Seiner Gewohnheit entsprechend zog er alle Register, die ihm als Kaiser zur Verfügung standen: für den Herzog von Sachsen Privilegien, für den Erzbischof von Mainz Unterstützung gegen einen Konkurrenten um sein Amt, jeweils 40 000 Gulden für die Erzbischöfe von Köln und Trier und als größten Batzen 50 000 Gulden für die Schatulle des Pfalzgrafen. Um diesen Preis erreichte Karl, dass die sieben Fürsten Wenzel am 10. Juni 1376 nicht nur mehrheitlich, sondern einstimmig wählten. Der Akt sollte über jeden Hauch von Zweifel oder Zwietracht erhaben sein, den der Papst gewiss zum Anlass genommen hätte, die Wahl anzufechten. Allerdings wurde der Heilige Vater getreu den Vorgaben der Bulle gar nicht erst konsultiert, und das Schreiben, das ihn über die Wahl unterrichtete, titulierte Wenzel bereits als designierten römisch-deutschen König. Die im Rekordtempo nur knapp einen Monat später in Aachen erfolgte Krönung ließ dem Heiligen Stuhl ohnehin kaum Zeit zu reagieren. Karl gelang es also, seine Pläne durchzusetzen, ohne auf ernsthaften Widerstand seitens des Papstes oder der Kurfürsten zu stoßen. Doch dieses Kabinettstück hatte einen Nachteil: Der Kaiser war gezwungen, seinen Nachlass zu regeln.45 Wenzel als Ältestem und nun bereits römisch-deutschem König fiel mit Böhmen und den Ländern der böhmischen Krone – Mähren, der Lausitz, Schlesien und der Oberpfalz – der Löwenanteil zu. Der Zweitgeborene Sigismund sollte Brandenburg erhalten und Johann als Jüngster das Herzogtum Görlitz. Zwei Dimensionen dieser Regelung haben die Chronisten und Historiker zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt: Sofern Wenzel kinderlos starb, was tatsächlich eintrat, sollte Sigismund alles erben. Für den zeichnete sich durch die Heirat mit Maria von Anjou die Aussicht auf die Königreiche Polen und Ungarn ab. Er würde also, wenn ihm Böhmen und das Heilige Römische Reich zufielen, mehr Kronen auf seinem Haupt vereinigen als sein Vater. Und genauso kam es ja auch. Ein weiterer Nachteil der Krönung von 1376 ist allseits bekannt: Nach der Auslösung seines in Gefangenschaft geratenen Halbbruders Wenzel von Luxemburg 1372 und dem Erwerb der Mark Brandenburg 1373 herrschte in Karls Staatskassen gähnende Leere. Die deutschen Historiker des 19. Jahrhunderts verziehen ihm die großen Geldzahlungen an die Kurfürsten nicht. Sie warfen ihm vor, er habe deutsche Ländereien und Städte allein zum Nutzen der Tschechen verscherbelt. Demgegenüber sahen tschechische Historiker und sehen sogar einige heutige Fachleute in der Aushöhlung des Kronschatzes eine der Ursachen für die Strukturkrisen, die Böhmen im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts erschütterten und im darauffolgenden Jahrhundert in die Hussitenkriege mündeten. Nichts deutet jedoch darauf hin, dass die Königswahl Wenzels nach dem Tod seines Vaters zwei Jahre später weniger Geld verschlungen hätte. Ja, es ist davon auszugehen, dass der Preis nach dem Ableben des geachteten, grandiosen Kaisers sogar noch gestiegen wäre. Die Wittelsbacher und die Habsburger handelten nicht anders. Die Ausweitung der Hausmacht stand den Interessen des Kaiserreichs nicht entgegen; dem Wortlaut der Goldenen Bulle nach war erst diese Hausmacht ein Garant für die Stärke des Reiches.
Dauerbrenner Italien
Apropos Goldene Bulle … Der Papst kommt, wie schon erwähnt, in der Urkunde von 1356 nicht vor. Dasselbe gilt jedoch auch für das Königreich Arelat (Burgund) und für Italien, denn grundsätzlich war der gewählte römisch-deutsche König de facto dreifacher König von Germanien, Burgund und Reichsitalien. Nachdem es Karl gelungen war, sich 1355 zum Kaiser krönen zu lassen und 1356 die Goldene Bulle zu proklamieren, ohne sich den Zorn des Heiligen Vaters oder gar einen Kirchenbann zuzuziehen, hütete er sich, erneut den Fuß auf italienischen Boden zu setzen. Dort ging das allgemeine Hauen und Stechen weiter: Mailand gegen Florenz, Genua gegen Venedig, Guelfen gegen Ghibellinen, Städte gegen Signorie und die neapolitanischen Anjou von Süditalien aus gegen alle. In der Mitte der Halbinsel hatte Kardinal Gil de Albornoz gerade die Rückeroberung und Neuordnung des Kirchenstaates abgeschlossen.46 Mailand, das im Zuge seiner Expansion innerhalb von zwei Jahrzehnten Bergamo, Cremona, Pisa, Parma, Pistoia, Genua und Bologna an sich gezogen hatte, wurde unter Galeazzo II. zum entscheidenden Player – mitten in dem Gebiet, das noch vom Reichsitalien des römisch-deutschen Königs übrig war. Natürlich war dieser Machtzuwachs Florenz und dem Papst ein Dorn im Auge, aber auch dem Kaiser, der nicht nur die stolze Stadt von Ambrosius mit dem Reichsbann belegte, sondern im Einvernehmen mit Clemens VI. aus der Ferne mehrere Feldzüge gegen die Visconti dirigierte. Aber es gab auch Rückschläge. Im November 1356 wurde ein Kontingent, das der Reichsvikar aufgestellt hatte, von Mailänder Truppen vernichtend geschlagen. Immerhin gelang es unter dem Strich, mithilfe einer Liga, zu der sich auch Florenz gesellte, den Visconti Genua, Asti und Bologna zu entreißen.
Der größte dieser „transalpinen“ Feldzüge erfolgte 1366 auf Betreiben Karls IV. quasi als Auftakt für die Rückkehr der Päpste nach Rom, die Urban V. ins Auge gefasst hatte. Schon 1365 hatte er sich mit Karl IV. darüber verständigt, zweifellos als Gegenleistung für seine Zustimmung zu dessen Krönung zum burgundischen König, die im selben Jahr in Arles stattfand. Die Lage in Avignon spitzte sich für den Papst mehr und mehr zu, seit in den Wirren des Hundertjährigen Krieges Banden versprengter englischer, bretonischer und französischer Soldaten und Söldner marodierend durch die Provence zogen. Albornoz hatte Rom mit einem wehrhaften Verteidigungswall umgeben lassen und Urban schließlich überzeugt, der Zeitpunkt für eine Rückkehr in die Stadt des Heiligen Petrus sei günstig. Der Papst brach am 30. April 1367 in Avignon auf, erreichte am 9. Juni Viterbo, schloss dort eine weitreichende Allianz gegen Mailand und hoffte, dass auch Karl IV. sich auf den Weg nach Italien machen würde, zumal er dem Kaiser zur Finanzierung seiner Romfahrt bereits ein Jahr lang den Zehnten auf sämtliche Kirchengüter in Böhmen und im Heiligen Römischen Reich zugesagt hatte. Doch als Urban V. am 16. Oktober feierlich in die Ewige Stadt einzog, glänzte Karl durch Abwesenheit. Er kam erst im Mai 1368 nach Italien und zunächst nur bis Padua. Nach Avignon zurückzukehren, kam für Urban V. kaum infrage. Seit seiner Abreise war die Provence derart verwüstet worden, dass einer ihrer Anführer, der berühmtberüchtigte Bertrand du Guesclin, im September 1368 sogar exkommuniziert wurde. Aber ihm wurde auch die Brisanz des politischen Klimas in Rom klar, das nach wie vor von Clanfehden, Rivalitäten zwischen Kardinälen und der Einflussnahme sämtlicher Gutsherren, Herzöge, Äbte und Könige der Halbinsel geprägt war. Angesichts dieses Sumpfes dachte Urban daher trotzdem an Rückzug, als Karl IV. endlich am 20. Oktober 1368 in Rom eintraf. Einzug hielt nicht mehr der 39-jährige König von einst, dem der damalige Papst verboten hatte, länger als 24 Stunden an den Ufern des Tibers zu bleiben, sondern ein Kaiser, angetan mit sämtlichen Insignien seiner Majestät. Dennoch führte er „wie ein zweiter Konstantin“ das Pferd des Papstes am Zügel in die Stadt. „O lieber Herr Jesus, welch ein Schauspiel, die beiden höchsten Fürsten, ja die einzigen Monarchen des ganzen Erdkreises, den Beherrscher der Seelen und den der Leiber, in solchem Frieden und solcher Eintracht, in solcher Herzensheiterkeit und solchem Wohlwollen einander verbunden zu sehen!“47 So die optimistische Deutung des später bedeutenden Humanisten Florentin Coluccio Salutati, der als Kanzler die höchste politische Instanz Roms war, in einem Brief an Giovanni Boccaccio.48 Weitaus bitterer hingegen das Urteil Ulman Stromers, Ratsherr und Patrizier zu Nürnberg:49 „Do stund der Kayser unter dem tor zu Rom ab von seym pferd und ging neben dem pobst und zewmt den durch die stat zu Rom uncz für daz munster zu Sant Peter und Pawl; daz heten die Romer fur ein gross smochheit dem reych.“50 In jedem Fall nutzte Karl diesen Romzug, um seine vierte Gemahlin Elisabeth von Pommern zur Kaiserin krönen zu lassen, was am 1. November mit großem Prunk geschah. Bei seinen ersten Aufenthalten 1331/1333 und 1355 hatte Karl gelernt, dass er mit Diplomatie und Pragmatismus in Italien am weitesten