Buddhismus und kindliche Spiritualität. Alexander von Gontard. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexander von Gontard
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783170351615
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im Augenblick aus.

      Die Suche nach buddhistischen Bildern in all diesen Ländern, auf denen Kinder abgebildet sind, ist oft frustrierend. Eine Ausnahme in der chinesischen Ikonographie ist der sogenannte »lachende Buddha«, der eigentlich nicht den historischen Buddha darstellt, sondern eine chinesische folkloristische Gottheit namens »Buddai«. Er wird häufig als dicker, kahlköpfiger Mann dargestellt, der eine Robe, eine Gebetskette und einen Beutel trägt. Oft zeigen die Bilder und Statuen, wie er fünf Kinder auf seinen Schultern und Armen trägt, die Freude, Glück und positive Energie ausdrücken.

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      Abb. 9: Stupas im Morgenlicht im ländlichen Myanmar. Stupas sind dreidimensionale buddhistische Kultbauten. Diese Stupas sind mit weißer und goldener Farbe gestrichen.

      Es ist überraschend, dass es weder in Myanmar noch in vielen anderen buddhistischen Ländern kaum Bilder von dem Buddha als Baby, Kind oder Jugendlichen gibt. Diese Darstellungen von Kindern sind die absolute Ausnahme, im Gegensatz zum lebhaften Treiben von jungen Menschen in vielen buddhistischen Tempeln. Die Tempel werden von vielen Familien mit Kindern besucht. Die Kinder dürfen dort spielen, herumrennen und Spaß haben. Verkäufer bieten Süßigkeiten, Imbisse, Getränke, Blumen und Opfergaben an. Kinder lieben es, die Tempel zu besuchen, da sie sich dort frei bewegen können – ganz im Gegenteil zu den Kirchen in vielen westlichen Ländern.

      Vor kurzem hatte ich die Gelegenheit, den berühmten Borobudur-Tempel, ein überwältigender, mandalaförmiger Sakralbau aus dem neunten Jahrhundert in Java, Indonesien, zu besuchen. An kilometerlangen Friesen wurde das Leben des Buddha abgebildet. Ich wollte unbedingt die Reliefs von der Geburt und der frühen Kindheit des Buddha sehen. Immer wieder fragte ich mich beim Wachpersonal durch und umwandelte dieses Meisterwerk buddhistischer Kunst mehrfach im Uhrzeigersinn, wie es bei buddhistischen Bauwerken üblich ist. Ich sah viele perfekt erhaltene Abbilder des Buddha, der mich persönlich, wie viele Pilger über die Jahrhunderte, anzustrahlen schien. Am letzten Morgen fand ich schließlich diese wenigen Reliefs von Buddhas Geburt und Kindheit, die allerdings über Jahrhunderte hinweg berührt wurden und somit verschlissen waren. Es war rührend zu sehen, dass es nach langer Suche tatsächlich Bilder von Kindern gab. Allerdings war es die große Ausnahme!

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      Abb. 10: Borobudur-Tempel, Java, Indonesien. Eines der wenigen Reliefs vom Buddha als Kind, über die Jahrhunderte durch Pilger abgegriffen. Man kann rechts den Salbaum erkennen, an dem seine Mutter Maya sich bei seiner Geburt festhielt. Die Figur in der Mitte ist der Buddha als Baby, der sofort nach seiner Geburt laufen konnte. Unter seinen Füßen sprießen Lotusblüten, die unten erkennbar sind. Hier wird der Buddha als »göttliches Kind« abgebildet.

      Ein Grund für die fehlende Darstellung von Kindern könnte die unterschiedliche historische Bedeutung von Kindheit in asiatischen Ländern vor 2 500 Jahren gewesen sein. Wie wir sehen werden, wurden Kinder erst ab dem Alter von 7–8 Jahren als so reif angesehen, dass sie als Novizen aufgenommen werden konnten. Wie ebenfalls später ausgeführt, spielt der Archetyp des göttlichen Kindes in der buddhistischen Kunst eine weniger bedeutsame Rolle als zum Beispiel im Christentum, in dem die Madonna mit Kind eine dominierende und berührende Ikonographie ist. Ein weiterer Grund könnte darin liegen, dass schwierige, dunkle, unreife Aspekte der menschlichen Entwicklung im reinen Buddhismus (mit der Ausnahme des tibetischen Buddhismus) vernachlässigt oder zumindest nicht in der Kunst dargestellt werden. In manchen Ländern hatte sich eine Parallelreligion gehalten oder entwickelt, um diese menschlichen Bedürfnisse zu erfüllen.

      Der Mangel an Darstellungen der Kindheit des Buddha in der buddhistischen Ikonographie steht in deutlichem Kontrast, zum Beispiel zur burmesischen Schattenreligion, die parallel zur offiziellen buddhistischen Kultur besteht. Der Kontrast könnte nicht größer und das Wort Schatten nicht besser gewählt sein für die Welt der Nats, die mich von Anfang an fasziniert haben. Es schien mir, dass die buddhistische religiöse Praxis möglicherweise zu streng und geradlinig und die buddhistischen Ideale zu hoch waren für viele Menschen, sodass sie sich eine Parallelreligion mit eigenen Schreinen, Tempeln und Opferhäuschen schufen. Der Mittelpunkt der Anbetung der Nats findet sich um den Berg Popa, in Zentralmyanmar.

      Als ich den Nat-Tempel in Popa besuchte, der allen Besuchern offensteht, lag diese morbide Faszination in der Luft. Der Raum des Tempels war mit Statuen bestückt, welche eine blasse Pigmentierung, dunkles Haar und dunkle Augen sowie hellrote, lächelnde Lippen besaßen. Sie waren in bunte Kleider und schöne Schals gehüllt. Blumen und andere Opfergaben wurden vor ihnen aufgestellt. Gespendete Geldscheine wurden zusammengerollt und in ihre Hände gelegt. Ein Nat, der anscheinend in seinem Leben alkoholabhängig gewesen war, saß auf einem Pferd. Rumflaschen waren um das Pferd herumgebunden und fanden sich in seinem Schoß.

      Zu meiner Überraschung gab es auch Kinder-Nats. Zwei kleine Nat-Statuen stellten Kinder mit ihren schwarzen, zurückgezogenen und in Pferdeschwänzen gebundenen Haaren dar, wie sie zusammen kauerten. Sie hatten rosa Kleider und mehrere Schals in blau, orange und rosa an. Beide Mädchen hielten Blumengirlanden in ihren rechten Händen und auch bei ihnen waren zusammengerollte Geldscheine zwischen ihren Fingern zu sehen. Sie waren wahrhaftige göttliche Kinder im Sinne des Archetyps C. G. Jungs. Bei diesen Mädchen kam alles zusammen: Die Klarheit des Buddhismus und die dunkle Vitalität der Nats.

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      Abb. 11: Nats in einem Tempel beim Berg Popa, Myanmar. Nats sind Geister von Verstorbenen, üblicherweise nach einem schwierigen und problematischen Leben. Es gibt sogar Kinder-Nats, wie in diesem Bild dargestellt. Sie haben schwarzes Haar und sind geschmückt mit Schals und Blumen. Pilger spenden Geld, das zwischen die Finger geschoben wird. Nats stellen eine Art von Schattenkultur der dominanten buddhistischen Religion dar und werden in eigenen Schreinen und Gottesdiensten verehrt.

      Nachdem wir in die Welt der Nats eingetaucht waren, stiegen wir die Treppen bis auf die Spitze des Bergs Popa auf, ein erloschener, einzelner Vulkankegel mit einem Tempel obendrauf. Auf dem Weg nach oben, begegnete man vielen weiteren Nat-Tempeln, die alle eine dunkle und morbide Faszination verströmten. Schließlich, auf dem Berggipfel, wurden wir von den bekannten Stupas und Statuen des Buddha begrüßt, angestrahlt durch die Sonne. Licht und Schatten waren so nah zusammen, aber das war nicht alles. Bei der Rückkehr zum Hotel wartete eine kitschige Miniaturlandschaft mit hellen Lichtern und Baumwollbüscheln als Schnee auf uns – es war eine christliche Krippenszene zu Weihnachten.

      Buddhistische Kunst hat sich zur Mainstream-Kultur in vielen westlichen Ländern entwickelt. Bilder des Buddha empfangen einen in Hotellobbys, vor allem in sogenannten Wellness-Hotels, Saunen und Spas. In jedem Gartencenter werden Buddhafiguren in unterschiedlicher künstlerischer Qualität für den Garten angeboten.

      Vor ein paar Jahren bin ich ausgerechnet in Las Vegas auf ein Schild gestoßen, das religiöses Dinieren (religious dining) und spirituelles Nachtleben (spiritual nightlife) ankündigte. Voller Neugier schaute ich mir die Räumlichkeiten an und wurde von Statuen des Buddha begrüßt, die trotz der Umgebung eine sehr positive Resonanz auslösten. Wie kann ausgerechnet ein Nachtklub spirituell sein? Ich überlegte mir, ob der