Buddhismus und kindliche Spiritualität. Alexander von Gontard. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexander von Gontard
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783170351615
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Einsicht, die er mit den Worten ausdrückte: »Blind und nicht sehend ist die Welt, und wenige mit Einsicht sind hier; wie wenn ein Vogel, der aus dem Netz befreit wird, gibt es nur wenige, die den Himmel behalten werden.«

      Das Ende der Geschichte ist sehr tragisch. Nachdem sie zu ihrem Vater zurückgekehrt war, fiel versehentlich ein Balken des Webstuhls herab, traf sie auf ihren Brustkorb und tötete sie auf der Stelle. Ihr Vater war untröstlich. Nachdem er bei seinem eigenen Kind so tragisch gesehen hatte, dass Geburt und Tod zusammengehören, bat er den Buddha um Ordination als Mönch und fand die Erleuchtung.

      Assalayana

      Eine weitere der seltenen Lehrreden mit Jugendlichen betrifft Assalayana, ein 16-jähriger Jugendlicher, dem die brahmanischen Priestertraditionen sehr vertraut waren (Buddha, Middle Length Discourses 1995, Sutra 96). Er forderte den Buddha heraus, wie es Jugendliche eben tun. Assalayanas Haupthypothese war, dass nur die Brahmanen berechtigterweise zu der höchsten Kaste gehörten. Speziell fragte er den Buddha, ob es wahr sei, dass Mitglieder aller Kasten im Dharma (d. h. der Lehre des Buddha) unterrichtet werden und Einsicht erlangen könnten. In einer radikalen Debatte konnte der Buddha zeigen, dass Einsicht nicht ein Privileg der Herkunft oder der Geburt sei, sondern allen Menschen offenstehe.

      Kapathinka

      In einer weiteren Lehrrede mit einem 16-jährigen, intelligenten Schüler namens Kapathinka behandelte der Buddha das Thema und die Bedeutung der Wahrheit (Buddha, Middle Length Discourses 1995, Sutra 95). Er umriss die Unterschiede der Wahrheit, ob man sie durch Glaube und Tradition erlangt, ob man sie durch persönliche Erfahrung entdeckt oder sie »wirklich« erlangt. Die letztere, die echte Wahrheit wird durch Streben, genaue Überprüfung, Willenskraft, Eifer, reflektierende Akzeptanz der Lehren, Untersuchung von Bedeutungen und aufmerksames Zuhören begünstigt.

      Alle erwähnten Lehrreden sind Beispiele dafür, wie der Buddha auf eine akzeptierende, aber auch herausfordernde Art mit Jugendlichen umgegangen ist. Wie bereits erwähnt, kommen Kinder in diesen Lehrreden nicht vor. Der nächste Abschnitt widmet sich dem Thema der Kindheit und wie dieses vom Buddha in seinen Lehrreden mit Erwachsenen dargelegt und verstanden wird.

      Kindheit in den Lehren des Buddha

      Das Symbol des Kindes taucht selten in den Lehren des Buddha auf. Gelegentlich wird das Spiel des Kindes in einer negativen Art und Weise beschrieben. Zum Beispiel im Satta Sutra, das auch »ein Lebewesen« genannt wird (Buddha 1999), wird der Buddha gefragt: »Zu welchem Ausmaß kann man sagen, dass man ein Lebewesen ist?« Daraufhin antwortete der Buddha: »Man ist ein Lebewesen, wenn man in Leidenschaften, Verlangen und Lust an Formen, Gefühlen und Bewusstheit, d. h. mit den fünf Aggregaten, verwickelt ist.« Diese sind die fünf vorübergehenden, vergänglichen Elemente, aus denen eine Person besteht: materielle Form, Gefühle, Wahrnehmungen, Gedanken und Bewusstheit. Es kann sehr befreiend sein, wenn man die Vergänglichkeit dessen erkennt, was man als solide und permanent angesehen hat.

      Um diesen Punkt zu untermauern, verwendet er den Vergleich mit dem Spiel eines Kindes:

      »Es ist genauso, als ob Jungen und Mädchen mit kleinen Sandburgen spielen. Solange sie nicht frei sind von Leidenschaft, Verlangen, Liebe, Durst, Fieber und Verlangen nach diesen kleinen Sandburgen, solange haben sie Spaß mit den Sandburgen, genießen sie, schätzen sie und wollen sie besitzen. Aber wenn sie sich befreien von Leidenschaft, Verlangen, Liebe, Durst, Fieber und Verlangen nach diesen kleinen Sandburgen, dann machen sie sie kaputt, zerstreuen sie, zerstören sie mit ihren Händen oder Füßen und machen sie untauglich für weiteres Spiel.«

      Der Buddha fährt fort und empfiehlt Form, Gefühle, Wahrnehmung, Gedanken und Bewusstsein zu zertrümmern, damit die Seele befreit wird.

      Aber wie merkwürdig wirkt dieses Symbol heutzutage! In heutiger Zeit wird das Spiel des Kindes als wichtiger Schritt für die emotionale Entwicklung gesehen. Wenn Kinder am Strand spielen, können wir beobachten, dass die Elemente Sand und Wasser intuitiv sofort Spiel und Aufbauaktivitäten induzieren: Fast alle Kinder lieben es, Burgen, Türme und Wassergräben sowie viele andere Objekte zu bauen. Häufig beteiligen sich auch Erwachsene an diesem spontanen Treiben. Die meisten Kinder sind sehr stolz und glücklich über das, was sie mit dem Sand geschaffen haben. Es ist nicht typisch, dass sie ihre eigenen Kunstwerke zerstören. Stattdessen versuchen sie, ihre Burgen gegen die einströmende Flut zu verteidigen. Oft haben die Kinder auch die Weisheit zu sehen, dass das Meer ihre Werke langfristig wieder einnehmen wird. Die Flut, als Ausdruck der größeren Natur, nicht die Kinder selber, beendet ihr Spiel. Oft erkennen Kinder diese unvermeidlichen Veränderungen und fangen schon am nächsten Tag an, ihre Burgen und Gräben wiederaufzubauen. Manche freuen sich sogar, das Kommen und Gehen der Wellen und der Natur zu sehen, und besitzen die Weisheit, die Vergänglichkeit des Lebens darin zu erkennen.

      Wiederholt zeigte der Buddha in seinen Lehrreden ambivalente, manchmal selbst hartherzige, wenig emphatische Gefühle gegenüber Kindern. Sasson erwähnt eine weitere schockierende Geschichte aus den alten Texten:

      »Der Mönch Sangamanji wird von seiner Frau angesprochen, die er samt des neugeborenen Kindes vor kurzem verlassen hatte. Sie fleht ihn an, nach Hause zurückzukehren,

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      Abb. 12: Sandburgen bei Ebbe. Wenn die Flut kommt, werden die Burgen vom Meer weggewaschen und werden wieder zu Sand. Kinder erkennen diesen Prozess als ein Symbol der Vergänglichkeit und der Veränderung – üblicherweise zerstören sie ihre Burgen nicht selbst, sondern beobachten, wie sie weggespült werden.

      aber er reagiert nicht. Daraufhin legt seine Frau das Kind vor seine Füße, in der Hoffnung, dass der Anblick des eigenen Kindes ein Gefühl der Verantwortung für die Familie wachruft. Jedoch wartet der Mönch passiv darauf, dass dieses Szenario zu Ende geht. Als die Frau endlich aufgibt und mit ihrem Kind nach Hause zurückkehrt, lobt der Buddha den Mönch für seine außergewöhnliche Zurückhaltung (und verurteilt die Frau für ihr unangemessenes Verhalten). Es ist nicht verwunderlich, dass Buddhismus als familienunfreundlich bezeichnet wurde« (Sasson 2013, S. 2–3; Zitate aus Udana 5–6).

      Diese Beispiele sollten ausreichen, um zu zeigen, dass der Buddha mit diesen Ansichten heutzutage kein guter Kinderpsychotherapeut oder Familientherapeut wäre. In der heutigen Zeit würden seine Ansichten von Kindern, die er als getrieben von Instinkten und Verlangen sieht, als zu rigide und beschränkt gelten. Im Buddhismus hatten Verzicht, Entsagung und ein klösterliches Leben oft eine höhere Priorität als Familie oder die Bedürfnisse und Rechte von Kindern und Frauen. Gleichzeitig zeigen diese Beispiele, dass auch der Buddha ein Mensch mit blinden Flecken und Schwächen ist, nicht unfehlbar, sondern sehr menschlich.

      Das Symbol der Geburt in den Lehren des Buddha

      Wenn man durch das Inhaltsverzeichnis der vielen Lehrreden des Buddha schaut, taucht das Stichwort oder Symbol des Kindes nicht auf (Buddha, Connected Discourses Band 1 und 2, 2000; Middle Length Discourses 1995; Long Discourses 1995). Ist das nicht merkwürdig? Auf der hervorragenden Website mit dem Namen Access to Insight (www.accesstoinsight.org) findet sich nur eine Lehrrede, die oben erwähnte Satta Sutra mit den Sandburgen, die sich auf Kinder bezieht.

      Die einzigen assoziierten Begriffe die wiederholt auftauchen sind die, die auf Geburt verweisen (in der alten Sprache Pali »Jati« genannt). Jedoch wird die Geburt nicht als ein hoffnungsvoller Anfang gesehen, sondern als ein negatives Ereignis, das unweigerlich die Folgen von Alter, Krankheit und Tod nach sich zieht. Warum wird Geburt so negativ gesehen?

      Zum einen beinhaltet Geburt im buddhistischen Zusammenhang die Vorstellung von Wiedergeburt. Obwohl der Buddha selbst nicht metaphysische Fragen beantwortete oder kommentierte und den Begriff der Wiedergeburt weder bejahte noch ablehnte, ist die Wiedergeburt für viele Gläubige ein wesentlicher Aspekt der buddhistischen Religion. Wenn es das Ziel ist, Erleuchtung zu erlangen und Wiedergeburt zu vermeiden, dann ist die Geburt an sich eine Bestätigung, dass dieses hohe Ziel noch nicht