Der neue Landdoktor Staffel 8 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740956721
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durch die Mappe, die Daniel vorhin sicher in den Schubladen verstaut hatte. Im Licht der kleinen Taschenlampe erkannte Lilly das Pergament mit dem wichtigen Anhang. Sie sah, wie Robert den Brief seines Vaters aus der Büroklammer zog, ärgerlich zusammenknüllte und in die Tasche seines Sakkos stopfte.

      »Was tust du da!«, sagte sie mit eisiger Stimme.

      Ertappt fuhr Robert herum und starrte sie an. Als er erkannte, dass sie es war, atmete er auf. »Hast du mich erschreckt«, sagte er nur, während er die Mappe schloss und sie wieder in die Schublade legte.

      Lilly trat drohend auf ihn zu. »Ich frage dich noch einmal: was tust du hier?«

      »Das erklärt sich wohl von selbst. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich diesen lächerlichen Wisch gelten lasse?«, antwortete er.

      »Du spinnst doch!«, rief Lilly fassungslos. »Ich kann diesen Quatsch einfach nicht glauben. Und wie willst du erklären, dass morgen der Brief eures Vaters fehlt?«

      »Wieso ich?« Robert grinste schief. »Da muss der Brief in der Aufregung des Abends wohl leider, leider irgendwie abhanden gekommen sein.«

      Lillys Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Ist er nicht!«, zischte sie. Mit einem einzigen Schritt stand sie neben Robert, zog den Brief aus seiner Jackentasche und steckte ihn vorn in ihr Kleid. Er war so überrumpelt, dass er nicht schnell genug reagieren konnte.

      Lilly stand jetzt jenseits des Schreibtisches und schaute ihn aus blitzenden Augen an. »Wie hat es nur so weit kommen können!«, rief sie anklagend. »Du benimmst dich, als wollte Daniel dich um dein Erbe betrügen. Dabei kommst du finanziell gesehen sogar besser weg als er, wenn du die Häuser in München bekommst. Lass Daniel doch in ›Silberwald‹ glücklich sein, du magst es ja gar nicht.«

      »Du legst dich für meinen kleinen Bruder aber mächtig ins Zeug«, erwiderte Robert vorwurfsvoll.

      »Ja, weil ich ihm Unrecht getan habe«, antwortete Lilly. »Nach deinen Erzählungen hatte ich ein ganz falsches Bild von ihm. Inzwischen glaube ich, dass er nie der fordernde, missgünstige Bruder gewesen ist, das bist du. Geschwistereifersucht gibt es überall, frag mal meine beiden Brüder und mich. Trotzdem stehen wir füreinander ein und helfen uns, wenn es nötig ist. Das hast du weder für deinen Vater noch für Daniel getan, er hat hier ganz allein alles erhalten. Deshalb ist es nur gerecht, wenn er das Gut bekommt.«

      Robert hatte ihr mit wachsendem Ärger zugehört und kam jetzt auf sie zu. »Gib mir den Brief meines Vaters!«, forderte er gereizt und streckte seine Hand aus.

      »Wenn du versuchst, ihn mir wegzunehmen, dann schreie ich das ganze Haus zusammen!«, drohte Lilly. »Ich schwöre dir, ich tue es. In Sekunden werden alle wach und hier sein und dann werden wir ja sehen, wessen Geschichte sie glauben.«

      Robert zuckte zurück. Er traute Lilly diesen Auftritt durchaus zu und diese Peinlichkeit wollte er sich lieber ersparen. Vielleicht ließ sie vernünftig mit sich reden?

      »Und was schlägst du nun vor?«, fragte er so ruhig wie möglich. »Wirst du Daniel erzählen, was hier passiert ist?«

      »Nein.« Lilly schüttelte den Kopf. »Diese Enttäuschung will ich ihm ersparen und dir auch. So schlecht möchtest du sicher nicht in den Augen deines Bruders dastehen. Wenn du noch einen Funken Ehrgefühl hast, Robert, und willst, dass ich meinen Respekt vor dir nicht völlig verliere, dann hör auf, um das Gut zu kämpfen. Überlass es deinem Bruder, der es sich mit Fug und Recht verdient hat. Wenn du morgen auf die Vorschläge des Notars eingehst und die beiden Häuser in München übernimmst, dann wird Daniel nichts über diesen Vorfall erfahren, und ich werde ihn dir gegenüber niemals wieder erwähnen. Versprochen!«

      Robert wollte hitzig widersprechen, aber er sah ein, dass er keine andere Wahl hatte. »Gut, dann werden wir es so machen. Für Daniel Gut und Land, für mich die beiden Häuser in München.«

      Erleichtert atmete Lilly auf. »Ich glaube ganz sicher, dass damit jeder der beiden Brüder das bekommt, was zu ihm passt und ihm am meisten nützt. Vergessen wir, was heute Abend hier geschehen ist.« Sie griff nach der Ledermappe, in der das alte Schriftstück lag, und drückte sie an ihre Brust. »Ich wünsche dir eine ruhige Nacht, Robert.« Nach einem langen letzten Blick wandte sie sich ab und ging zur Tür.

      »Ich nehme an, du ziehst nicht wieder mit in mein altes Zimmer?«, erklang Roberts Stimme in ihrem Rücken.

      Sie drehte sich um und sah, dass er sie fast wieder so wie früher anschaute. »Nein, Robert, ich komme nicht wieder zurück«, antwortete sie ernst. »Ich werde auch nicht mehr zu dir nach Lugano kommen, unsere Wege trennen sich hier. Es ist vorbei.«

      »Tja, es hat wohl doch nicht so gut gepasst, wie ich anfangs dachte«, erwiderte Robert mit einem schiefen Lächeln. »Irgendwie bist du mehr Bergmoosbach und ich die große, weite Welt.«

      »Ja, das trifft es«, antwortete sie nachdenklich und wandte sich endgültig zum Gehen. »Wir sehen uns dann morgen beim Notar.«

      In Sybilles Zimmer glättete Lilly den Brief, so gut es ging, und heftete ihn wieder hinter das Dokument. Sie schob die wertvolle Mappe unter ihre Matratze, ließ sich erschöpft ins Bett fallen und war sofort eingeschlafen.

      Robert ging hinüber in sein Zimmer, packte seine Sachen und wartete auf den Morgen, um ›Silberwald‹ endgültig hinter sich zu lassen.

      *

      Etliche Bewohner des Guts schauten dem Termin mit Korbinian Wamsler sorgenvoll entgegen.

      »Mei, wie das wohl heute gehen mag«, seufzte Rautende beim Frühstück.

      Auch Alexandra und Leopold wechselten einen beunruhigten Blick.

      »Ach, vielleicht wird es ja gar nicht so arg«, sagte Lilly vorsichtig. »Robert hört sich manchmal bissiger an, als er es tatsächlich meint. Er hatte Zeit zum Überlegen, und was sollte er gegen die Worte seines Vaters sagen? Franz Berger hat doch jedem Sohn genau das zugesprochen, was für ihn passt.«

      »Schauen wir mal, ob es tatsächlich so gut abgeht«, sagte Daniel, der eben mit seinen Hunden vom Morgenspaziergang kam. »Ich habe den Wagen von Korbinian vorfahren sehen. Wo ist Robert? Wir können gleich in die Bibliothek gehen und mit dem Schriftstück beginnen.«

      Robert wartete schweigend in der Halle. Er begrüßte die anderen nur mit einem Kopfnicken, und Daniel stieß innerlich einen Seufzer aus: es versprach kein gutes Gespräch zu werden.

      Aber Robert überraschte ihn. Ohne Protest oder nachträgliche Forderungen wurde das Erbe so aufgeteilt, dass Daniel das Gut zufiel und dem älteren Bruder die beiden Häuser in München. Ein Sparguthaben wurde auf Daniels Vorschlag auf Rautende überschrieben, und auch da protestierte Robert nicht. Die gefürchtete Verhandlung verlief viel leichter, als alle bis auf Lilly es gedacht hatten.

      Gegen Mittag waren alle Punkte abgehakt und die Aufteilung des Erbes geklärt. Roberts und Daniels Unterschriften besiegelten die getroffenen Abmachungen, und der junge nun alleinige Besitzer von ›Silberwald‹ atmete erleichtert auf. Er lud den Notar zum Essen ein, was dieser dankend annahm.

      »Mit mir könnt ihr nicht rechnen. Ich habe heute eine dringende Nachricht aus Lugano bekommen und muss gleich zum Flieger nach München«, erklärte Robert. »Das Gepäck ist schon im Auto.«

      »Ach, nein, ihr reist schon ab? Das ist aber schade«, sagte Rautende enttäuscht.

      Lilly räusperte sich. »Ich bleibe euch noch ein Weilchen erhalten. Robert fliegt allein nach Lugano zurück«, sagte sie fest.

      Erstaunte und freudige Blicke kreuzten sich bei diesen Worten, und Daniel hatte plötzlich einen Kloß im Hals. Rautende schien auf einmal traurig zu sein. »Ach, Großer, wird es denn wieder fast zehn Jahre dauern, bis du einmal wiederkommst?«, fragte sie bedauernd.

      »Das weiß ich nicht«, brummte Robert und fügte mit einem Blick auf seinen Bruder hinzu: »Es könnte aber sein, dass ich eher mal vorbeischaue. Ich hab ja jetzt ab und zu in München zu tun und das ist so gut wie um die Ecke.«

      »Ach, mein Großer«, murmelte