühl gab, übergangen worden zu sein. Major Baxter sagte jedoch, dass in Kürze ein Offizier eintreffen würde und dass Peter Morrison, der aufgrund seines großen und verlässlichen Gesichts bereits zum J. U. O. ernannt worden war, bis dahin für ihr Wohl und ihr Benehmen Verantwortung trage.
Der KpFw für Kp C war eine Enttäuschung. Sie hatten alle gehofft, sie würden den mütterlichen Stabsfeldwebel bekommen, der bisher alles und jeden im Alleingang im Griff gehabt hatte, doch stellte sich nun heraus, dass er der Kompaniefeldwebel von Kp A sein würde, während Kp C ein Mann namens Stabsfeldwebel Cruxtable zugeteilt war. Dieser, aus dem Wiltshire Regiment stammend, hatte viel zu früh schon Fett angesetzt und besaß den scheelen Blick eines Straßenköters, der befürchtet, irgendwer könnte ihn mit einem Tritt aus dem Weg befördern, bevor er seinen Haufen fertig gemacht hat. Obwohl Muscateer, wie üblich seinen »Mannen« und seiner Heimaterde treu verbunden, vorgab, Cruxtable in Ordnung zu finden (»einer von denen, die schon eine Weile hier sind«), mochte ihn keiner, und alle misstrauten ihm vom ersten Augenblick an. In Wahrheit jedoch, das fanden sie später heraus, hätte ihnen Schlimmeres widerfahren können; denn Cruxtable war schlicht und einfach ein räudiger Hund, und wie die meisten räudigen Hunde ließ er andere gern in Ruhe, in der Hoffnung, dass man ihn dann ähnlich behandelte.
Nachdem ihnen ihre Vorgesetzten vorgestellt worden waren, hielt Major Baxter den Offiziersanwärtern einen Vortrag darüber, welches Betragen und welche Geisteshaltung von ihnen erwartet wurde. Im Allgemeinen handelte es sich um negative Vorgaben: Die Fahnenjunker sollten sich nicht betrinken, kein Geld bei einheimischen Geldverleihern leihen und keine einheimischen Frauen frequentieren (eine Kategorie, unter die aus diversen Gründen auch Eurasierinnen fielen); sie hatten sich nicht für indische Politik zu interessieren und sollten nicht barfuß umherlaufen (um sich keine Hakenwürmer zu holen), und unter überhaupt gar keinen Umständen durften sie sich über irgendetwas beschweren, das mit der OS zu tun hatte. Sofern sie sich an diese einfachen und sinnvollen Bedingungen hielten, sagte Major Baxter, würden sie alle eine angenehme sechsmonatige Ausbildungszeit hier verbringen und am Ende obendrein noch den Offiziersbrief bekommen. Scheitern war ein in Bangalore gänzlich unbekannter Gedanke (nachdem es für die Regierung kostspielig genug war, die Leute dorthin zu schicken), es sei denn im Fall von Geistesgestörtheit, Tod oder dem dreimaligen Einfangen einer Geschlechtskrankheit, was der Grund dafür war, warum sie nicht mit Einheimischen ins Bett gehen sollten. Wenn sie irgendein persönliches Problem hätten, könnten sie damit jederzeit zu ihm kommen, doch, offen gesprochen, die Herren, werde von angehenden Offizieren erwartet, dass sie ihre Probleme für sich behalten können und nicht um Mitgefühl bettelnd herumlaufen müssen wie ein Haufen unkultivierter Rekruten. Und jetzt allen einen guten Morgen und ein sehr schönes Wochenende … oh, und eins noch. Obwohl in der OS nicht offiziell eine Kirchenparade vorgeschrieben sei, so werde es doch für wünschenswert erachtet, dass an den Sonntagen gut dreißig Prozent der Anwärter die in der Garnisonskirche stattfindende Morgenandacht besuchten. Stabsfeldwebel Cruxtable werde daher jeweils einen von drei Männern auslosen, ungeachtet der individuellen Glaubensrichtung, zumal zukünftige Offiziere ohnehin lernen müssten, persönliche Glaubensfragen gegenüber öffentlichen Pflichten hintanzustellen. Die einzigen Anwärter, die befreit waren, sollte das Los auf sie fallen, seien diejenigen, die zur Auswahl der Spieler beim Cricketturnier der OS gehörten, welches am Sonntag um elf Uhr beginne. Aus diesem Anlass werde Seine Hoheit der Maharadscha von Dharaparam ihnen die Ehre seiner Anwesenheit erweisen. Sollte sich Seine Hoheit einem Fahnenjunker in vertraulicher Weise nähern, so sei dieser hiermit gewarnt, sich in Acht zu nehmen, doch solle man dabei höflich bleiben.
Ausgehend von ihrer schulischen Vorgeschichte waren aus den Neuzugängen einige Fahnenjunker ausgewählt worden, am folgenden Sonntag am Cricketturnier der OS teilzunehmen. Zwei davon waren Peter und Alister. Peter, der einmal in einem erfolgreichen Jahr nur knapp daran gescheitert war, in die Schulelf aufgenommen zu werden, warf langsame Off-Breaks, deren immer exakt gleiche Geschwindigkeit und Flugbahn selbst die aufmerksamsten Gegner derartig einlullte, dass sie in kürzester Zeit zur Abschätzigkeit neigten und fatale Fehler machten. Alister dagegen war als Schlagmann ein Selbstdarsteller, der seine rechte Hand zu wenig unter Kontrolle hielt, aber dennoch für Winchester gespielt hatte.
Die Veranstaltung war nichts Besonderes, verlief aber auf annehmliche Weise, denn das Cricketfeld der OS war ansprechend gelegen und verfügte über eine der wenigen Gras-Pitches in ganz Indien. »Napier« (Peters und Alisters Mannschaft) war zuerst auf dem Feld und entließ »Curzon« (die gegnerische Mannschaft, aus der drei an Peters langweiligen Off-Breaks gescheitert waren) mit 194 Runs. Als »Napier« nach der Teepause am Schlag war, sammelte die Mannschaft schnell 97 für 2 (mithilfe aggressiver 34 Runs, die Alister am ersten Wicket holte) und verlegte sich danach darauf, langsam und ohne viel Risiko auf einen sehr wahrscheinlichen Sieg hinzuarbeiten. Als es 150 für 3 stand, schlug Peter, der erst als Nummer 10 an die Schlaglinie sollte und nicht davon ausging, dass es so weit kommen würde, Alister vor, eine Runde ums Spielfeld zu drehen, und sei es nur, damit dieser dem satten Gegluckse entkam, mit dem Seine Hoheit der Maharadscha von Dharaparam Alister von der Loge im Pavillon aus seine Gunst bezeigte.
In der entgegengesetzten Richtung drehten zwei Männer mit Panamahüten und leichten Anzügen ihre Runde ums Spielfeld. Obwohl einer von ihnen groß und schlaff und der andere dünn und drahtig aussah, gingen sie in makellosem Gleichschritt und stellten somit ein Musterbeispiel für entspanntes und elegantes Vorankommen dar.
»Das ist Oberstleutnant Glastonbury«, sagte Alister. »Der Kerl, der bei uns in Kalyan war.«
»Und der Kleinere heißt Hauptmann Detterling«, sagte Peter. »Dem bin ich ein- oder zweimal in England begegnet – in meiner Schule. Er ist der Einzige, der jemals ein Double Century in einem Spiel für die Schulmannschaft geholt hat. Natürlich vor meiner Zeit.«
Als Glastonbury und Detterling sich den beiden Fahnenjunkern näherten, zogen sie, mühelos miteinander in Einklang, gleichzeitig ihre Hüte. Auf dem von Detterling prangte das Hutband der Butterflies, wie Peter bemerkte, und auf Glastonburys das der Eton Ramblers. Nachdem Alister Detterling vorgestellt worden war und man sich in allen nötigen Kombinationen die Hände geschüttelt hatte, setzten die beiden Offiziere ihre Hüte wieder auf und machten kehrt, als wollten sie die Jüngeren nun begleiten.
»Wir gehen natürlich«, sagte Peter höflich, »mit in Ihre Richtung.«
»Nein«, sagte Detterling. »Sie beide sind Spieler – wir sind bloß Zuschauer.«
»Also schließen wir uns Ihnen