Skeleton Tree. Iain Lawrence. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Iain Lawrence
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783772546730
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ich selbst eine probierte. Die Muschel schmeckte salzig und nahrhaft, und ich fand es scheußlich, dass sie noch lebte. Ich musste würgen, als sie durch meine Kehle glitt. Doch der Geschmack war gar nicht so schlecht.

      Frank sah zu, wie ich sie herunterschluckte. «Und?»

      «Ich habe schon schlimmere Sachen gegessen», antwortete ich. «Als kleiner Junge habe ich mal Hundeköttel gegessen.»

      Frank lachte. «Ich habe Glas gegessen.»

      «Echt? Was ist passiert?», fragte ich.

      «Ich weiß es nicht mehr genau», sagte Frank. «Aber es war unheimlich. Meine Mutter ist ausgeflippt und hat die Notrufnummer gewählt. Die Ärzte haben mir Watte zu essen gegeben.»

      «Wieso?»

      «Um das Glas zu polstern, glaube ich.» Frank zuckte mit den Schultern. «Ich habe geweint, das weiß ich noch.»

      Kaum vorstellbar, dass Frank weinte. Er wollte weitererzählen, doch dann hielt er inne, als hätte er schon zu viel gesagt. Wir aßen weiter Entenmuscheln und leerten den ganzen Eimer, während wir zusammen alberten und lachten. Ich legte vier Entenmuscheln in meiner Hand zurecht wie Finger. Frank ließ zwei von seinem Kopf baumeln wie Fangarme von Aliens. In dieser kleinen Hütte und in dieser einsamen Umgebung waren wir glücklich.

      «Hey, Frank?», sagte ich.

      «Ja?» Er hob lächelnd den Kopf.

      «Wieso hat Onkel Jack dich zum Segeln mitgenommen?»

      Plötzlich war es, als hätte sich zwischen uns eine Tür geschlossen. Ich hörte sie praktisch zuknallen. Franks Lächeln fiel in sich zusammen, und eine halb aufgegessene Entenmuschel baumelte in seinen Fingern.

      «Darüber möchte ich nicht reden», sagte er in einem derart frostigen Tonfall, dass ich Angst bekam. «Ich bin froh, dass er tot ist. Das ist alles.»

      Frank stand auf, warf die Muschel in den Eimer und ging in den Wald. Da ich nichts Besseres zu tun hatte, räumte ich die Hütte auf. Ich faltete die Plastikplanen und schob sie unters Bett. Dann stellte ich den Tisch auf, stapelte das Brennholz und arrangierte die Steine wieder in einem ordentlichen Kreis. Als Frank zurückkam, lag ich auf allen vieren, immer noch mit dem roten Draht um den Hals, und versuchte, die Einzelteile des Walkie-Talkies aufzusammeln. Er stieg einfach über mich drüber und warf sich aufs Bett.

      Die Stille war grauenhaft. Obwohl ich nicht als Erster etwas sagen wollte, konnte ich mir auch vorstellen, dass wir beide störrisch genug waren, um nie wieder miteinander zu reden. Plötzlich hatte ich ein Bild von uns beiden vor Augen, wie wir alt und bärtig voreinander saßen und uns anstarrten. Das brachte mich zum Lachen.

      «Was ist so lustig?», fragte Frank.

      «Nichts.»

      «Und warum lachst du dann, Blödmann? Lachst du mich etwa aus?»

      «Nein», antwortete ich und fand es komisch, dass ihm das etwas ausmachen könnte. Ich hätte nicht gedacht, dass Leute wie Frank sich überhaupt vorstellen konnten, ausgelacht zu werden.

      Da ich den Drehknopf des Funkgeräts nicht finden konnte, setzte ich mich mit dem Taschenbuch auf den Stuhl, dem Rabenjäger Kaetil. Die Seiten waren vergilbt und hatten Eselsohren und Flecken. Irgendwer hatte das Buch mindestens hundertmal gelesen, und es schlug sich von selbst am Anfang auf, als hätte der Hüttenbesitzer es ihm antrainiert.

      Sobald ich anfing zu lesen, wurde ich von Frank unterbrochen. «Was machst du da?», fragte er.

      «Wonach sieht’s denn aus?», fragte ich zurück. «Ich lese ein Buch.»

      «Kannst du nicht etwas Sinnvolles tun?»

      Die gleichen Worte hatte ich tausendfach von meinem Vater zu hören bekommen. Frank stand auf, wie er es auch getan hätte, und schlug mir das Buch aus den Händen. «Komm mit», sagte er. «Wir gehen auf Schatzsuche.»

      Den Satz kannte ich auch. Nach demselben Versprechen von Schätzen war ich mit meinem Vater zur English Bay gegangen. Jetzt folgte ich Frank auf einem Weg durch den Wald, der uns nördlich zu einem kalten Bach führte. Er gluckerte über winzige Wasserfälle in einen Teich, der so rund war wie ein Fass. Frank ließ sich fallen und tauchte mit dem Gesicht hinein. Wir hatten seit dem Vortag nichts getrunken. Dennoch trank ich wie ein schüchternes Tierchen, schöpfte Wasser mit der Hand und behielt den Wald im Auge.

      Obwohl das Wasser so kalt war, dass es an den Zähnen wehtat, wusch Frank sich das Gesicht und seine Haare, auf die er sich so viel einbildete, und verspritzte silberne Tropfen in der Sonne. Während ich den Blick schweifen ließ, entdeckte ich an einem Baumstamm ein Klappmesser mit einem roten Griff. Auf einmal vergaß ich meine Angst und lief dorthin. «Ein Messer!», rief ich.

      «Zeig her», sagte Frank.

      Die Klinge war ausgefahren und braun gefleckt. «Es ist rostig», sagte ich.

      «Gib schon!» Frank stand auf und streckte die Hand aus. Da ich wusste, dass er auf mich losgehen würde, wenn ich es ihm nicht sofort aushändigte, reichte ich es ihm, um keine Zeit zu vergeuden und mir blaue Flecken zu ersparen.

      Frank warf es auf seine Handfläche, ließ die Klinge einschnappen und ausfahren und hielt sie dann dicht vor seine Augen.

      «Ich glaube, das ist kein Rost», sagte er.

      Er tauchte das Messer in den Teich und säuberte die Klinge mit den Fingern, bis kleine rote Strudel davontrieben. Ich fand es unheimlich: Erst entdeckten wir eine verlassene Hütte, dann ein blutverschmiertes Messer. Doch Frank hatte eine einfache Lösung parat.

      «Hier hat der Typ aus der Hütte vermutlich seinen Fisch und so gesäubert. Vielleicht auch Kaninchen», sagte er. «Ein Glück, dass er das Messer verloren hat.»

      Ich beobachtete, wie Frank die Klinge ein- und ausfahren ließ. «Okay, jetzt gib es mir zurück.»

      «Es gehört dir nicht», sagte Frank. «Es gehört dem Typen aus der Hütte.»

      «Klar, ich gebe es ihm zurück, wenn er wiederkommt.» Ich streckte die Hand aus und ließ die Finger wackeln. «Gib mir das Messer.»

      Frank warf sein nasses Haar nach hinten. Lächelnd streckte er die Hand mit dem Messer aus – bis ich es nehmen wollte. Dann riss er den Arm zurück, steckte es in die Tasche und ging auf dem Wildpfad weiter.

      «Hey, voll nett», sagte ich. «Das ist ja richtig nett.» In dem Moment hätte ich ihn am liebsten umgebracht und murmelte supergemeines Zeug hinter seinem Rücken.

      Doch ich vergaß meinen Ärger, als wir tiefer in den Wald eindrangen. Überall wuchs dickes, schweres Moos auf jedem Hubbel, in jeder Kuhle und auf allen umgefallenen Baumstämmen. Nachdem wir darauf getreten waren, richtete es sich sofort wieder auf, und wir hinterließen keine Spuren, waren mucksmäuschenstill. Die Bäume schossen säulengerade nach oben und breiteten sieben Stockwerke höher unvermittelt ein schimmerndes Dach aus Grün und Gold aus. Hier war noch nie ein Holzfäller gewesen, und die Bäume konnten gut und gern tausend Jahre alt sein.

      Wir sprachen kein Wort, während wir durch den Wald und eine weitere Meile über gigantische Klippen liefen. Irgendwann neigte sich das Gelände zu einem Kiesstrand. Und dort fanden wir zwischen angeschwemmten Baumstämmen und riesigen Felsblöcken ein Fischerboot.

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