Die Größe des Marshals machte Eindruck auf ihn, vor allem die Sicherheit seines Ganges und seine stolze Haltung.
Das war also der Mann, der den Fight im O.K. Corral siegreich beendet hatte!
Wie oft hatte er seinen Namen drüben in der Heimat gehört. Von den Freunden und den Männern in der Schenke, von den Arbeitern an der Flußmühle und von den Railwaymännern.
Und die Großmutter hatte ihnen nach dem Kampf im O.K. Corral einen langen Brief geschrieben, in dem vieles von dem Marshal Earp gestanden hatte. Obgleich ihr Enkel Billy bei dem Gefecht das Leben hatte lassen müssen, waren ihre Worte nicht vom Haß gezeichnet gewesen. Sie hatte in Wyatt Earp einen Gesetzesvertreter gesehen, der diesen Kampf gar nicht gewollt hatte.
Aber in der Seele des jungen Jerry Clanton hatte sich damals etwas festgesetzt, das mittlerweile groß und mächtig geworden war und all sein Denken ganz allmählich überschattet hatte: Er würde die Ehre des Namens Clanton retten! Zusammen mit Ike!
Er würde diesen Wyatt Earp in den Boden stampfen.
»Tot wird er vor meinen Füßen liegen!« Ohne die Lippen zu bewegen, sprach er diese Worte vor sich hin.
Jake Lead spürte, daß seine Kehle pulvertrocken geworden war.
»Kommen Sie mit«, klang da die Stimme des Marshals an die Ohren der beiden.
Luke Short packte sie an den Armen und schob sie vor sich her.
»Wo wollen Sie mich hinschleppen, Marshal?« schnarrte Jerry Clanton.
»Wir gehen zu Millers Saloon und werden die Männer befragen.«
Dagegen gab es nichts einzuwenden.
Wyatt Earp ging voran, dann kamen die beiden Banditen, und der Sheriff machte den Schluß.
Als sie die Schenke betraten, brach dort der Lärm an den Tischen sofort ab.
Man hatte inzwischen erfahren, daß Jerry Clanton und der Fremde festgenommen worden waren.
Rodney Miller, der sich sonst kaum je von seinem Platz bewegte, schoß wie ein Pfeil hinter der Theke hervor und kam dem Marshal entgegen.
»Mr. Earp! Gut, daß Sie kommen. Ich muß die Sache aufklären. Die drei Strolche, die hier hereinkamen, fielen Mr. Clanton an. Sie waren bewaffnet…«
»Augenblick«, unterbrach ihn Wyatt Earp, »der Reihe nach. Wo haben Sie gesessen, Leaven?«
Jake deutete auf den Tisch, an dem er mit Jerry Clanton und den anderen gesessen hatte.
Der Tisch war leer.
Aber die Nachbartische waren besetzt.
Das Verhör, das er jetzt anstellte, dauerte nicht sehr lange. Alle sagten das gleiche aus: die drei Fremden hätten sich auf Jerry Clanton gestürzt. Einer von ihnen hatte sogar den Revolver gezogen, und zwar der Mann, den ›Leaven‹ mit einer Kugel abgewiesen hätte.
Wyatt warf noch einen kurzen nachdenklichen Blick über die Gesichter der Männer, dann bedankte er sich und verließ mit Luke Short und den beiden das Schankhaus.
Es bestand nicht der mindeste Zweifel daran, daß die Männer in der Schenke Angst hatten. Angst vor dem neuen Clanton!
Der Marshal hatte keine Handhabe, die beiden länger festzuhalten.
Als sie draußen auf der Straße waren, blieb er stehen und wandte sich nach den beiden um.
»Well, die Sache scheint erledigt zu sein. Es wäre gut, Jeremias Clanton, wenn Sie recht bald auf die Ranch zu Ihrem Vetter reiten würden.«
»Weshalb?« fauchte Jerry.
»Damit Sie ihm erzählen können, wie Sie sich hier in der Stadt eingeführt haben.«
Jerry stampfte davon zu seinem Pferd.
Luke Short packte Jake Lead an der linken Schulter und schob ihn vor den Missourier hin.
»Und was wird mit der Pappfigur hier, Marshal?«
Wyatts Augen ruhten forschend auf dem Gesicht, das aber jetzt in der Dunkelheit kaum zu erkennen war.
Dafür konnte der Mörder das Gesicht des Marshals im Sternenschein um so deutlicher sehen. Es war hart und so kantig und verriet nichts von dem, was der Missourier dachte.
Wieder war die ungewisse Angst im Nacken des Verbrechers.
»Sie sind nicht über Fairbanks geritten?« Leise sprangen die Worte des Marshals dem Outlaw entgegen.
»Nein, jetzt weiß ich es ganz genau – ich kann es beschwören!«
Wyatt nickte, wandte sich um und ging davon. Luke Short folgte.
Als der Texaner den Marshal erreicht hatte, meinte er:
»Dieses Galgenvogelgesicht gefällt mir ganz und gar nicht. Ich hätte den Burschen am liebsten ins Loch geworfen.«
»Wir hatten keine Handhabe dazu, Luke«, entgegnete der Marshal und ging nachdenklich weiter.
Als sie ins Office zurückkamen, sahen sie Doc Holliday über den Schreibtisch gebeugt. Er hatte eine Depesche vor sich liegen.
Als er den Marshal und Luke Short eintreten sah, richtete er sich auf und meinte: »Ganz interessantes Fahndungsblatt, das da eingetrudelt ist.«
Wyatt nahm die Depesche sofort auf und las die Beschreibung eines Sträflings, der aus Fort Worth entsprungen war.
Dann reichte er dem Sheriff das Blatt.
Der las es durch und warf es kopfschüttelnd auf den Tisch zurück.
»Eine Beschreibung, die todsicher auf jeden dritten Mann paßt.«
»Bis auf das halbe Ohr«, meinte Earp.
»Das ist unser Freund aus Fairbanks«, sagte der Georgier, der jetzt zwischen Tür und Fenster an der Wand lehnte und den rechten Fuß eingezogen hatte.
Luke Short zündete sich die erloschene Virginia wieder an.
»Es steht nur da, daß er aus Fairbanks stammt. Ich kenne allein fünf Städte, die so heißen.«
»Ja, aber es ist das Fairbanks in Arizona«, sagte Wyatt Earp und wies auf das undeutliche A hinter dem Städtenamen. Dann wandte er den Kopf zur Seite und blickte den Spieler an.
»Weshalb haben Sie mit ihm gepokert, Doc?«
Der Spieler zog die Schultern hoch und ließ sie wieder fallen.
»Ich weiß es nicht genau. Vielleicht, weil er mir leid tat wegen seines halben Ohres…«
Dann wies Doc Holliday mit der Linken auf die Depesche und meinte: »Der geflüchtete Lead ist Linkshänder.«
Wyatt Earp nickte: »Ja. Aber sicher gibt es Tausende von Linkshändern in diesem Land.«
Als sich der Marshal seine Zigarre wieder anzünden wollte, hörte er, wie der Spieler zur Tür ging. Er drehte sich um, und als Doc Holliday die Tür erreicht hatte, wandte er noch einmal den Kopf.
»Also, gehen wir?«
Wyatt nickte. »Ja, Doc, wir gehen. Wir müssen mit ihm noch einmal sprechen.«
Luke Short wäre gerne mit ihnen gegangen, aber er mußte wegen der Gefangenen im Office zurückbleiben. Es war zu riskant, das Haus unbewacht zu lassen.
In der fünften Schenke, die der Marshal aufsuchte, entdeckte er am Stirnende der Theke den alten Clanton.
Der stand vornübergebeugt und starrte in sein leeres Glas.
Die Gäste in der Schenke waren zu dieser späten Stunde schon stark angetrunken, wurden aber sichtlich nüchtern, als sie den Marshal erkannten.
Wyatt blieb hinter dem Alten stehen und tippte ihm auf die Schulter.
»Mr.