Weiter als der Ozean. Carrie Turansky. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carrie Turansky
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783961224623
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Madam.“ Katie drehte sich um und verließ das Büro. Sie hatte gemischte Gefühle. Doch Grace und sie mussten mit Garth nach Kanada fahren. Jetzt, da Mama und Papa tot waren, war das ihre einzige Chance. Laura hatte auf ihren Brief nicht geantwortet, und Mrs Graham schien sie ebenfalls vergessen zu haben.

      Ihre Augen brannten, aber sie blinzelte die Tränen fort und stieg die Treppe hinauf, um ihre Schwester zu suchen. Als sie im oberen Schlafsaal ankam, entdeckte sie Grace, die neben ihrem Bett stand und sich das Haar bürstete.

      Katie eilte zu ihr. „Ich habe mit der Heimleiterin gesprochen.“

      Grace fuhr herum. „Hast du etwas von Mama gehört?“

      Katie wurde das Herz schwer. Sie hatte ihrer Schwester die traurige Nachricht aus Garths letztem Brief noch nicht gesagt. Sie konnte sich einfach nicht überwinden, diese schmerzhaften Worte laut auszusprechen. Grace liebte Mama so sehr. Wie sollte Katie ihr sagen, dass sie nie wieder ihre sanfte Stimme hören oder ihr liebevolles Lächeln sehen würden? Sie würde es ihr irgendwann sagen müssen, aber nicht heute.

      Sie schüttelte den Kopf und ergriff Graces Hand. „Die Heimleiterin hat gesagt, dass wir nach Kanada fahren dürfen.“

      Graces blaue Augen weiteten sich. „Aber was ist mit Mama? Macht sie sich keine Sorgen, wenn wir so weit wegfahren?“

      Katie fuhr mit dem Daumen über Graces Hand und suchte nach den richtigen Worten, um ihre Schwester zu trösten. „Ich glaube, Mama würde wollen, dass wir drei zusammenbleiben. Und da Garth nach Kanada geht, sollten wir auch gehen.“

      „Aber dann weiß Laura nicht, wo sie uns findet.“

      Diese Worte trafen Katie wie ein weiterer Schlag in den Magen. Sie atmete tief ein, setzte sich aufs Bett und deutete auf die Decke neben sich. „Setz dich zu mir, Grace.“

      Ihre kleine Schwester sank neben ihr aufs Bett.

      „Laura hat auf meinen Brief nicht geantwortet. Und sie hat uns nicht besucht. Wahrscheinlich kann sie nicht weg, um nach London zu kommen. Und selbst wenn sie das könnte, könnte sie sich wahrscheinlich nicht um uns kümmern.“

      Graces Kinn zitterte. „Aber Laura liebt uns.“

      Katie nickte, obwohl sie das inzwischen bezweifelte. Dann zog sie Grace in ihre Arme.

      Warum hatte Laura nicht auf ihren Brief geantwortet? Katie hatte ihrer Schwester geschildert, was mit Mama passiert war und wohin sie gebracht worden waren. Sie konnte das einfach nicht verstehen. Normalerweise schrieb Laura jede Woche und besuchte die Familie, sooft sie konnte. Sie hatten sich immer so nahegestanden. Wenigstens hatte sie das geglaubt.

      Katie streichelte ihrer Schwester über den Rücken. Sie musste Grace jetzt trösten, da Mama tot war und Laura ihre Geschwister sich selbst überließ. Katie würde sich immer um Grace kümmern, egal was kam. „Alles wird gut werden“, sagte sie leise. „Die Heimleiterin sagt, dass Kanada ein schönes Land ist und dass wir dort gemeinsam bei einer Familie wohnen können.“

      „Garth auch?“

      Das hoffte Katie, aber ihre Zweifel wuchsen immer mehr. Und wenn sie an einen anderen Ort geschickt wurden als Garth? War die Entscheidung, nach Kanada zu gehen, ein riesengroßer Fehler? Sie hatten Papa und Mama verloren. Wie sollten sie ohne Garth überleben?

      Sie schloss die Augen und schickte eine stumme Bitte zum Himmel. Bitte, Vater, pass auf uns auf, beschütze uns und hilf uns, eine Möglichkeit zu finden, wie wir zusammenbleiben können.

      

      Laura schob Mamas Rollstuhl in den kleinen Garten hinter dem St.-Josef-Krankenhaus. Es tat so gut, die düstere Station und den Geruch von Desinfektionsmitteln wenigstens für ein paar Minuten hinter sich zu lassen.

      Mama war immer noch schwach und konnte nur wenige Schritte gehen, aber Laura hatte die Krankenschwester um Erlaubnis gebeten, mit ihr in den Garten gehen zu dürfen, damit sie frische Luft schnappen konnte. Die Schwester hatte widerstrebend eingewilligt, solange Mama warm eingepackt war und Laura versprach, nicht zu lange mit ihr draußen zu bleiben.

      Strahlen der Morgensonne fielen durch die großen Bäume am Rand des Gartens und warfen ein Schattenmuster auf den Steinweg.

      Mama hob das Gesicht und schloss die Augen. „Es ist herrlich, die Wärme der Sonne wieder zu spüren. Und hörst du die Vögel?“

      „Ja, hier draußen ist es wirklich schön.“ Laura schaute sich im Garten um und betrachtete den gewundenen Weg und die Glyzinien, die an den Mauern emporrankten und deren rötlich-violette Knospen bald blühen würden. Sie platzierte den Rollstuhl neben einer Holzbank am Rand des Weges und schlang die weiche Decke enger um Mamas Schoß. „Ist dir warm genug?“

      „Ja, Liebes, mir geht es gut.“ Mama sah lächelnd zu Laura auf und ergriff ihre Hand. „Danke. Es tut so gut, dich hier zu haben.“

      Laura drückte die Hand ihrer Mutter. „Ich bin froh, dass ich hier sein kann.“

      „Konntest du Pfarrer Bush besuchen?“

      „Ja, wir haben heute Morgen fast eine Stunde miteinander gesprochen.“ Laura setzte sich auf die Ecke der Bank. „Es tat gut, mit jemandem zu sprechen, der sich für unsere Geschichte interessiert.“

      „Was hat er dir geraten?“

      Laura wandte den Blick ab und suchte vorsichtig nach den richtigen Worten. „Er war sehr verständnisvoll, und ich soll dir ausrichten, dass er für dich betet. Aber die Vormundschaft muss vom Gericht festgelegt werden. Dabei kann er uns nicht helfen.“

      Mamas Hoffnung sank sichtlich. „Das ist schade. Ich dachte, ein Brief von ihm könnte die Heimleiterin in Grangeford vielleicht dazu bewegen, dir die Kinder zu übergeben.“

      Laura war auch enttäuscht, aber Pfarrer Bush hatte ihr klargemacht, dass sie nicht die volle Verantwortung für ihre Geschwister übernehmen konnte. Solange sie nicht nach Bolton zurückkehrte oder eine neue Stelle fand, hatte sie kein Einkommen. Und sie konnte nicht erwarten, dass die Grahams ihre ganze Familie unbegrenzt bei sich aufnahmen und durchfütterten.

      Sie verdrängte ihre Enttäuschung und konzentrierte sich wieder auf ihre Mutter. „Er hat versprochen, dass er versucht, mir zu helfen, eine neue Stelle zu finden. Dann kann ich meinen Lohn sparen, um eine Wohnung zu mieten und die Betreuungskosten in Grangeford abzuzahlen.“

      Mama seufzte müde. „Ich verstehe nicht, warum sie uns für die Versorgung der Kinder Geld berechnen. Von einer wohltätigen Einrichtung würde ich etwas anderes erwarten. Sie müssen doch wissen, dass Eltern ihre Kinder nicht freiwillig in ein Heim geben.“

      „Das sehe ich auch so, aber Pfarrer Bush hat mir versichert, dass sie dort gut versorgt werden, bis wir sie zu uns nach Hause holen können.“

      Neue Hoffnung sprach aus Mamas graublauen Augen. „Du bleibst also in London?“

      Laura nickte. „Ich denke, das ist das Beste.“

      „Oh, danke, Liebes. Ich bin so froh. Wohnst du vorerst bei den Grahams?“

      „Ja. Sie sind sehr entgegenkommend. Und Pfarrer Bush hat gesagt, dass ich ihn in drei Tagen wieder besuchen darf. Vielleicht hat er bis dahin von einer freien Stelle gehört. Er hat vorgeschlagen, dass ich in der Zeitung nach Stellenanzeigen suchen und mich bei einer Arbeitsvermittlung melden soll.“

      Mama nahm Lauras Hand. „Das klingt nach einem vernünftigen Plan. Ich bete, dass du eine Stelle bei einer guten Familie findest.“

      Lauras Magen zog sich zusammen. Sie hatte die Harringtons auch für eine gute Familie gehalten, bis deren Neffe aufgetaucht war und ihr das Leben schwer gemacht hatte. Wie konnte sie sicher sein, dass sie sich nicht wieder in eine gefährliche Situation begab?

      „Deine Erfahrungen als Kammerzofe der Frasiers dürften dir bei der Stellensuche zugutekommen.“

      „Das hoffe ich.“ Aber darauf konnte sie sich nicht verlassen. Hier in London gab es viel Konkurrenz. Vielleicht müsste sie